wol nunmehr alle meine Weisheit zur Thorheit machen.
Jhre gütige und partheyische Feder schmei- chelt mir endlich, daß man von mir mehr er- warte als von andern. Dis ist eine Warnung für mich. Die Ursachen meiner Endschliessun- gen wird die Welt nicht erfahren. Ueber mei- nes Bruders Härte könnte ich noch klagen, denn hievon sind die Exempel allzugewöhnlich, sonder- lich wo es den Eigennutz betrift. Wenn man aber den ungerechten Bruder nicht anklagen kan, ohne zugleich den harten Vater zu beschuldigen, so wird kein wohlgerathenis Kind die Schuld von sich auf ihn wältzen wollen. Jn dem mich betreffenden Falle muß sich ohnehin jedermann daran stossen, daß Herr Lovelace einen so un- auslöschlichen Haß gegen meine gantze Familie bezeiget, ob er gleich eigentlich nichts anders thut, als Haß mit Haß vergelten. Man sieht daraus wenigstens, daß er ein unversöhnliches und un- gezogenes Gemüthe hat. Und wer kan sich zu einer solchen Heyrath entschliessen, die den Grund zu einer ewigen Feindschaft mit allen Anver- wandten legen würde?
Jch habe mich gantz müde geschrieben: und ich will die Feder niederlegen.
Herr Solmes ist fast beständig hier, des- gleichen meine beyden Onckles und Frau Her- vey. Jch fürchte, daß man etwas neues ge- gen mich schmiedet. Wie sehr kan einen Zweif-
fel
Zweyter Theil. H
der Clariſſa.
wol nunmehr alle meine Weisheit zur Thorheit machen.
Jhre guͤtige und partheyiſche Feder ſchmei- chelt mir endlich, daß man von mir mehr er- warte als von andern. Dis iſt eine Warnung fuͤr mich. Die Urſachen meiner Endſchlieſſun- gen wird die Welt nicht erfahren. Ueber mei- nes Bruders Haͤrte koͤnnte ich noch klagen, denn hievon ſind die Exempel allzugewoͤhnlich, ſonder- lich wo es den Eigennutz betrift. Wenn man aber den ungerechten Bruder nicht anklagen kan, ohne zugleich den harten Vater zu beſchuldigen, ſo wird kein wohlgerathenis Kind die Schuld von ſich auf ihn waͤltzen wollen. Jn dem mich betreffenden Falle muß ſich ohnehin jedermann daran ſtoſſen, daß Herr Lovelace einen ſo un- ausloͤſchlichen Haß gegen meine gantze Familie bezeiget, ob er gleich eigentlich nichts anders thut, als Haß mit Haß vergelten. Man ſieht daraus wenigſtens, daß er ein unverſoͤhnliches und un- gezogenes Gemuͤthe hat. Und wer kan ſich zu einer ſolchen Heyrath entſchlieſſen, die den Grund zu einer ewigen Feindſchaft mit allen Anver- wandten legen wuͤrde?
Jch habe mich gantz muͤde geſchrieben: und ich will die Feder niederlegen.
Herr Solmes iſt faſt beſtaͤndig hier, des- gleichen meine beyden Onckles und Frau Her- vey. Jch fuͤrchte, daß man etwas neues ge- gen mich ſchmiedet. Wie ſehr kan einen Zweif-
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Zweyter Theil. H
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der Clariſſa.
wol nunmehr alle meine Weisheit zur Thorheit
machen.
Jhre guͤtige und partheyiſche Feder ſchmei-
chelt mir endlich, daß man von mir mehr er-
warte als von andern. Dis iſt eine Warnung
fuͤr mich. Die Urſachen meiner Endſchlieſſun-
gen wird die Welt nicht erfahren. Ueber mei-
nes Bruders Haͤrte koͤnnte ich noch klagen, denn
hievon ſind die Exempel allzugewoͤhnlich, ſonder-
lich wo es den Eigennutz betrift. Wenn man
aber den ungerechten Bruder nicht anklagen kan,
ohne zugleich den harten Vater zu beſchuldigen,
ſo wird kein wohlgerathenis Kind die Schuld
von ſich auf ihn waͤltzen wollen. Jn dem mich
betreffenden Falle muß ſich ohnehin jedermann
daran ſtoſſen, daß Herr Lovelace einen ſo un-
ausloͤſchlichen Haß gegen meine gantze Familie
bezeiget, ob er gleich eigentlich nichts anders thut,
als Haß mit Haß vergelten. Man ſieht daraus
wenigſtens, daß er ein unverſoͤhnliches und un-
gezogenes Gemuͤthe hat. Und wer kan ſich zu
einer ſolchen Heyrath entſchlieſſen, die den Grund
zu einer ewigen Feindſchaft mit allen Anver-
wandten legen wuͤrde?
Jch habe mich gantz muͤde geſchrieben: und
ich will die Feder niederlegen.
Herr Solmes iſt faſt beſtaͤndig hier, des-
gleichen meine beyden Onckles und Frau Her-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/119>, abgerufen am 21.11.2024.
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