Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.

Ob es gleich finster ist, will ich doch unter dem
Vorwand hinunter geben, frische Luft zu schö-
pfen, und mich ein wenig zu erholen. Jch hoffe,
daß Robert meine beyden Brieffe schon abge-
holet hat, und ich will diesen und Herrn Lo-
velaces
Brief hinlegen, weil ich eine neue Durch-
su chung befürchte.

Jch weiß nicht, was ich anfangen soll. Alles
ist so ausserordentlich geschäftig. Die Thüren
sind verschlossen; aus einer Stube gehen sie in
die andere, und das mit einer sonderbaren und
Geheimnißvollen Eilfertigkeit. Elisabeth ist
in einer halben Stunde zweymahl bey mir ge-
wesen, und hatte ihre gefährliche Mine, als wenn
ein grosses Unglück vorhanden wäre; das zwey-
te mahl ward sie von Schorey herunter ge-
ruffen, und geberdete sich bey dem weggehen noch
gefährlicher. Vielleicht ist alles dieses ein Nichts,
und erreget mir eine unnöthige Furcht: Sie
kommt schon mit ihren tiefgeholten Seufzern
wieder.

Das wunderliche Mädchen läßt sich einige
dunckle Worte entfahren: sie will aber nichts
weiter sagen. "Wie? wenn sich der artige Han-
"del gar auf Mord und Todschlag endigte! Jch
"werde vielleicht Ursache haben, meine Wider-
"spenstigkeit zu beweinen, so lange ich lebe. El-
"tern werden sich ihre Kinder nicht durch unver-
"schämte Freyer abtrotzen lassen; und es ist
"auch recht, daß sie das nicht thun. Es kan

mir
B b 2
der Clariſſa.

Ob es gleich finſter iſt, will ich doch unter dem
Vorwand hinunter geben, friſche Luft zu ſchoͤ-
pfen, und mich ein wenig zu erholen. Jch hoffe,
daß Robert meine beyden Brieffe ſchon abge-
holet hat, und ich will dieſen und Herrn Lo-
velaces
Brief hinlegen, weil ich eine neue Durch-
ſu chung befuͤrchte.

Jch weiß nicht, was ich anfangen ſoll. Alles
iſt ſo auſſerordentlich geſchaͤftig. Die Thuͤren
ſind verſchloſſen; aus einer Stube gehen ſie in
die andere, und das mit einer ſonderbaren und
Geheimnißvollen Eilfertigkeit. Eliſabeth iſt
in einer halben Stunde zweymahl bey mir ge-
weſen, und hatte ihre gefaͤhrliche Mine, als wenn
ein groſſes Ungluͤck vorhanden waͤre; das zwey-
te mahl ward ſie von Schorey herunter ge-
ruffen, und geberdete ſich bey dem weggehen noch
gefaͤhrlicher. Vielleicht iſt alles dieſes ein Nichts,
und erreget mir eine unnoͤthige Furcht: Sie
kommt ſchon mit ihren tiefgeholten Seufzern
wieder.

Das wunderliche Maͤdchen laͤßt ſich einige
dunckle Worte entfahren: ſie will aber nichts
weiter ſagen. „Wie? wenn ſich der artige Han-
„del gar auf Mord und Todſchlag endigte! Jch
„werde vielleicht Urſache haben, meine Wider-
„ſpenſtigkeit zu beweinen, ſo lange ich lebe. El-
„tern werden ſich ihre Kinder nicht durch unver-
„ſchaͤmte Freyer abtrotzen laſſen; und es iſt
„auch recht, daß ſie das nicht thun. Es kan

