Der vier und siebenzigste Brief von Herrn Belford an Herrn Robert Lovelace.
Edgware, Dienstags Abends den 2. May.
Wir erwarten den Brief nicht, in welchem du uns das Urtheil der Fräulein über uns be- richten sollst: sondern ich ergreife so gleich die Feder, um dir unser gemeinschaftliches Urtheil von ihr zu melden: daß kein Frauenzimmer in der Welt von ihren Jahren mit ihr am Verstande könne verglichen werden. Was die Gestalt betrifft, so ist sie eben in dem blühenden Alter, und eine bewundernswürdi- ge, eine recht vollkommene Schönheit: allein dieses ist nur ihr geringeres Lob, welches ihr zu geben sich derjenige beynahe schämet, der die Ehre gehabt hat, sie zu sprechen: und auch wir sind so gesinnet, ob sie gleich wider ihren Willen unter uns gebracht war.
Erlaube mir, mein lieber Lovelace, daß ich das Mittel bin, dieses unvergleichliche Kind von einer Gefahr zu retten, der es alle Stunden unterworfen ist, und die ihr das betrüglichste und listigste Hertz, das ich je gekannt habe, zubereitet. Jch habe mich ehemals auf deine eigene Familie, und insonderheit auf den Wunsch des Lord M. beruffen, ehe ich die Fräulein noch selbst gesehen hatte: allein nun bitte ich dich auch um ihrentwillen, um deiner Ehre wil- len, um der Gerechtigkeit, Edelmüthigkeit, Danck- barkeit und Menschlichkeit willen; denn alle diese Tugenden sind in der That Vorbitterinnen deiner Geliebten. Du kannst dir nicht vorstellen, was
für
Der vier und ſiebenzigſte Brief von Herrn Belford an Herrn Robert Lovelace.
Edgware, Dienſtags Abends den 2. May.
Wir erwarten den Brief nicht, in welchem du uns das Urtheil der Fraͤulein uͤber uns be- richten ſollſt: ſondern ich ergreife ſo gleich die Feder, um dir unſer gemeinſchaftliches Urtheil von ihr zu melden: daß kein Frauenzimmer in der Welt von ihren Jahren mit ihr am Verſtande koͤnne verglichen werden. Was die Geſtalt betrifft, ſo iſt ſie eben in dem bluͤhenden Alter, und eine bewundernswuͤrdi- ge, eine recht vollkommene Schoͤnheit: allein dieſes iſt nur ihr geringeres Lob, welches ihr zu geben ſich derjenige beynahe ſchaͤmet, der die Ehre gehabt hat, ſie zu ſprechen: und auch wir ſind ſo geſinnet, ob ſie gleich wider ihren Willen unter uns gebracht war.
Erlaube mir, mein lieber Lovelace, daß ich das Mittel bin, dieſes unvergleichliche Kind von einer Gefahr zu retten, der es alle Stunden unterworfen iſt, und die ihr das betruͤglichſte und liſtigſte Hertz, das ich je gekannt habe, zubereitet. Jch habe mich ehemals auf deine eigene Familie, und inſonderheit auf den Wunſch des Lord M. beruffen, ehe ich die Fraͤulein noch ſelbſt geſehen hatte: allein nun bitte ich dich auch um ihrentwillen, um deiner Ehre wil- len, um der Gerechtigkeit, Edelmuͤthigkeit, Danck- barkeit und Menſchlichkeit willen; denn alle dieſe Tugenden ſind in der That Vorbitterinnen deiner Geliebten. Du kannſt dir nicht vorſtellen, was
fuͤr
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0546"n="532"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="2"><head><hirendition="#fr">Der vier und ſiebenzigſte Brief</hi><lb/>
von<lb/><hirendition="#fr">Herrn Belford an Herrn Robert Lovelace.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Edgware, Dienſtags Abends den 2. May.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>ir erwarten den Brief nicht, in welchem du<lb/>
