liebe Clarissa, daß er, Herr Lovelace, Jhrer ohnmöglich werth seyn kann. Sie werden sagen, er könnte sich vielleicht bessern: vielleicht aber bessert er sich auch nicht. Gewohnheits-Sünden sind nicht so leicht abgelegt: und Leute, die sich durch einen schönen Verstand, und durch eine klare Erkenntniß dessen, was Recht und Unrecht ist, nicht von einem unordentlichen Leben abhalten lassen, können nicht anders als durch ein Wunderwerck, oder durch das Unvermögen zu sündigen, aufhöten lasterhaft zu seyn. Jch kenne mein eigenes Geschlechte sehr wohl, und ich will mich unterstehen ein richtiges Urtheil da- von zu fällen, ob es wahrscheinlich sey oder nicht, daß ein junger Herr, ehe ihn Kranckheit oder Unglück demüthiget, sich bessern sollte, wenn ihm alles glück- lich gehet, wenn er voller Muth und Eigenwillen ist, und sich noch dazu eine Gesellschaft ausgewählet hat, die ihm gleich ist, und die ihn noch weiter verführet, ja so gar in der Ausübung alles Unrechts unterstü- tzet.
Was den andern Herrn anlanget, so will ich gar nicht aus Jhrer jetzigen Abneigung schliessen, daß Sie künftig keine Neigung zu ihm fassen werden: vielleicht gefällt er Jhnen künftig desto besser, je we- niger er Jhnen jetzt gefällt. Er kann zum wenigsten nicht mehr bey Jhnen herunter gesetzet werden: allein es ist möglich, daß Jhre Meynung von ihm sich bessert. Wo wir uns allzu viel gutes vorstellen, da pflegen wir uns in unserer Hoffnung gemeiniglich allzu sehr betrogen zu sehen. Wie ist es anders mög- lich? Die aufgebrachte Einbildungs-Kraft stel-
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liebe Clariſſa, daß er, Herr Lovelace, Jhrer ohnmoͤglich werth ſeyn kann. Sie werden ſagen, er koͤnnte ſich vielleicht beſſern: vielleicht aber beſſert er ſich auch nicht. Gewohnheits-Suͤnden ſind nicht ſo leicht abgelegt: und Leute, die ſich durch einen ſchoͤnen Verſtand, und durch eine klare Erkenntniß deſſen, was Recht und Unrecht iſt, nicht von einem unordentlichen Leben abhalten laſſen, koͤnnen nicht anders als durch ein Wunderwerck, oder durch das Unvermoͤgen zu ſuͤndigen, aufhoͤten laſterhaft zu ſeyn. Jch kenne mein eigenes Geſchlechte ſehr wohl, und ich will mich unterſtehen ein richtiges Urtheil da- von zu faͤllen, ob es wahrſcheinlich ſey oder nicht, daß ein junger Herr, ehe ihn Kranckheit oder Ungluͤck demuͤthiget, ſich beſſern ſollte, wenn ihm alles gluͤck- lich gehet, wenn er voller Muth und Eigenwillen iſt, und ſich noch dazu eine Geſellſchaft ausgewaͤhlet hat, die ihm gleich iſt, und die ihn noch weiter verfuͤhret, ja ſo gar in der Ausuͤbung alles Unrechts unterſtuͤ- tzet.
Was den andern Herrn anlanget, ſo will ich gar nicht aus Jhrer jetzigen Abneigung ſchlieſſen, daß Sie kuͤnftig keine Neigung zu ihm faſſen werden: vielleicht gefaͤllt er Jhnen kuͤnftig deſto beſſer, je we- niger er Jhnen jetzt gefaͤllt. Er kann zum wenigſten nicht mehr bey Jhnen herunter geſetzet werden: allein es iſt moͤglich, daß Jhre Meynung von ihm ſich beſſert. Wo wir uns allzu viel gutes vorſtellen, da pflegen wir uns in unſerer Hoffnung gemeiniglich allzu ſehr betrogen zu ſehen. Wie iſt es anders moͤg- lich? Die aufgebrachte Einbildungs-Kraft ſtel-
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liebe Clariſſa, daß er, Herr Lovelace, Jhrer
ohnmoͤglich werth ſeyn kann. Sie werden ſagen, er
koͤnnte ſich vielleicht beſſern: vielleicht aber beſſert er
ſich auch nicht. Gewohnheits-Suͤnden ſind nicht
ſo leicht abgelegt: und Leute, die ſich durch einen
ſchoͤnen Verſtand, und durch eine klare Erkenntniß
deſſen, was Recht und Unrecht iſt, nicht von einem
unordentlichen Leben abhalten laſſen, koͤnnen nicht
anders als durch ein Wunderwerck, oder durch das
Unvermoͤgen zu ſuͤndigen, aufhoͤten laſterhaft zu
ſeyn. Jch kenne mein eigenes Geſchlechte ſehr wohl,
und ich will mich unterſtehen ein richtiges Urtheil da-
von zu faͤllen, ob es wahrſcheinlich ſey oder nicht,
daß ein junger Herr, ehe ihn Kranckheit oder Ungluͤck
demuͤthiget, ſich beſſern ſollte, wenn ihm alles gluͤck-
lich gehet, wenn er voller Muth und Eigenwillen iſt,
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die ihm gleich iſt, und die ihn noch weiter verfuͤhret,
ja ſo gar in der Ausuͤbung alles Unrechts unterſtuͤ-
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nicht aus Jhrer jetzigen Abneigung ſchlieſſen, daß
Sie kuͤnftig keine Neigung zu ihm faſſen werden:
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niger er Jhnen jetzt gefaͤllt. Er kann zum wenigſten
nicht mehr bey Jhnen herunter geſetzet werden:
allein es iſt moͤglich, daß Jhre Meynung von ihm
ſich beſſert. Wo wir uns allzu viel gutes vorſtellen,
da pflegen wir uns in unſerer Hoffnung gemeiniglich
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/567>, abgerufen am 16.07.2024.
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