mir
B b 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0393" n="387"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a</hi>.</hi> </fw><lb/>
          <p>Ob es gleich fin&#x017F;ter i&#x017F;t, will ich doch unter dem<lb/>
Vorwand hinunter geben, fri&#x017F;che Luft zu &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
pfen, und mich ein wenig zu erholen. Jch hoffe,<lb/>
daß <hi rendition="#fr">Robert</hi> meine beyden Brieffe &#x017F;chon abge-<lb/>
holet hat, und ich will die&#x017F;en und Herrn <hi rendition="#fr">Lo-<lb/>
velaces</hi> Brief hinlegen, weil ich eine neue Durch-<lb/>
&#x017F;u chung befu&#x0364;rchte.</p><lb/>
          <p>Jch weiß nicht, was ich anfangen &#x017F;oll. Alles<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;o au&#x017F;&#x017F;erordentlich ge&#x017F;cha&#x0364;ftig. Die Thu&#x0364;ren<lb/>
&#x017F;ind ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en; aus einer Stube gehen &#x017F;ie in<lb/>
die andere, und das mit einer &#x017F;onderbaren und<lb/>
Geheimnißvollen Eilfertigkeit. <hi rendition="#fr">Eli&#x017F;abeth</hi> i&#x017F;t<lb/>
in einer halben Stunde zweymahl bey mir ge-<lb/>
we&#x017F;en, und hatte ihre gefa&#x0364;hrliche Mine, als wenn<lb/>
ein gro&#x017F;&#x017F;es Unglu&#x0364;ck vorhanden wa&#x0364;re; das zwey-<lb/>
te mahl ward &#x017F;ie von <hi rendition="#fr">Schorey</hi> herunter ge-<lb/>
ruffen, und geberdete &#x017F;ich bey dem weggehen noch<lb/>
gefa&#x0364;hrlicher. Vielleicht i&#x017F;t alles die&#x017F;es ein Nichts,<lb/>
und erreget mir eine unno&#x0364;thige Furcht: Sie<lb/>
kommt &#x017F;chon mit ihren tiefgeholten Seufzern<lb/>
wieder.</p><lb/>
          <p>Das wunderliche Ma&#x0364;dchen la&#x0364;ßt &#x017F;ich einige<lb/>
dunckle Worte entfahren: &#x017F;ie will aber nichts<lb/>
weiter &#x017F;agen. &#x201E;Wie? wenn &#x017F;ich der artige Han-<lb/>
&#x201E;del gar auf Mord und Tod&#x017F;chlag endigte! Jch<lb/>
&#x201E;werde vielleicht Ur&#x017F;ache haben, meine Wider-<lb/>
&#x201E;&#x017F;pen&#x017F;tigkeit zu beweinen, &#x017F;o lange ich lebe. El-<lb/>
&#x201E;tern werden &#x017F;ich ihre Kinder nicht durch unver-<lb/>
&#x201E;&#x017F;cha&#x0364;mte Freyer abtrotzen la&#x017F;&#x017F;en; und es i&#x017F;t<lb/>
&#x201E;auch recht, daß &#x017F;ie das nicht thun. Es kan<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B b 2</fw><fw place="bottom" type="catch">mir</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[387/0393] der Clariſſa. Ob es gleich finſter iſt, will ich doch unter dem Vorwand hinunter geben, friſche Luft zu ſchoͤ- pfen, und mich ein wenig zu erholen. Jch hoffe, daß Robert meine beyden Brieffe ſchon abge- holet hat, und ich will dieſen und Herrn Lo- velaces Brief hinlegen, weil ich eine neue Durch- ſu chung befuͤrchte. Jch weiß nicht, was ich anfangen ſoll. Alles iſt ſo auſſerordentlich geſchaͤftig. Die Thuͤren ſind verſchloſſen; aus einer Stube gehen ſie in die andere, und das mit einer ſonderbaren und Geheimnißvollen Eilfertigkeit. Eliſabeth iſt in einer halben Stunde zweymahl bey mir ge- weſen, und hatte ihre gefaͤhrliche Mine, als wenn ein groſſes Ungluͤck vorhanden waͤre; das zwey- te mahl ward ſie von Schorey herunter ge- ruffen, und geberdete ſich bey dem weggehen noch gefaͤhrlicher. Vielleicht iſt alles dieſes ein Nichts, und erreget mir eine unnoͤthige Furcht: Sie kommt ſchon mit ihren tiefgeholten Seufzern wieder. Das wunderliche Maͤdchen laͤßt ſich einige dunckle Worte entfahren: ſie will aber nichts weiter ſagen. „Wie? wenn ſich der artige Han- „del gar auf Mord und Todſchlag endigte! Jch „werde vielleicht Urſache haben, meine Wider- „ſpenſtigkeit zu beweinen, ſo lange ich lebe. El- „tern werden ſich ihre Kinder nicht durch unver- „ſchaͤmte Freyer abtrotzen laſſen; und es iſt „auch recht, daß ſie das nicht thun. Es kan mir B b 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/393
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/393>, abgerufen am 25.11.2024.