der Wahrheit des Spruchs, daß ein treuer Freund eine Artzney des Lebens sey!
Jhr Bote traf mich eben an, als ich wegreifen wollte, und die Kutsche schon vor der Thür stand. Jch habe schon von der Ehrlichen Frau Abschied genommen, sie hat die Gütigkeit schon gehabt, mir ihre älteste Tochter zur Gesellschaft mit zu geben, denn Herr Lovelace reitet bey dem Wagen her. Jn zwey oder drey Tagen soll diese Jungfer mit eben der Gelegenheit wieder zurück auf des Lord M. Gü- ter in der Grafschaft Hertford gebracht werden.
Jch bekam den fürchterlichen Brief am Sonn- tage, als Herr Lovelace nicht zu Hause war. Als er nach Hause kam, sahe er meinen ungemeinen grossen Kummer, und hörte, daß ich vorhin noch schlimmer gewesen sey. Denn zweymahl war ich in Ohnmacht gefallen. Jch glaube, daß nicht allein mein Hertz, sondern auch mein Haupt dabey gelitten hat.
Er gab sich viele Mühe, den Brief selbst zu sehen zu bekommen: ich wollte es aber wegen der darinn enthaltenen Drohungen nicht zu geben. Jn- dessen verursachte die Würckung des Briefes an mir, daß er in Verwünschungen und Drohungen ausbrach. Jch war so kranck, daß er mir selbst rieth, nicht den Montag abzureisen, sondern meine Reise einen Tag aufzuschieben.
Er ist jetzt gegen mich sehr ehrerbietig und zärt- lich: Der Brief hat alle die Folgen gehabt, welche Sie erwartet haben. Er hat mich auf eine so deutliche Art um die Ehe angesprochen, daß mich
man-
der Wahrheit des Spruchs, daß ein treuer Freund eine Artzney des Lebens ſey!
Jhr Bote traf mich eben an, als ich wegreifen wollte, und die Kutſche ſchon vor der Thuͤr ſtand. Jch habe ſchon von der Ehrlichen Frau Abſchied genommen, ſie hat die Guͤtigkeit ſchon gehabt, mir ihre aͤlteſte Tochter zur Geſellſchaft mit zu geben, denn Herr Lovelace reitet bey dem Wagen her. Jn zwey oder drey Tagen ſoll dieſe Jungfer mit eben der Gelegenheit wieder zuruͤck auf des Lord M. Guͤ- ter in der Grafſchaft Hertford gebracht werden.
Jch bekam den fuͤrchterlichen Brief am Sonn- tage, als Herr Lovelace nicht zu Hauſe war. Als er nach Hauſe kam, ſahe er meinen ungemeinen groſſen Kummer, und hoͤrte, daß ich vorhin noch ſchlimmer geweſen ſey. Denn zweymahl war ich in Ohnmacht gefallen. Jch glaube, daß nicht allein mein Hertz, ſondern auch mein Haupt dabey gelitten hat.
Er gab ſich viele Muͤhe, den Brief ſelbſt zu ſehen zu bekommen: ich wollte es aber wegen der darinn enthaltenen Drohungen nicht zu geben. Jn- deſſen verurſachte die Wuͤrckung des Briefes an mir, daß er in Verwuͤnſchungen und Drohungen ausbrach. Jch war ſo kranck, daß er mir ſelbſt rieth, nicht den Montag abzureiſen, ſondern meine Reiſe einen Tag aufzuſchieben.
