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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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daß ich schon lange den Vorsatz gehabt hätte, mit
ihm davon zu gehen, und daß dieses eine Zuberei-
tung gewesen wäre.

Er sagte: er wünschte um meiner Gemüths-
Ruhe willen, daß ihre Frau Mutter mir eine Zu-
flucht verstattet haben möchte: und redete hiervon
so offenhertzig als zärtlich.

Es sind eine Menge Kleinigkeiten, die doch zum
Wohlstande gehören, welche ein junges Frauen-
zimmer verleugnen muß, so bald es eine Manns-
Person beständig um sich haben und mit ihr in ei-
ner solchen Vertraulichkeit leben muß. Mich
dünckt, ich wollte jetzt zwantzig viel stärckere Grün-
de anführen, als die sind, die ich vorhin erwähnt
habe, die ein Frauenzimmer, das noch etwas auf
sich hält, abschrecken sollten, sich nicht in die Ge-
fahr zu begeben, das zu wagen, was ich mit
Schrecken und Widerwillen gewagt habe, und um
deren willen es einen jungen Menschen, der es
dazu verleiten will, für den allerniederträchtigsten
und eigennützigsten Verführer ansehen sollte.



Den Dienstag Morgens vor fünf Uhr kam die
Magd zu mir herauf, und sagte: mein Bruder
wäre reisefertig, und das frühstück wartete nur
auf mich. Jch ging mit schweren Hertzen und
trüben Augen hinunter: er empfing mich mit Höf-
lichkeiten und Dancksagungen, daß ich so früh an-
gekleidet und (wie er es auslegte) reisefertig
wäre.

Er



daß ich ſchon lange den Vorſatz gehabt haͤtte, mit
ihm davon zu gehen, und daß dieſes eine Zuberei-
tung geweſen waͤre.

Er ſagte: er wuͤnſchte um meiner Gemuͤths-
Ruhe willen, daß ihre Frau Mutter mir eine Zu-
flucht verſtattet haben moͤchte: und redete hiervon
ſo offenhertzig als zaͤrtlich.

Es ſind eine Menge Kleinigkeiten, die doch zum
Wohlſtande gehoͤren, welche ein junges Frauen-
zimmer verleugnen muß, ſo bald es eine Manns-
Perſon beſtaͤndig um ſich haben und mit ihr in ei-
ner ſolchen Vertraulichkeit leben muß. Mich
duͤnckt, ich wollte jetzt zwantzig viel ſtaͤrckere Gruͤn-
de anfuͤhren, als die ſind, die ich vorhin erwaͤhnt
habe, die ein Frauenzimmer, das noch etwas auf
ſich haͤlt, abſchrecken ſollten, ſich nicht in die Ge-
fahr zu begeben, das zu wagen, was ich mit
Schrecken und Widerwillen gewagt habe, und um
deren willen es einen jungen Menſchen, der es
dazu verleiten will, fuͤr den allerniedertraͤchtigſten
und eigennuͤtzigſten Verfuͤhrer anſehen ſollte.



Den Dienſtag Morgens vor fuͤnf Uhr kam die
Magd zu mir herauf, und ſagte: mein Bruder
waͤre reiſefertig, und das fruͤhſtuͤck wartete nur
auf mich. Jch ging mit ſchweren Hertzen und
truͤben Augen hinunter: er empfing mich mit Hoͤf-
lichkeiten und Danckſagungen, daß ich ſo fruͤh an-
gekleidet und (wie er es auslegte) reiſefertig
waͤre.

Er
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[70/0084] daß ich ſchon lange den Vorſatz gehabt haͤtte, mit ihm davon zu gehen, und daß dieſes eine Zuberei- tung geweſen waͤre. Er ſagte: er wuͤnſchte um meiner Gemuͤths- Ruhe willen, daß ihre Frau Mutter mir eine Zu- flucht verſtattet haben moͤchte: und redete hiervon ſo offenhertzig als zaͤrtlich. Es ſind eine Menge Kleinigkeiten, die doch zum Wohlſtande gehoͤren, welche ein junges Frauen- zimmer verleugnen muß, ſo bald es eine Manns- Perſon beſtaͤndig um ſich haben und mit ihr in ei- ner ſolchen Vertraulichkeit leben muß. Mich duͤnckt, ich wollte jetzt zwantzig viel ſtaͤrckere Gruͤn- de anfuͤhren, als die ſind, die ich vorhin erwaͤhnt habe, die ein Frauenzimmer, das noch etwas auf ſich haͤlt, abſchrecken ſollten, ſich nicht in die Ge- fahr zu begeben, das zu wagen, was ich mit Schrecken und Widerwillen gewagt habe, und um deren willen es einen jungen Menſchen, der es dazu verleiten will, fuͤr den allerniedertraͤchtigſten und eigennuͤtzigſten Verfuͤhrer anſehen ſollte. Den Dienſtag Morgens vor fuͤnf Uhr kam die Magd zu mir herauf, und ſagte: mein Bruder waͤre reiſefertig, und das fruͤhſtuͤck wartete nur auf mich. Jch ging mit ſchweren Hertzen und truͤben Augen hinunter: er empfing mich mit Hoͤf- lichkeiten und Danckſagungen, daß ich ſo fruͤh an- gekleidet und (wie er es auslegte) reiſefertig waͤre. Er

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/84>, abgerufen am 01.05.2024.