uns das Urtheil der Fraͤulein uͤber uns be-<lb/>
richten ſollſt: ſondern ich ergreife ſo gleich die Feder,<lb/>
um dir unſer gemeinſchaftliches Urtheil von ihr zu<lb/>
melden: daß kein Frauenzimmer in der Welt von<lb/>
ihren Jahren mit ihr am Verſtande koͤnne verglichen<lb/>
werden. Was die Geſtalt betrifft, ſo iſt ſie eben in<lb/>
dem bluͤhenden Alter, und eine bewundernswuͤrdi-<lb/>
ge, eine recht vollkommene Schoͤnheit: allein dieſes<lb/>
iſt nur ihr geringeres Lob, welches ihr zu geben ſich<lb/>
derjenige beynahe ſchaͤmet, der die Ehre gehabt hat,<lb/>ſie zu ſprechen: und auch wir ſind ſo geſinnet, ob ſie<lb/>
gleich wider ihren Willen unter uns gebracht war.</p><lb/><p>Erlaube mir, mein lieber <hirendition="#fr">Lovelace,</hi> daß ich das<lb/>
Mittel bin, dieſes unvergleichliche Kind von einer<lb/>
Gefahr zu retten, der es alle Stunden unterworfen<lb/>
iſt, und die ihr das betruͤglichſte und liſtigſte Hertz,<lb/>
das ich je gekannt habe, zubereitet. Jch habe mich<lb/>
ehemals auf deine eigene Familie, und inſonderheit<lb/>
auf den Wunſch des Lord M. beruffen, ehe ich die<lb/>
Fraͤulein noch ſelbſt geſehen hatte: allein nun bitte<lb/>
ich dich auch um ihrentwillen, um deiner Ehre wil-<lb/>
len, um der Gerechtigkeit, Edelmuͤthigkeit, Danck-<lb/>
barkeit und Menſchlichkeit willen; denn alle dieſe<lb/>
Tugenden ſind in der That Vorbitterinnen deiner<lb/>
Geliebten. Du kannſt dir nicht vorſtellen, was<lb/><fwplace="bottom"type="catch">fuͤr</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[532/0546]
Der vier und ſiebenzigſte Brief
von
Herrn Belford an Herrn Robert Lovelace.
Edgware, Dienſtags Abends den 2. May.
Wir erwarten den Brief nicht, in welchem du
uns das Urtheil der Fraͤulein uͤber uns be-
richten ſollſt: ſondern ich ergreife ſo gleich die Feder,
um dir unſer gemeinſchaftliches Urtheil von ihr zu
melden: daß kein Frauenzimmer in der Welt von
ihren Jahren mit ihr am Verſtande koͤnne verglichen
werden. Was die Geſtalt betrifft, ſo iſt ſie eben in
dem bluͤhenden Alter, und eine bewundernswuͤrdi-
ge, eine recht vollkommene Schoͤnheit: allein dieſes
iſt nur ihr geringeres Lob, welches ihr zu geben ſich
derjenige beynahe ſchaͤmet, der die Ehre gehabt hat,
ſie zu ſprechen: und auch wir ſind ſo geſinnet, ob ſie
gleich wider ihren Willen unter uns gebracht war.
Erlaube mir, mein lieber Lovelace, daß ich das
Mittel bin, dieſes unvergleichliche Kind von einer
Gefahr zu retten, der es alle Stunden unterworfen
iſt, und die ihr das betruͤglichſte und liſtigſte Hertz,
das ich je gekannt habe, zubereitet. Jch habe mich
ehemals auf deine eigene Familie, und inſonderheit
auf den Wunſch des Lord M. beruffen, ehe ich die
Fraͤulein noch ſelbſt geſehen hatte: allein nun bitte
ich dich auch um ihrentwillen, um deiner Ehre wil-
len, um der Gerechtigkeit, Edelmuͤthigkeit, Danck-
barkeit und Menſchlichkeit willen; denn alle dieſe
Tugenden ſind in der That Vorbitterinnen deiner
Geliebten. Du kannſt dir nicht vorſtellen, was
fuͤr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/546>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.