Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
Denn es wollte sich nicht schicken, daß man mich
zu etwas zu überreden suchte, darein ich schon
gewilliget haben sollte. Sie sehen auch, wie
sonderbahr die Erzählung meines Bruders und
meiner Schwester von ihren vorgegebenen
freundlichen Betragen gegen mich gewesen
seyn müsse. Selbst ihre zum Schein ange-
nommene Freundlichkeit hatte Absichten zum
Grunde: und doch war ihr Widerwille gegen
mich so starck, daß sie meiner durch ihr recht ver-
liebtes Anfassen und umarmen spotten mußten,
und daß meine Schwester sich auch damahls
nicht enthalten konnte höhnisch gegen mich zu
thun, als sie den Thomas a Kempis von mir
borgen wollte.

Jch hub Hände und Augen in die Höhe, und
sagte: "ich wüßte gar nicht, welchen Nahmen
"ich für diese Aufführung ausfindig machen
"sollte? Wie wenig ist es doch vermuthlich, daß
"der Endzweck durch so niederträchtige Mittel
"erreicht werden wird? Jch weiß, von wem alle
"diese Künste herkommen! Wer meinen Onckle
"Harlowe bewegen konnte, die Person zu spie-
"len, die ihm aufgetragin ward, und meine übri-
"gen Freunde dahin bringen kan, daß sie müßi-
"ge Zuschauer abgeben, und sich alles gefallen
"lassen; der muß im Stande seyn, alles was
"er will gegen mich zu unternehmen, und meine
"Verwanten mit hinein zu ziehen."

Meine Base sagte mir abermahls: Schwa-
tzen und Schelten würde nun nichts aus-

rich-

der Clariſſa.
Denn es wollte ſich nicht ſchicken, daß man mich
zu etwas zu uͤberreden ſuchte, darein ich ſchon
gewilliget haben ſollte. Sie ſehen auch, wie
ſonderbahr die Erzaͤhlung meines Bruders und
meiner Schweſter von ihren vorgegebenen
freundlichen Betragen gegen mich geweſen
ſeyn muͤſſe. Selbſt ihre zum Schein ange-
nommene Freundlichkeit hatte Abſichten zum
Grunde: und doch war ihr Widerwille gegen
mich ſo ſtarck, daß ſie meiner durch ihr recht ver-
liebtes Anfaſſen und umarmen ſpotten mußten,
und daß meine Schweſter ſich auch damahls
nicht enthalten konnte hoͤhniſch gegen mich zu
thun, als ſie den Thomas a Kempis von mir
borgen wollte.

Jch hub Haͤnde und Augen in die Hoͤhe, und
ſagte: „ich wuͤßte gar nicht, welchen Nahmen
„ich fuͤr dieſe Auffuͤhrung ausfindig machen
„ſollte? Wie wenig iſt es doch vermuthlich, daß
„der Endzweck durch ſo niedertraͤchtige Mittel
„erreicht werden wird? Jch weiß, von wem alle
„dieſe Kuͤnſte herkommen! Wer meinen Onckle
Harlowe bewegen konnte, die Perſon zu ſpie-
„len, die ihm aufgetragin ward, und meine uͤbri-
„gen Freunde dahin bringen kan, daß ſie muͤßi-
„ge Zuſchauer abgeben, und ſich alles gefallen
„laſſen; der muß im Stande ſeyn, alles was
„er will gegen mich zu unternehmen, und meine
„Verwanten mit hinein zu ziehen.„

