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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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Jch will aber nicht hoffen, daß er ein so garsti-
ges Gemüth hat, sich an einer von allem Schutz
entblößten Person auf eine so niedrige Art zu rä-
chen. Daß ich ihm so viel Mühe vrrursachet habe,
das mag er sich selbst dancken, und es für eine Fol-
ge der übeln Nachrede ansehen, die meinem Bruder
einen Vorwand gab, seinen Groll zu beschönigen.
Habe ich ihn jemahls etwas versprochen? Habe
ich einigen Wunsch gehabt, daß er in seiner Nei-
gung gegen mich beständig seyn möchte? Würde
ich nicht meine Absicht erreichet haben, ihn durch
meine Kaltsinnigkeit so zu ermüden, und den hoch-
müthigen Menschen so zum Verdruß zu reitzen,
daß er sich nach London würde begeben haben,
wenn mir nur die Hitze meines Bruders nicht das
Spiel verdorben hätte? Würden nicht alle seine
Ansprüche und Hoffnung ein Ende gehabt haben,
wenn er einmahl in London gewesen wäre? denn
ich würde ihm nicht die geringste Hoffnung gemacht
haben; wie ich denn auch dazumahl keine Briefe
mit ihm wechselte. Jch würde auch keinen An-
fang gemacht haben Briefe von ihm anzunehmen,
oder an ihn zu schreiben, wenn nicht die unglückli-
che Schlägerey vorgegangen wäre, die mich thö-
richtes unverständiges Kind nicht um meinet son-
dern um anderer willen zu dem verbotenen Brief-
wechsel brachte. Glauben Sie wohl, daß dieser
Briefwechsel, der nur von kurtzer Dauer seyn soll-
te, und zu dem ich meiner Mutter Vergünstigung
hatte, ein solches Ende genommen haben würde,
wenn ich nicht von beyden Seiten gezwungen wäre,

ihn


Jch will aber nicht hoffen, daß er ein ſo garſti-
ges Gemuͤth hat, ſich an einer von allem Schutz
entbloͤßten Perſon auf eine ſo niedrige Art zu raͤ-
chen. Daß ich ihm ſo viel Muͤhe vrrurſachet habe,
das mag er ſich ſelbſt dancken, und es fuͤr eine Fol-
ge der uͤbeln Nachrede anſehen, die meinem Bruder
einen Vorwand gab, ſeinen Groll zu beſchoͤnigen.
Habe ich ihn jemahls etwas verſprochen? Habe
ich einigen Wunſch gehabt, daß er in ſeiner Nei-
gung gegen mich beſtaͤndig ſeyn moͤchte? Wuͤrde
ich nicht meine Abſicht erreichet haben, ihn durch
meine Kaltſinnigkeit ſo zu ermuͤden, und den hoch-
muͤthigen Menſchen ſo zum Verdruß zu reitzen,
daß er ſich nach London wuͤrde begeben haben,
wenn mir nur die Hitze meines Bruders nicht das
Spiel verdorben haͤtte? Wuͤrden nicht alle ſeine
Anſpruͤche und Hoffnung ein Ende gehabt haben,
wenn er einmahl in London geweſen waͤre? denn
ich wuͤrde ihm nicht die geringſte Hoffnung gemacht
haben; wie ich denn auch dazumahl keine Briefe
mit ihm wechſelte. Jch wuͤrde auch keinen An-
fang gemacht haben Briefe von ihm anzunehmen,
oder an ihn zu ſchreiben, wenn nicht die ungluͤckli-
che Schlaͤgerey vorgegangen waͤre, die mich thoͤ-
richtes unverſtaͤndiges Kind nicht um meinet ſon-
dern um anderer willen zu dem verbotenen Brief-
wechſel brachte. Glauben Sie wohl, daß dieſer
Briefwechſel, der nur von kurtzer Dauer ſeyn ſoll-
te, und zu dem ich meiner Mutter Verguͤnſtigung
hatte, ein ſolches Ende genommen haben wuͤrde,
wenn ich nicht von beyden Seiten gezwungen waͤre,

ihn
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[189/0203] Jch will aber nicht hoffen, daß er ein ſo garſti- ges Gemuͤth hat, ſich an einer von allem Schutz entbloͤßten Perſon auf eine ſo niedrige Art zu raͤ- chen. Daß ich ihm ſo viel Muͤhe vrrurſachet habe, das mag er ſich ſelbſt dancken, und es fuͤr eine Fol- ge der uͤbeln Nachrede anſehen, die meinem Bruder einen Vorwand gab, ſeinen Groll zu beſchoͤnigen. Habe ich ihn jemahls etwas verſprochen? Habe ich einigen Wunſch gehabt, daß er in ſeiner Nei- gung gegen mich beſtaͤndig ſeyn moͤchte? Wuͤrde ich nicht meine Abſicht erreichet haben, ihn durch meine Kaltſinnigkeit ſo zu ermuͤden, und den hoch- muͤthigen Menſchen ſo zum Verdruß zu reitzen, daß er ſich nach London wuͤrde begeben haben, wenn mir nur die Hitze meines Bruders nicht das Spiel verdorben haͤtte? Wuͤrden nicht alle ſeine Anſpruͤche und Hoffnung ein Ende gehabt haben, wenn er einmahl in London geweſen waͤre? denn ich wuͤrde ihm nicht die geringſte Hoffnung gemacht haben; wie ich denn auch dazumahl keine Briefe mit ihm wechſelte. Jch wuͤrde auch keinen An- fang gemacht haben Briefe von ihm anzunehmen, oder an ihn zu ſchreiben, wenn nicht die ungluͤckli- che Schlaͤgerey vorgegangen waͤre, die mich thoͤ- richtes unverſtaͤndiges Kind nicht um meinet ſon- dern um anderer willen zu dem verbotenen Brief- wechſel brachte. Glauben Sie wohl, daß dieſer Briefwechſel, der nur von kurtzer Dauer ſeyn ſoll- te, und zu dem ich meiner Mutter Verguͤnſtigung hatte, ein ſolches Ende genommen haben wuͤrde, wenn ich nicht von beyden Seiten gezwungen waͤre, ihn

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/203>, abgerufen am 21.11.2024.