jetzt in seiner Gewalt hat. Du weißst, daß ich schon vorhin zweifelhaftig war, und die Wage- Schale bald auf diese bald auf jene Seite den Aus- schlag gab. Jch wollte nur sehen, was ihr Hertz wircken und wie mich mein Hertz führen würde. Du siehest wohin sich ihr Hertz lencket; kannst du zweifeln, ob sich das meinige eben so entschliessen werde? hatte sie nicht vorher eine genugsame Last der Sünden? Warum zwinget sie mich, daß ich an das vergangene zurück dencken muß.
Jch will die Sache bey mir überlegen, und dir meine Entschliessung berichten.
Wenn du nur wüßtest, wenn du nur mit Augen gesehen hättest, wie sie mit mir als mit dem aller- niedrigsten Sclaven umgegangen ist. Jch hatte mir zu viel herausgenommen; wie sie es nennete: allein es zeigete dieses blos meine Liebe zu ihr an, und daß ich ohne ihre Gesellschaft nicht leben könn- te. Sie rächete sich an mir, und erniedrigte mich recht. Jch mußte mich umsehen, ohne daß ich ein Wort sagen konnte. Wahrlich sie hatte so vielen Vortheil über mich, und gab mir so empfindliche Antworten, daß ich mich kaum mit einem Worte verantworten konnte. Jch schäme mich es dir zu sagen, wie armseelig ich aussahe. Allein, wenn sie nur an einem andern Orte und in anderer Ge- sellschaft gewesen wäre, so hätte ich ihr etwas sagen können, das ihren Stoltz gedemüthiget ha- ben würde.
An einen solchen Ort muß ich sie bringen; an ei- nen Ort, da sie mich nicht fliehen kann. Da
muß
jetzt in ſeiner Gewalt hat. Du weißſt, daß ich ſchon vorhin zweifelhaftig war, und die Wage- Schale bald auf dieſe bald auf jene Seite den Aus- ſchlag gab. Jch wollte nur ſehen, was ihr Hertz wircken und wie mich mein Hertz fuͤhren wuͤrde. Du ſieheſt wohin ſich ihr Hertz lencket; kannſt du zweifeln, ob ſich das meinige eben ſo entſchlieſſen werde? hatte ſie nicht vorher eine genugſame Laſt der Suͤnden? Warum zwinget ſie mich, daß ich an das vergangene zuruͤck dencken muß.
Jch will die Sache bey mir uͤberlegen, und dir meine Entſchlieſſung berichten.
Wenn du nur wuͤßteſt, wenn du nur mit Augen geſehen haͤtteſt, wie ſie mit mir als mit dem aller- niedrigſten Sclaven umgegangen iſt. Jch hatte mir zu viel herausgenommen; wie ſie es nennete: allein es zeigete dieſes blos meine Liebe zu ihr an, und daß ich ohne ihre Geſellſchaft nicht leben koͤnn- te. Sie raͤchete ſich an mir, und erniedrigte mich recht. Jch mußte mich umſehen, ohne daß ich ein Wort ſagen konnte. Wahrlich ſie hatte ſo vielen Vortheil uͤber mich, und gab mir ſo empfindliche Antworten, daß ich mich kaum mit einem Worte verantworten konnte. Jch ſchaͤme mich es dir zu ſagen, wie armſeelig ich ausſahe. Allein, wenn ſie nur an einem andern Orte und in anderer Ge- ſellſchaft geweſen waͤre, ſo haͤtte ich ihr etwas ſagen koͤnnen, das ihren Stoltz gedemuͤthiget ha- ben wuͤrde.
An einen ſolchen Ort muß ich ſie bringen; an ei- nen Ort, da ſie mich nicht fliehen kann. Da
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jetzt in ſeiner Gewalt hat. Du weißſt, daß ich
ſchon vorhin zweifelhaftig war, und die Wage-
Schale bald auf dieſe bald auf jene Seite den Aus-
ſchlag gab. Jch wollte nur ſehen, was ihr Hertz
wircken und wie mich mein Hertz fuͤhren wuͤrde.
Du ſieheſt wohin ſich ihr Hertz lencket; kannſt du
zweifeln, ob ſich das meinige eben ſo entſchlieſſen
werde? hatte ſie nicht vorher eine genugſame Laſt
der Suͤnden? Warum zwinget ſie mich, daß ich
an das vergangene zuruͤck dencken muß.
Jch will die Sache bey mir uͤberlegen, und dir
meine Entſchlieſſung berichten.
Wenn du nur wuͤßteſt, wenn du nur mit Augen
geſehen haͤtteſt, wie ſie mit mir als mit dem aller-
niedrigſten Sclaven umgegangen iſt. Jch hatte
mir zu viel herausgenommen; wie ſie es nennete:
allein es zeigete dieſes blos meine Liebe zu ihr an,
und daß ich ohne ihre Geſellſchaft nicht leben koͤnn-
te. Sie raͤchete ſich an mir, und erniedrigte mich
recht. Jch mußte mich umſehen, ohne daß ich ein
Wort ſagen konnte. Wahrlich ſie hatte ſo vielen
Vortheil uͤber mich, und gab mir ſo empfindliche
Antworten, daß ich mich kaum mit einem Worte
verantworten konnte. Jch ſchaͤme mich es dir
zu ſagen, wie armſeelig ich ausſahe. Allein, wenn
ſie nur an einem andern Orte und in anderer Ge-
ſellſchaft geweſen waͤre, ſo haͤtte ich ihr etwas
ſagen koͤnnen, das ihren Stoltz gedemuͤthiget ha-
ben wuͤrde.
An einen ſolchen Ort muß ich ſie bringen; an ei-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/173>, abgerufen am 21.11.2024.
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