der sich verkleidet hat, und geflüchtet ist, weil er einen verwundet hat, der noch nicht ausser Ge- fahr ist. Sie glauben, daß er ein vornehmer Herr sey, und halten seinen Freund für einen Of- ficier von geringerm Range, dem er einen frey- en Umgang verstatte. Es ist noch iemand bey ihnen, den man für einen Gefehrten dieses Offi- ciers hält, und wiederum eine Stuffe weiter her- unter setzt. Der Bösewicht selbst hat nur einen Bedienten bey sich. Wie vergnügt mögen die- se Teuffels, wie ich sie mit Recht nennen kan, ihre Zeit zubringen, wenn unsere allzugütige Brust voller Mitleiden wegen der Ungemächlichkeit ist, die sie um unsert willen übernehmen.
Jch bekomme eben Nachricht; daß ich dieses Mädchen und ihren Vater zu sprechen bekom- men soll. Jch will sie schon ausforschen. Jch werde doch ein so einfältiges Mädchen noch er- gründen können, wenn er es anders nicht schon verdorben hat: und auch das will ich leicht mer- cken, wenn es geschehen ist. Wenn ich bey ihr oder ihrem Vater mehr Kunst als Natur fin- de, so muß ich sie verlohren geben. Jedoch ich mercke es schon: glauben Sie gewiß, das Mäd- chen ist verdorben.
Er soll sehr verliebt in sie seyn: er setzt sie bey Tische oben an, macht daß sie viel reden und plau- dern muß, und läßt seinen Freund nicht genau mit ihr bekannt werden. Sie plaudert, was ihr in den Mund kommt, und er bewundert al- les, und rühmt ihren schönen natürlichen Ver-
stand
Die Geſchichte
der ſich verkleidet hat, und gefluͤchtet iſt, weil er einen verwundet hat, der noch nicht auſſer Ge- fahr iſt. Sie glauben, daß er ein vornehmer Herr ſey, und halten ſeinen Freund fuͤr einen Of- ficier von geringerm Range, dem er einen frey- en Umgang verſtatte. Es iſt noch iemand bey ihnen, den man fuͤr einen Gefehrten dieſes Offi- ciers haͤlt, und wiederum eine Stuffe weiter her- unter ſetzt. Der Boͤſewicht ſelbſt hat nur einen Bedienten bey ſich. Wie vergnuͤgt moͤgen die- ſe Teuffels, wie ich ſie mit Recht nennen kan, ihre Zeit zubringen, wenn unſere allzuguͤtige Bruſt voller Mitleiden wegen der Ungemaͤchlichkeit iſt, die ſie um unſert willen uͤbernehmen.
Jch bekomme eben Nachricht; daß ich dieſes Maͤdchen und ihren Vater zu ſprechen bekom- men ſoll. Jch will ſie ſchon ausforſchen. Jch werde doch ein ſo einfaͤltiges Maͤdchen noch er- gruͤnden koͤnnen, wenn er es anders nicht ſchon verdorben hat: und auch das will ich leicht mer- cken, wenn es geſchehen iſt. Wenn ich bey ihr oder ihrem Vater mehr Kunſt als Natur fin- de, ſo muß ich ſie verlohren geben. Jedoch ich mercke es ſchon: glauben Sie gewiß, das Maͤd- chen iſt verdorben.
Er ſoll ſehr verliebt in ſie ſeyn: er ſetzt ſie bey Tiſche oben an, macht daß ſie viel reden und plau- dern muß, und laͤßt ſeinen Freund nicht genau mit ihr bekannt werden. Sie plaudert, was ihr in den Mund kommt, und er bewundert al- les, und ruͤhmt ihren ſchoͤnen natuͤrlichen Ver-
ſtand
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Die Geſchichte
der ſich verkleidet hat, und gefluͤchtet iſt, weil er
einen verwundet hat, der noch nicht auſſer Ge-
fahr iſt. Sie glauben, daß er ein vornehmer
Herr ſey, und halten ſeinen Freund fuͤr einen Of-
ficier von geringerm Range, dem er einen frey-
en Umgang verſtatte. Es iſt noch iemand bey
ihnen, den man fuͤr einen Gefehrten dieſes Offi-
ciers haͤlt, und wiederum eine Stuffe weiter her-
unter ſetzt. Der Boͤſewicht ſelbſt hat nur einen
Bedienten bey ſich. Wie vergnuͤgt moͤgen die-
ſe Teuffels, wie ich ſie mit Recht nennen kan,
ihre Zeit zubringen, wenn unſere allzuguͤtige Bruſt
voller Mitleiden wegen der Ungemaͤchlichkeit iſt,
die ſie um unſert willen uͤbernehmen.
Jch bekomme eben Nachricht; daß ich dieſes
Maͤdchen und ihren Vater zu ſprechen bekom-
men ſoll. Jch will ſie ſchon ausforſchen. Jch
werde doch ein ſo einfaͤltiges Maͤdchen noch er-
gruͤnden koͤnnen, wenn er es anders nicht ſchon
verdorben hat: und auch das will ich leicht mer-
cken, wenn es geſchehen iſt. Wenn ich bey ihr
oder ihrem Vater mehr Kunſt als Natur fin-
de, ſo muß ich ſie verlohren geben. Jedoch ich
mercke es ſchon: glauben Sie gewiß, das Maͤd-
chen iſt verdorben.
Er ſoll ſehr verliebt in ſie ſeyn: er ſetzt ſie bey
Tiſche oben an, macht daß ſie viel reden und plau-
dern muß, und laͤßt ſeinen Freund nicht genau
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/254>, abgerufen am 16.02.2025.
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