Allein diese meine Gleichgültigkeit hatte sonft für ihn erwünschte Folgen; denn hierdurch er- hielt er die Erlaubniß, eines Briefwechsels mit mir, wozu ich mich niemahls würde entschlossen haben, wenn er ihn hätte anfangen wollen, nach- dem die Feindseligkeiten zwischen unsern Familien schon ausgebrochen waren. Die Veranlassung des erwähnten Briefwechsels war folgende.
Meinem Vetter Herrn Hervey war ein junger Herr zur Aufsicht anvertrauet, den er ein oder zwey Jahr in fremde Länder schicken wollte, um die so genannte grosse Reise vorzunehmen. Da er nun befand, daß Herr Lovelace von allem, was ein Reisender bey solcher Gelegenheit zu be- obachten hat, gute Nachricht geben konnte, so bat er ihn, eine Beschreibung der Höfe und Län- der, die er gesehen hatte, aufzusetzen, und inson- derheit anzuzeigen, worauf ein Reisender die mei- ste Aufmercksamkeit zu richten hätte.
Er willigte hierin, doch mit der Bedingung, daß ich seine Hand leiten möchte, wie er es nenne- te. Da nun jedermann seine Schreib-Art hatte rühmen hören, und man hoffete seine Erzählung würde dienen, die langen Abende im Winter auf eine angenehme Art zu vertreiben, und es eben nicht schien, daß er dadurch Gelegenheit bekom- men würde, an mich von Liebe zu schreiben, weil die Briefe in der ganzen Gesellschaft solten vor- gelesen werden; so machte ich desto weniger Ein- wendungen, an ihn zu schreiben, und bald aller- hand Anmerkungen zu machen, bald ihm Fragen
zur
Die Geſchichte
Allein dieſe meine Gleichguͤltigkeit hatte ſonft fuͤr ihn erwuͤnſchte Folgen; denn hierdurch er- hielt er die Erlaubniß, eines Briefwechſels mit mir, wozu ich mich niemahls wuͤrde entſchloſſen haben, wenn er ihn haͤtte anfangen wollen, nach- dem die Feindſeligkeiten zwiſchen unſern Familien ſchon ausgebrochen waren. Die Veranlaſſung des erwaͤhnten Briefwechſels war folgende.
Meinem Vetter Herrn Hervey war ein junger Herr zur Aufſicht anvertrauet, den er ein oder zwey Jahr in fremde Laͤnder ſchicken wollte, um die ſo genannte groſſe Reiſe vorzunehmen. Da er nun befand, daß Herr Lovelace von allem, was ein Reiſender bey ſolcher Gelegenheit zu be- obachten hat, gute Nachricht geben konnte, ſo bat er ihn, eine Beſchreibung der Hoͤfe und Laͤn- der, die er geſehen hatte, aufzuſetzen, und inſon- derheit anzuzeigen, worauf ein Reiſender die mei- ſte Aufmerckſamkeit zu richten haͤtte.
Er willigte hierin, doch mit der Bedingung, daß ich ſeine Hand leiten moͤchte, wie er es nenne- te. Da nun jedermann ſeine Schreib-Art hatte ruͤhmen hoͤren, und man hoffete ſeine Erzaͤhlung wuͤrde dienen, die langen Abende im Winter auf eine angenehme Art zu vertreiben, und es eben nicht ſchien, daß er dadurch Gelegenheit bekom- men wuͤrde, an mich von Liebe zu ſchreiben, weil die Briefe in der ganzen Geſellſchaft ſolten vor- geleſen werden; ſo machte ich deſto weniger Ein- wendungen, an ihn zu ſchreiben, und bald aller- hand Anmerkungen zu machen, bald ihm Fragen
zur
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[26/0046]
Die Geſchichte
Allein dieſe meine Gleichguͤltigkeit hatte ſonft
fuͤr ihn erwuͤnſchte Folgen; denn hierdurch er-
hielt er die Erlaubniß, eines Briefwechſels mit
mir, wozu ich mich niemahls wuͤrde entſchloſſen
haben, wenn er ihn haͤtte anfangen wollen, nach-
dem die Feindſeligkeiten zwiſchen unſern Familien
ſchon ausgebrochen waren. Die Veranlaſſung
des erwaͤhnten Briefwechſels war folgende.
Meinem Vetter Herrn Hervey war ein junger
Herr zur Aufſicht anvertrauet, den er ein oder
zwey Jahr in fremde Laͤnder ſchicken wollte, um
die ſo genannte groſſe Reiſe vorzunehmen. Da er
nun befand, daß Herr Lovelace von allem,
was ein Reiſender bey ſolcher Gelegenheit zu be-
obachten hat, gute Nachricht geben konnte, ſo
bat er ihn, eine Beſchreibung der Hoͤfe und Laͤn-
der, die er geſehen hatte, aufzuſetzen, und inſon-
derheit anzuzeigen, worauf ein Reiſender die mei-
ſte Aufmerckſamkeit zu richten haͤtte.
Er willigte hierin, doch mit der Bedingung,
daß ich ſeine Hand leiten moͤchte, wie er es nenne-
te. Da nun jedermann ſeine Schreib-Art hatte
ruͤhmen hoͤren, und man hoffete ſeine Erzaͤhlung
wuͤrde dienen, die langen Abende im Winter auf
eine angenehme Art zu vertreiben, und es eben
nicht ſchien, daß er dadurch Gelegenheit bekom-
men wuͤrde, an mich von Liebe zu ſchreiben, weil
die Briefe in der ganzen Geſellſchaft ſolten vor-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/46>, abgerufen am 22.11.2024.
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