Der fünffte Brief von Fräulein Clarissa Harlowe/ an Fräulein Howe.
den 20. Jan.
Jch bin gehindert worden, meinem Vorhaben gemäß ein mehreres zu schreiben. Weder die Nacht noch die Morgen-Stunden sind mein eigen gewesen. Meine Mutter hat sich sehr übel befunden, und wollte keine andere Wärterin ha- ben, als mich: denn sie war bettlägrig, und zwey Nachte erlaubte sie mir, bey ihr zu schlafen.
Jhre Unpäßlichkeit bestand in einer hefftigen Colik. Der Streit so ungestümer und allzu männlicher Gemüther und die Furcht vor noch mehrerem Unglück, das aus der zunehmenden Feindschafft aller in unserm Hause gegen Herrn Lovelace, und aus seiner rachgierigen und hertz- haften Gemüths-Art entstehen könnte, sind ihr unerträglich. Auch wird ihr gütiges und zärtliches Gemüthe, daß von Anfang an bey aller Gelegen- heit seine eigene Zufriedenheit gern aufgeopfert hat, um nur einiger massen den Haus-Frieden zu erhal- ten, dadurch sehr gekräncket, daß sie befürchtet, es möge bereits der Grund zu Neid und Feindschaft in ihrer bisher so einträchtigen und glücklichen Fa- milie gelegt seyn. Mein Bruder und meine Schwester, die sonst so oft mit einander zerfielen, sind jetzt so einig und so oft beysammen, (ihr ent- fiel das Wort, sie machen eine Cabale) daß sie voller Furcht wegen der Folgen ist. Jhre lieb-
reiche
Die Geſchichte
Der fuͤnffte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe/ an Fraͤulein Howe.
den 20. Jan.
Jch bin gehindert worden, meinem Vorhaben gemaͤß ein mehreres zu ſchreiben. Weder die Nacht noch die Morgen-Stunden ſind mein eigen geweſen. Meine Mutter hat ſich ſehr uͤbel befunden, und wollte keine andere Waͤrterin ha- ben, als mich: denn ſie war bettlaͤgrig, und zwey Nachte erlaubte ſie mir, bey ihr zu ſchlafen.
Jhre Unpaͤßlichkeit beſtand in einer hefftigen Colik. Der Streit ſo ungeſtuͤmer und allzu maͤnnlicher Gemuͤther und die Furcht vor noch mehrerem Ungluͤck, das aus der zunehmenden Feindſchafft aller in unſerm Hauſe gegen Herrn Lovelace, und aus ſeiner rachgierigen und hertz- haften Gemuͤths-Art entſtehen koͤnnte, ſind ihr unertraͤglich. Auch wird ihr guͤtiges und zaͤrtliches Gemuͤthe, daß von Anfang an bey aller Gelegen- heit ſeine eigene Zufriedenheit gern aufgeopfert hat, um nur einiger maſſen den Haus-Frieden zu erhal- ten, dadurch ſehr gekraͤncket, daß ſie befuͤrchtet, es moͤge bereits der Grund zu Neid und Feindſchaft in ihrer bisher ſo eintraͤchtigen und gluͤcklichen Fa- milie gelegt ſeyn. Mein Bruder und meine Schweſter, die ſonſt ſo oft mit einander zerfielen, ſind jetzt ſo einig und ſo oft beyſammen, (ihr ent- fiel das Wort, ſie machen eine Cabale) daß ſie voller Furcht wegen der Folgen iſt. Jhre lieb-
reiche
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Die Geſchichte
Der fuͤnffte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe/ an Fraͤulein
Howe.
den 20. Jan.
Jch bin gehindert worden, meinem Vorhaben
gemaͤß ein mehreres zu ſchreiben. Weder
die Nacht noch die Morgen-Stunden ſind mein
eigen geweſen. Meine Mutter hat ſich ſehr uͤbel
befunden, und wollte keine andere Waͤrterin ha-
ben, als mich: denn ſie war bettlaͤgrig, und zwey
Nachte erlaubte ſie mir, bey ihr zu ſchlafen.
Jhre Unpaͤßlichkeit beſtand in einer hefftigen
Colik. Der Streit ſo ungeſtuͤmer und allzu
maͤnnlicher Gemuͤther und die Furcht vor noch
mehrerem Ungluͤck, das aus der zunehmenden
Feindſchafft aller in unſerm Hauſe gegen Herrn
Lovelace, und aus ſeiner rachgierigen und hertz-
haften Gemuͤths-Art entſtehen koͤnnte, ſind ihr
unertraͤglich. Auch wird ihr guͤtiges und zaͤrtliches
Gemuͤthe, daß von Anfang an bey aller Gelegen-
heit ſeine eigene Zufriedenheit gern aufgeopfert hat,
um nur einiger maſſen den Haus-Frieden zu erhal-
ten, dadurch ſehr gekraͤncket, daß ſie befuͤrchtet,
es moͤge bereits der Grund zu Neid und Feindſchaft
in ihrer bisher ſo eintraͤchtigen und gluͤcklichen Fa-
milie gelegt ſeyn. Mein Bruder und meine
Schweſter, die ſonſt ſo oft mit einander zerfielen,
ſind jetzt ſo einig und ſo oft beyſammen, (ihr ent-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/68>, abgerufen am 23.11.2024.
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