Jch sagte: ich setzte zum voraus, daß er mei- nen richtigen Schlüssen beypflichtete, und entschlos- sen wäre, mich allein zu lassen. Hierauf fragte ich: was er bey ernsthafter Ueberlegung in meinen jetzi- gen Umständen für einen Rath geben wollte? Er könnte leicht mercken, daß ich unentschlossen wäre. Jch sey gantz fremde in London, und hätte jetzt weder Freunde noch Rathgeber. Was ihn anlan- ge, so fehle es ihm (falls ich die Wahrheit sagen dürfte) noch sehr, nicht an der Erkentniß, doch zum wenigsten an der Ausübung dessen, was man zu der Lebensart rechnete, die ich an einem Cavallier suchte.
Er glaubt, so viel ich mercke, von sich, daß er sehr viel Lebens-Art habe; und es ist ihm unerträg- lich, wenn ihm dieser Vorzug abgesprochen wird. Er warf den Mund in die Höhe: - - - es thut mir leyd, Fräulein. Ein Cavallier, ein wohlgezogener Mensch ist mit ihrer Vergünstigung (er verfärbete sich einmahl über das andere) bey ihnen mehr als bey anderen Frauenzimmern, ein solches Wunder- Thier, das man auf Erden kaum antreffen wird.
Das ist ein Unglück für sie, Herr Lovelace, und auch für mich, so lange ich in meinen jetzigen Um- ständen bin. Ein jedes Frauenzimmer, das so viel von ihnen wüßte, als ich nunmehr weiß, würde sagen, daß ihre Höflichkeit sehr unbeständig ist. (Jch nahm mir vor, seinem Hochmuth wehe zu thun, wie er es verdienet.) Sie ist ihnen ungewöhnlich. Jhre Lebens-Art überfällt sie nur mit Hitze und Frost. Man muß sie erst daran erinnern, daß sie höflich seyn sollen.
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Dritter Theil. R
Jch ſagte: ich ſetzte zum voraus, daß er mei- nen richtigen Schluͤſſen beypflichtete, und entſchlos- ſen waͤre, mich allein zu laſſen. Hierauf fragte ich: was er bey ernſthafter Ueberlegung in meinen jetzi- gen Umſtaͤnden fuͤr einen Rath geben wollte? Er koͤnnte leicht mercken, daß ich unentſchloſſen waͤre. Jch ſey gantz fremde in London, und haͤtte jetzt weder Freunde noch Rathgeber. Was ihn anlan- ge, ſo fehle es ihm (falls ich die Wahrheit ſagen duͤrfte) noch ſehr, nicht an der Erkentniß, doch zum wenigſten an der Ausuͤbung deſſen, was man zu der Lebensart rechnete, die ich an einem Cavallier ſuchte.
Er glaubt, ſo viel ich mercke, von ſich, daß er ſehr viel Lebens-Art habe; und es iſt ihm unertraͤg- lich, wenn ihm dieſer Vorzug abgeſprochen wird. Er warf den Mund in die Hoͤhe: ‒ ‒ ‒ es thut mir leyd, Fraͤulein. Ein Cavallier, ein wohlgezogener Menſch iſt mit ihrer Verguͤnſtigung (er verfaͤrbete ſich einmahl uͤber das andere) bey ihnen mehr als bey anderen Frauenzimmern, ein ſolches Wunder- Thier, das man auf Erden kaum antreffen wird.
Das iſt ein Ungluͤck fuͤr ſie, Herr Lovelace, und auch fuͤr mich, ſo lange ich in meinen jetzigen Um- ſtaͤnden bin. Ein jedes Frauenzimmer, das ſo viel von ihnen wuͤßte, als ich nunmehr weiß, wuͤrde ſagen, daß ihre Hoͤflichkeit ſehr unbeſtaͤndig iſt. (Jch nahm mir vor, ſeinem Hochmuth wehe zu thun, wie er es verdienet.) Sie iſt ihnen ungewoͤhnlich. Jhre Lebens-Art uͤberfaͤllt ſie nur mit Hitze und Froſt. Man muß ſie erſt daran erinnern, daß ſie hoͤflich ſeyn ſollen.
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Jch ſagte: ich ſetzte zum voraus, daß er mei-
nen richtigen Schluͤſſen beypflichtete, und entſchlos-
ſen waͤre, mich allein zu laſſen. Hierauf fragte ich:
was er bey ernſthafter Ueberlegung in meinen jetzi-
gen Umſtaͤnden fuͤr einen Rath geben wollte? Er
koͤnnte leicht mercken, daß ich unentſchloſſen waͤre.
Jch ſey gantz fremde in London, und haͤtte jetzt
weder Freunde noch Rathgeber. Was ihn anlan-
ge, ſo fehle es ihm (falls ich die Wahrheit ſagen
duͤrfte) noch ſehr, nicht an der Erkentniß, doch zum
wenigſten an der Ausuͤbung deſſen, was man zu der
Lebensart rechnete, die ich an einem Cavallier ſuchte.
Er glaubt, ſo viel ich mercke, von ſich, daß er
ſehr viel Lebens-Art habe; und es iſt ihm unertraͤg-
lich, wenn ihm dieſer Vorzug abgeſprochen wird.
Er warf den Mund in die Hoͤhe: ‒ ‒ ‒ es thut mir
leyd, Fraͤulein. Ein Cavallier, ein wohlgezogener
Menſch iſt mit ihrer Verguͤnſtigung (er verfaͤrbete
ſich einmahl uͤber das andere) bey ihnen mehr als
bey anderen Frauenzimmern, ein ſolches Wunder-
Thier, das man auf Erden kaum antreffen wird.
Das iſt ein Ungluͤck fuͤr ſie, Herr Lovelace, und
auch fuͤr mich, ſo lange ich in meinen jetzigen Um-
ſtaͤnden bin. Ein jedes Frauenzimmer, das ſo viel
von ihnen wuͤßte, als ich nunmehr weiß, wuͤrde
ſagen, daß ihre Hoͤflichkeit ſehr unbeſtaͤndig iſt. (Jch
nahm mir vor, ſeinem Hochmuth wehe zu thun,
wie er es verdienet.) Sie iſt ihnen ungewoͤhnlich.
Jhre Lebens-Art uͤberfaͤllt ſie nur mit Hitze und
Froſt. Man muß ſie erſt daran erinnern, daß ſie
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/271>, abgerufen am 24.11.2024.
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