Meine Baſe ſagte mir abermahls: Schwa-
tzen und Schelten wuͤrde nun nichts aus-

rich-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0307" n="301"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a</hi>.</hi></fw><lb/>
Denn es wollte &#x017F;ich nicht &#x017F;chicken, daß man mich<lb/>
zu etwas zu u&#x0364;berreden &#x017F;uchte, darein ich &#x017F;chon<lb/>
gewilliget haben &#x017F;ollte. Sie &#x017F;ehen auch, wie<lb/>
&#x017F;onderbahr die Erza&#x0364;hlung meines Bruders und<lb/>
meiner Schwe&#x017F;ter von ihren vorgegebenen<lb/><hi rendition="#fr">freundlichen Betragen</hi> gegen mich gewe&#x017F;en<lb/>
&#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Selb&#x017F;t ihre zum Schein ange-<lb/>
nommene Freundlichkeit hatte Ab&#x017F;ichten zum<lb/>
Grunde: und doch war ihr Widerwille gegen<lb/>
mich &#x017F;o &#x017F;tarck, daß &#x017F;ie meiner durch ihr recht ver-<lb/>
liebtes Anfa&#x017F;&#x017F;en und umarmen &#x017F;potten mußten,<lb/>
und daß meine Schwe&#x017F;ter &#x017F;ich auch damahls<lb/>
nicht enthalten konnte ho&#x0364;hni&#x017F;ch gegen mich zu<lb/>
thun, als &#x017F;ie den <hi rendition="#fr">Thomas a Kempis</hi> von mir<lb/>
borgen wollte.</p><lb/>
          <p>Jch hub Ha&#x0364;nde und Augen in die Ho&#x0364;he, und<lb/>
&#x017F;agte: &#x201E;ich wu&#x0364;ßte gar nicht, welchen Nahmen<lb/>
&#x201E;ich fu&#x0364;r die&#x017F;e Auffu&#x0364;hrung ausfindig machen<lb/>
&#x201E;&#x017F;ollte? Wie wenig i&#x017F;t es doch vermuthlich, daß<lb/>
&#x201E;der Endzweck durch &#x017F;o niedertra&#x0364;chtige Mittel<lb/>
&#x201E;erreicht werden wird? Jch weiß, von wem alle<lb/>
&#x201E;die&#x017F;e Ku&#x0364;n&#x017F;te herkommen! Wer meinen Onckle<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">Harlowe</hi> bewegen konnte, die Per&#x017F;on zu &#x017F;pie-<lb/>
&#x201E;len, die ihm aufgetragin ward, und meine u&#x0364;bri-<lb/>
&#x201E;gen Freunde dahin bringen kan, daß &#x017F;ie mu&#x0364;ßi-<lb/>
&#x201E;ge Zu&#x017F;chauer abgeben, und &#x017F;ich alles gefallen<lb/>
&#x201E;la&#x017F;&#x017F;en; der muß im Stande &#x017F;eyn, alles was<lb/>
&#x201E;er will gegen mich zu unternehmen, und meine<lb/>
&#x201E;Verwanten mit hinein zu ziehen.&#x201E;</p><lb/>
          <p>Meine Ba&#x017F;e &#x017F;agte mir abermahls: <hi rendition="#fr">Schwa-<lb/>
tzen und Schelten wu&#x0364;rde nun nichts aus-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">rich-</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0307] der Clariſſa. Denn es wollte ſich nicht ſchicken, daß man mich zu etwas zu uͤberreden ſuchte, darein ich ſchon gewilliget haben ſollte. Sie ſehen auch, wie ſonderbahr die Erzaͤhlung meines Bruders und meiner Schweſter von ihren vorgegebenen freundlichen Betragen gegen mich geweſen ſeyn muͤſſe. Selbſt ihre zum Schein ange- nommene Freundlichkeit hatte Abſichten zum Grunde: und doch war ihr Widerwille gegen mich ſo ſtarck, daß ſie meiner durch ihr recht ver- liebtes Anfaſſen und umarmen ſpotten mußten, und daß meine Schweſter ſich auch damahls nicht enthalten konnte hoͤhniſch gegen mich zu thun, als ſie den Thomas a Kempis von mir borgen wollte. Jch hub Haͤnde und Augen in die Hoͤhe, und ſagte: „ich wuͤßte gar nicht, welchen Nahmen „ich fuͤr dieſe Auffuͤhrung ausfindig machen „ſollte? Wie wenig iſt es doch vermuthlich, daß „der Endzweck durch ſo niedertraͤchtige Mittel „erreicht werden wird? Jch weiß, von wem alle „dieſe Kuͤnſte herkommen! Wer meinen Onckle „Harlowe bewegen konnte, die Perſon zu ſpie- „len, die ihm aufgetragin ward, und meine uͤbri- „gen Freunde dahin bringen kan, daß ſie muͤßi- „ge Zuſchauer abgeben, und ſich alles gefallen „laſſen; der muß im Stande ſeyn, alles was „er will gegen mich zu unternehmen, und meine „Verwanten mit hinein zu ziehen.„ Meine Baſe ſagte mir abermahls: Schwa- tzen und Schelten wuͤrde nun nichts aus- rich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/307
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/307>, abgerufen am 17.05.2024.