[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.haben ungestalte Stutzer gesehen, die von ihrer Per- son eben so eingenommen waren, als er, und die dadurch, daß sie schön thun wollten, ihre Fehler nur noch mehr verriethen. Derjenige der für besser angesehen seyn will, als er in der That ist, veran- lasset gemeiniglich unsere tadelsüchtige Neugier ihn sehr genau zu untersuchen, und ziehet sich Verach- tung zu: denn der Hochmuth ist ein untrügliches Zei- chen eines Mangels oder Schwäche, und verräth, daß in dem Kopfe oder in dem Hertzen etwas unge- staltes anzutreffen sey. Wer sich selbst erhöhet, der will seinen Nächsten erniedrigen, und reitzt dadurch jenen, ihm selbst die Vorzüge streitig zu machen, die ihm niemand leugnen würde, wenn er bescheiden wäre. Sie werden mich für sehr ernsthaft ansehen, und Jch werde Jhnen in meinem vorigen Briefe schon Zweifel M m 3
haben ungeſtalte Stutzer geſehen, die von ihrer Per- ſon eben ſo eingenommen waren, als er, und die dadurch, daß ſie ſchoͤn thun wollten, ihre Fehler nur noch mehr verriethen. Derjenige der fuͤr beſſer angeſehen ſeyn will, als er in der That iſt, veran- laſſet gemeiniglich unſere tadelſuͤchtige Neugier ihn ſehr genau zu unterſuchen, und ziehet ſich Verach- tung zu: denn der Hochmuth iſt ein untruͤgliches Zei- chen eines Mangels oder Schwaͤche, und verraͤth, daß in dem Kopfe oder in dem Hertzen etwas unge- ſtaltes anzutreffen ſey. Wer ſich ſelbſt erhoͤhet, der will ſeinen Naͤchſten erniedrigen, und reitzt dadurch jenen, ihm ſelbſt die Vorzuͤge ſtreitig zu machen, die ihm niemand leugnen wuͤrde, wenn er beſcheiden waͤre. Sie werden mich fuͤr ſehr ernſthaft anſehen, und Jch werde Jhnen in meinem vorigen Briefe ſchon Zweifel M m 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0563" n="549"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> haben ungeſtalte Stutzer geſehen, die von ihrer Per-<lb/> ſon eben ſo eingenommen waren, als er, und die<lb/> dadurch, daß ſie ſchoͤn thun wollten, ihre Fehler<lb/> nur noch mehr verriethen. Derjenige der fuͤr beſſer<lb/> angeſehen ſeyn will, als er in der That iſt, veran-<lb/> laſſet gemeiniglich unſere tadelſuͤchtige Neugier ihn<lb/> ſehr genau zu unterſuchen, und ziehet ſich Verach-<lb/> tung zu: denn der Hochmuth iſt ein untruͤgliches Zei-<lb/> chen eines Mangels oder Schwaͤche, und verraͤth,<lb/> daß in dem Kopfe oder in dem Hertzen etwas unge-<lb/> ſtaltes anzutreffen ſey. Wer ſich ſelbſt erhoͤhet, der<lb/> will ſeinen Naͤchſten erniedrigen, und reitzt dadurch<lb/> jenen, ihm ſelbſt die Vorzuͤge ſtreitig zu machen,<lb/> die ihm niemand leugnen wuͤrde, wenn er beſcheiden<lb/> waͤre.</p><lb/> <p>Sie werden mich fuͤr ſehr ernſthaft anſehen, und<lb/> das bin ich auch. Seit dem vorigen Montage hat<lb/> Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> vieles von meiner guten Meinung<lb/> verlohren; und ich ſehe keinen Grund zu einiger Hoff-<lb/> nung, die mir angenehm waͤre. Denn bey einer ſo<lb/> groſſen Ungleichheit der Gemuͤther iſt auch die beſte<lb/> Hoffnung betruͤbt.</p><lb/> <p>Jch werde Jhnen in meinem vorigen Briefe ſchon<lb/> gemeldet haben, daß meine Kleider angekommen<lb/> ſind: ich weiß aber nicht gewiß, ob ich es gethan ha-<lb/> be, weil ich allzuſehr uͤber Jhren Brief erſchrack.<lb/> Jch bekam ſie an dem Donnerſtage, allein weder<lb/> meine wenigen <hi rendition="#fr">Guineas</hi> noch die Buͤcher waren<lb/> dabey, ausgenommen den <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Drexelius</hi></hi> <hi rendition="#fr">von der<lb/> Ewigkeit,</hi> das gute alte Buch, <hi rendition="#fr">das thaͤtige<lb/> Chriſtenthum,</hi> und das <hi rendition="#fr">Ende des Spira.</hi> Ohne<lb/> <fw place="bottom" type="sig">M m 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Zweifel</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [549/0563]
haben ungeſtalte Stutzer geſehen, die von ihrer Per-
ſon eben ſo eingenommen waren, als er, und die
dadurch, daß ſie ſchoͤn thun wollten, ihre Fehler
nur noch mehr verriethen. Derjenige der fuͤr beſſer
angeſehen ſeyn will, als er in der That iſt, veran-
laſſet gemeiniglich unſere tadelſuͤchtige Neugier ihn
ſehr genau zu unterſuchen, und ziehet ſich Verach-
tung zu: denn der Hochmuth iſt ein untruͤgliches Zei-
chen eines Mangels oder Schwaͤche, und verraͤth,
daß in dem Kopfe oder in dem Hertzen etwas unge-
ſtaltes anzutreffen ſey. Wer ſich ſelbſt erhoͤhet, der
will ſeinen Naͤchſten erniedrigen, und reitzt dadurch
jenen, ihm ſelbſt die Vorzuͤge ſtreitig zu machen,
die ihm niemand leugnen wuͤrde, wenn er beſcheiden
waͤre.
Sie werden mich fuͤr ſehr ernſthaft anſehen, und
das bin ich auch. Seit dem vorigen Montage hat
Herr Lovelace vieles von meiner guten Meinung
verlohren; und ich ſehe keinen Grund zu einiger Hoff-
nung, die mir angenehm waͤre. Denn bey einer ſo
groſſen Ungleichheit der Gemuͤther iſt auch die beſte
Hoffnung betruͤbt.
Jch werde Jhnen in meinem vorigen Briefe ſchon
gemeldet haben, daß meine Kleider angekommen
ſind: ich weiß aber nicht gewiß, ob ich es gethan ha-
be, weil ich allzuſehr uͤber Jhren Brief erſchrack.
Jch bekam ſie an dem Donnerſtage, allein weder
meine wenigen Guineas noch die Buͤcher waren
dabey, ausgenommen den Drexelius von der
Ewigkeit, das gute alte Buch, das thaͤtige
Chriſtenthum, und das Ende des Spira. Ohne
Zweifel
M m 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |