durfte nicht kommen. Meine Base hatte allein die Gütigkeit unter Aufsicht meiner Schwester zurück zu kommen: sie fassete mich bey der Hand, und befahl mir, mich bey ihr nieder zu setzen.
Sie sagte: sie käme noch einmahl aus einer vielleicht allzugrossen Dienstfertigkeit, denn sie thäte es wider den Rath meines Vaters. Allein sie fürchtete sich allzu sehr vor den Folgen, die meine Widerspenstigkeit nach sich ziehen könnte. Hierauf erzählte sie mir, was meine Freunde von mir erwarteten; wie reich Herr Solmes sey; daß er in der That dreymahl so viel im Ver- mögen hätte, als er bisher geschätzt wäre; von Herrn Lovelaces übler Nachrede, und der Feind- schaft der gantzen Familie gegen ihn. Alles dieses stellte sie mir nachdrücklich vor, allein nicht nach- drücklicher, als es mir meine Mutter schon vor- hin vorgestellet hatte. Meine Mutter mußte ihr nicht alles erzählt haben, was zwischen ihr und mir vorgegangen war: sonst würde meine Base nicht manche Sachen wiederholt haben, die ihre Schwester schon vorhin stärcker und dennoch fruchtlos vorgestellet hatte.
Sie hielt mir vor: mein Vater würde sich dar- über grämen, daß es schiene, als könnte er seiner Tochter nicht befehlen, und zwar in einer Sache, die seiner Einsicht nach zu ihrem Besten gereichte: einer Tochter, von der er immer so viel gehalten hätte. Liebste, liebste Fräulein (beschloß sie) ich bitte sie um meinet willen, um ihrent willen, um hundert anderer Ursachen willen, überwinden
sie
der Clariſſa.
durfte nicht kommen. Meine Baſe hatte allein die Guͤtigkeit unter Aufſicht meiner Schweſter zuruͤck zu kommen: ſie faſſete mich bey der Hand, und befahl mir, mich bey ihr nieder zu ſetzen.
Sie ſagte: ſie kaͤme noch einmahl aus einer vielleicht allzugroſſen Dienſtfertigkeit, denn ſie thaͤte es wider den Rath meines Vaters. Allein ſie fuͤrchtete ſich allzu ſehr vor den Folgen, die meine Widerſpenſtigkeit nach ſich ziehen koͤnnte. Hierauf erzaͤhlte ſie mir, was meine Freunde von mir erwarteten; wie reich Herr Solmes ſey; daß er in der That dreymahl ſo viel im Ver- moͤgen haͤtte, als er bisher geſchaͤtzt waͤre; von Herrn Lovelaces uͤbler Nachrede, und der Feind- ſchaft der gantzen Familie gegen ihn. Alles dieſes ſtellte ſie mir nachdruͤcklich vor, allein nicht nach- druͤcklicher, als es mir meine Mutter ſchon vor- hin vorgeſtellet hatte. Meine Mutter mußte ihr nicht alles erzaͤhlt haben, was zwiſchen ihr und mir vorgegangen war: ſonſt wuͤrde meine Baſe nicht manche Sachen wiederholt haben, die ihre Schweſter ſchon vorhin ſtaͤrcker und dennoch fruchtlos vorgeſtellet hatte.