Er iſt jetzt gegen mich ſehr ehrerbietig und zaͤrt- lich: Der Brief hat alle die Folgen gehabt, welche Sie erwartet haben. Er hat mich auf eine ſo deutliche Art um die Ehe angeſprochen, daß mich
man-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0425"n="411"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
der Wahrheit des Spruchs, daß ein treuer<lb/><hirendition="#fr">Freund eine Artzney des Lebens ſey!</hi></p><lb/><p>Jhr Bote traf mich eben an, als ich wegreifen<lb/>
wollte, und die Kutſche ſchon vor der Thuͤr ſtand.<lb/>
Jch habe ſchon von der Ehrlichen Frau Abſchied<lb/>
genommen, ſie hat die Guͤtigkeit ſchon gehabt, mir<lb/>
ihre aͤlteſte Tochter zur Geſellſchaft mit zu geben,<lb/>
denn Herr <hirendition="#fr">Lovelace</hi> reitet bey dem Wagen her.<lb/>
Jn zwey oder drey Tagen ſoll dieſe Jungfer mit eben<lb/>
der Gelegenheit wieder zuruͤck auf des Lord M. Guͤ-<lb/>
ter in der Grafſchaft <hirendition="#fr">Hertford</hi> gebracht werden.</p><lb/><p>Jch bekam den fuͤrchterlichen Brief am Sonn-<lb/>
tage, als Herr <hirendition="#fr">Lovelace</hi> nicht zu Hauſe war. Als<lb/>
er nach Hauſe kam, ſahe er meinen ungemeinen<lb/>
groſſen Kummer, und hoͤrte, daß ich vorhin noch<lb/>ſchlimmer geweſen ſey. Denn zweymahl war ich<lb/>
in Ohnmacht gefallen. Jch glaube, daß nicht<lb/>
allein mein Hertz, ſondern auch mein Haupt dabey<lb/>
gelitten hat.</p><lb/><p>Er gab ſich viele Muͤhe, den Brief ſelbſt zu<lb/>ſehen zu bekommen: ich wollte es aber wegen der<lb/>
darinn enthaltenen Drohungen nicht zu geben. Jn-<lb/>
deſſen verurſachte die Wuͤrckung des Briefes an<lb/>
mir, daß er in Verwuͤnſchungen und Drohungen<lb/>
ausbrach. Jch war ſo kranck, daß er mir ſelbſt<lb/>
rieth, nicht den Montag abzureiſen, ſondern meine<lb/>
Reiſe einen Tag aufzuſchieben.</p><lb/><p>Er iſt jetzt gegen mich ſehr ehrerbietig und zaͤrt-<lb/>
lich: Der Brief hat alle die Folgen gehabt, welche<lb/>
Sie erwartet haben. Er hat mich auf eine ſo<lb/>
deutliche Art um die Ehe angeſprochen, daß mich<lb/><fwplace="bottom"type="catch">man-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[411/0425]
der Wahrheit des Spruchs, daß ein treuer
Freund eine Artzney des Lebens ſey!
Jhr Bote traf mich eben an, als ich wegreifen
wollte, und die Kutſche ſchon vor der Thuͤr ſtand.
Jch habe ſchon von der Ehrlichen Frau Abſchied
genommen, ſie hat die Guͤtigkeit ſchon gehabt, mir
ihre aͤlteſte Tochter zur Geſellſchaft mit zu geben,
denn Herr Lovelace reitet bey dem Wagen her.
Jn zwey oder drey Tagen ſoll dieſe Jungfer mit eben
der Gelegenheit wieder zuruͤck auf des Lord M. Guͤ-
ter in der Grafſchaft Hertford gebracht werden.
Jch bekam den fuͤrchterlichen Brief am Sonn-
tage, als Herr Lovelace nicht zu Hauſe war. Als
er nach Hauſe kam, ſahe er meinen ungemeinen
groſſen Kummer, und hoͤrte, daß ich vorhin noch
ſchlimmer geweſen ſey. Denn zweymahl war ich
in Ohnmacht gefallen. Jch glaube, daß nicht
allein mein Hertz, ſondern auch mein Haupt dabey
gelitten hat.
Er gab ſich viele Muͤhe, den Brief ſelbſt zu
ſehen zu bekommen: ich wollte es aber wegen der
darinn enthaltenen Drohungen nicht zu geben. Jn-
deſſen verurſachte die Wuͤrckung des Briefes an
mir, daß er in Verwuͤnſchungen und Drohungen
ausbrach. Jch war ſo kranck, daß er mir ſelbſt
rieth, nicht den Montag abzureiſen, ſondern meine
Reiſe einen Tag aufzuſchieben.
Er iſt jetzt gegen mich ſehr ehrerbietig und zaͤrt-
lich: Der Brief hat alle die Folgen gehabt, welche
Sie erwartet haben. Er hat mich auf eine ſo
deutliche Art um die Ehe angeſprochen, daß mich
man-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/425>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.