tzige Eigenschaft an sich zu haben, welche diese männlichen Laster bey ihm erträglich machen könnte.
Jch habe von Herrn Lovelace seit der Zeit, daß er Sie besucht hat, zwey Briefe bekommen: es sind also nunmehr drey seiner Briefe unbe- antwortet. Jch konnte schon vorher dencken, daß er unruhig seyn würde. Jn seinem letzten Briefe beklagt er sich heftig über mein Still- schweigen: und zwar nicht mehr mit der sanften Stimme, oder vielmehr in der sanften Schreib- Art eines demüthigen Liebhabers, sondern so als wenn er mein Beschirmer wäre, dessen Wohltha- ten ich nicht genugsam erkannt hätte. Der hochmüthige Mensch ist darüber empfindlich, daß er in Hofnung, einen Brief zu finden, wie ein Dieb und Nachtschleiger sich herstehlen müßte, und denn doch wohl wieder mehr als eine deut- sche Meile nach einem unbequemen Wirths- Hause ohnverrichteter Sach zurück wanderte. Jch will Jhnen seine Brieffe, und den Entwurf meiner Antwort nächstens übersenden: unter- dessen melde ich Jhnen den kurtzen Jnhalt dessen, was ich gestern an ihn geschrieben habe.
Jch verweise ihm zuförderst sehr ernstlich, daß er sich so viel heraus genommen, mir durch Sie zu drohen, daß er mit Herrn Solmes oder mit meinem Bruder meinetwegen sprechen woll- te. Jch schreibe: "ich sey so unglücklich, daß "man glaubte, ich könnte alles ertragen, was man "nur Lust hätte mir aufzulegen. Es wäre nicht
"genug,
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der Clariſſa.
tzige Eigenſchaft an ſich zu haben, welche dieſe maͤnnlichen Laſter bey ihm ertraͤglich machen koͤnnte.
Jch habe von Herrn Lovelace ſeit der Zeit, daß er Sie beſucht hat, zwey Briefe bekommen: es ſind alſo nunmehr drey ſeiner Briefe unbe- antwortet. Jch konnte ſchon vorher dencken, daß er unruhig ſeyn wuͤrde. Jn ſeinem letzten Briefe beklagt er ſich heftig uͤber mein Still- ſchweigen: und zwar nicht mehr mit der ſanften Stimme, oder vielmehr in der ſanften Schreib- Art eines demuͤthigen Liebhabers, ſondern ſo als wenn er mein Beſchirmer waͤre, deſſen Wohltha- ten ich nicht genugſam erkannt haͤtte. Der hochmuͤthige Menſch iſt daruͤber empfindlich, daß er in Hofnung, einen Brief zu finden, wie ein Dieb und Nachtſchleiger ſich herſtehlen muͤßte, und denn doch wohl wieder mehr als eine deut- ſche Meile nach einem unbequemen Wirths- Hauſe ohnverrichteter Sach zuruͤck wanderte. Jch will Jhnen ſeine Brieffe, und den Entwurf meiner Antwort naͤchſtens uͤberſenden: unter- deſſen melde ich Jhnen den kurtzen Jnhalt deſſen, was ich geſtern an ihn geſchrieben habe.
Jch verweiſe ihm zufoͤrderſt ſehr ernſtlich, daß er ſich ſo viel heraus genommen, mir durch Sie zu drohen, daß er mit Herrn Solmes oder mit meinem Bruder meinetwegen ſprechen woll- te. Jch ſchreibe: „ich ſey ſo ungluͤcklich, daß „man glaubte, ich koͤnnte alles ertragen, was man „nur Luſt haͤtte mir aufzulegen. Es waͤre nicht
„genug,
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der Clariſſa.
tzige Eigenſchaft an ſich zu haben, welche dieſe
maͤnnlichen Laſter bey ihm ertraͤglich machen
koͤnnte.
Jch habe von Herrn Lovelace ſeit der Zeit,
daß er Sie beſucht hat, zwey Briefe bekommen:
es ſind alſo nunmehr drey ſeiner Briefe unbe-
antwortet. Jch konnte ſchon vorher dencken,
daß er unruhig ſeyn wuͤrde. Jn ſeinem letzten
Briefe beklagt er ſich heftig uͤber mein Still-
ſchweigen: und zwar nicht mehr mit der ſanften
Stimme, oder vielmehr in der ſanften Schreib-
Art eines demuͤthigen Liebhabers, ſondern ſo als
wenn er mein Beſchirmer waͤre, deſſen Wohltha-
ten ich nicht genugſam erkannt haͤtte. Der
hochmuͤthige Menſch iſt daruͤber empfindlich, daß
er in Hofnung, einen Brief zu finden, wie ein
Dieb und Nachtſchleiger ſich herſtehlen muͤßte,
und denn doch wohl wieder mehr als eine deut-
ſche Meile nach einem unbequemen Wirths-
Hauſe ohnverrichteter Sach zuruͤck wanderte.
Jch will Jhnen ſeine Brieffe, und den Entwurf
meiner Antwort naͤchſtens uͤberſenden: unter-
deſſen melde ich Jhnen den kurtzen Jnhalt deſſen,
was ich geſtern an ihn geſchrieben habe.
Jch verweiſe ihm zufoͤrderſt ſehr ernſtlich,
daß er ſich ſo viel heraus genommen, mir durch
Sie zu drohen, daß er mit Herrn Solmes oder
mit meinem Bruder meinetwegen ſprechen woll-
te. Jch ſchreibe: „ich ſey ſo ungluͤcklich, daß
„man glaubte, ich koͤnnte alles ertragen, was man
„nur Luſt haͤtte mir aufzulegen. Es waͤre nicht
„genug,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/111>, abgerufen am 21.11.2024.
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