Sie hielt mir vor: mein Vater wuͤrde ſich dar- uͤber graͤmen, daß es ſchiene, als koͤnnte er ſeiner Tochter nicht befehlen, und zwar in einer Sache, die ſeiner Einſicht nach zu ihrem Beſten gereichte: einer Tochter, von der er immer ſo viel gehalten haͤtte. Liebſte, liebſte Fraͤulein (beſchloß ſie) ich bitte ſie um meinet willen, um ihrent willen, um hundert anderer Urſachen willen, uͤberwinden
ſie
<TEI><text><body><divn="2"><p><pbfacs="#f0529"n="509"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa.</hi></hi></fw><lb/>
durfte nicht kommen. Meine Baſe hatte allein<lb/>
die Guͤtigkeit unter Aufſicht meiner Schweſter<lb/>
zuruͤck zu kommen: ſie faſſete mich bey der Hand,<lb/>
und befahl mir, mich bey ihr nieder zu ſetzen.</p><lb/><p>Sie ſagte: ſie kaͤme noch einmahl aus einer<lb/>
vielleicht allzugroſſen Dienſtfertigkeit, denn ſie<lb/>
thaͤte es wider den Rath meines Vaters. Allein<lb/>ſie fuͤrchtete ſich allzu ſehr vor den Folgen, die<lb/>
meine Widerſpenſtigkeit nach ſich ziehen koͤnnte.<lb/>
Hierauf erzaͤhlte ſie mir, was meine Freunde von<lb/>
mir erwarteten; wie reich Herr <hirendition="#fr">Solmes</hi>ſey;<lb/>
daß er in der That dreymahl ſo viel im Ver-<lb/>
moͤgen haͤtte, als er bisher geſchaͤtzt waͤre; von<lb/>
Herrn <hirendition="#fr">Lovelaces</hi> uͤbler Nachrede, und der Feind-<lb/>ſchaft der gantzen Familie gegen ihn. Alles dieſes<lb/>ſtellte ſie mir nachdruͤcklich vor, allein nicht nach-<lb/>
druͤcklicher, als es mir meine Mutter ſchon vor-<lb/>
hin vorgeſtellet hatte. Meine Mutter mußte ihr<lb/>
nicht alles erzaͤhlt haben, was zwiſchen ihr und<lb/>
mir vorgegangen war: ſonſt wuͤrde meine Baſe<lb/>
nicht manche Sachen wiederholt haben, die ihre<lb/>
Schweſter ſchon vorhin ſtaͤrcker und dennoch<lb/>
fruchtlos vorgeſtellet hatte.</p><lb/><p>Sie hielt mir vor: mein Vater wuͤrde ſich dar-<lb/>
uͤber graͤmen, daß es ſchiene, als koͤnnte er ſeiner<lb/>
Tochter nicht befehlen, und zwar in einer Sache,<lb/>
die ſeiner Einſicht nach zu ihrem Beſten gereichte:<lb/>
einer Tochter, von der er immer ſo viel gehalten<lb/>
haͤtte. Liebſte, liebſte Fraͤulein (beſchloß ſie) ich<lb/>
bitte ſie um <hirendition="#fr">meinet willen,</hi> um <hirendition="#fr">ihrent willen,</hi><lb/>
um hundert anderer Urſachen willen, uͤberwinden<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſie</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[509/0529]
der Clariſſa.
durfte nicht kommen. Meine Baſe hatte allein
die Guͤtigkeit unter Aufſicht meiner Schweſter
zuruͤck zu kommen: ſie faſſete mich bey der Hand,
und befahl mir, mich bey ihr nieder zu ſetzen.
Sie ſagte: ſie kaͤme noch einmahl aus einer
vielleicht allzugroſſen Dienſtfertigkeit, denn ſie
thaͤte es wider den Rath meines Vaters. Allein
ſie fuͤrchtete ſich allzu ſehr vor den Folgen, die
meine Widerſpenſtigkeit nach ſich ziehen koͤnnte.
Hierauf erzaͤhlte ſie mir, was meine Freunde von
mir erwarteten; wie reich Herr Solmes ſey;
daß er in der That dreymahl ſo viel im Ver-
moͤgen haͤtte, als er bisher geſchaͤtzt waͤre; von
Herrn Lovelaces uͤbler Nachrede, und der Feind-
ſchaft der gantzen Familie gegen ihn. Alles dieſes
ſtellte ſie mir nachdruͤcklich vor, allein nicht nach-
druͤcklicher, als es mir meine Mutter ſchon vor-
hin vorgeſtellet hatte. Meine Mutter mußte ihr
nicht alles erzaͤhlt haben, was zwiſchen ihr und
mir vorgegangen war: ſonſt wuͤrde meine Baſe
nicht manche Sachen wiederholt haben, die ihre
Schweſter ſchon vorhin ſtaͤrcker und dennoch
fruchtlos vorgeſtellet hatte.
Sie hielt mir vor: mein Vater wuͤrde ſich dar-
uͤber graͤmen, daß es ſchiene, als koͤnnte er ſeiner
Tochter nicht befehlen, und zwar in einer Sache,
die ſeiner Einſicht nach zu ihrem Beſten gereichte:
einer Tochter, von der er immer ſo viel gehalten
haͤtte. Liebſte, liebſte Fraͤulein (beſchloß ſie) ich
bitte ſie um meinet willen, um ihrent willen,
um hundert anderer Urſachen willen, uͤberwinden
ſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/529>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.