Kind als ihre Anverwanten vornehmen. Er ist meinem Hertzen eine Labung, wenn ich mir vor- stelle, wie die Onckles und der Bruder mit dem Schelm so freundschaftlich umgehen, und ihn in alle ihre Geheimnüsse sehen lassen, und er handelt doch in allen Stücken nur nach meiner Vor- schrift. Jch habe ihm inzwischen bey Verlust seines wöchentlichen Soldes und aller meiner Gunst, befohlen, mit aller möglichen Sorgfalt zu verhüten, daß weder meine Schöne noch irgend ein auderer in der Familie einigen Verdacht auf ihn werfen möge. Er soll zwar auf die Gänge meiner Göttin Acht geben, allein blos um andere Bedienten abzuhalten, daß sie ihr nicht nachspü- ren: er soll sich aber selbst nicht vor ihr sehen lassen.
Er hat dem Bruder erzählen müssen: das liebe Kind habe ihn bestechen wollen, (ob es gleich nie daran gedacht hat) einen Brief (den es nie ge- schrieben hat) an die Fräulein Howe zu bringen. Er vermuthe, es würde auch einer an mich einge- schlossen gewesen seyn. Er hätte es ihr aber abge- schlagen, und bäte, sie möchten sich nichts davon gegen die Fräulein mercken lassen. Diese Nach- richt brachte ihm einen gantzen halben Gulden und sehr viel Lob zu wege. Es erfolgete darauf ein Befehl an alle Bedienten, sehr wach sahm zu seyn, damit die Fräulein nicht auf ein oder andere Wei- se den Brief bestellen möchte. Nach Verlauf ei- ner Stunde ward ihm befohlen, ihr in den Weg zu kommen, und es ihr abzubitten, daß er vorhin den Brief nicht hätte bestellen wollen: nebst dem
Aner-
Die Geſchichte
Kind als ihre Anverwanten vornehmen. Er iſt meinem Hertzen eine Labung, wenn ich mir vor- ſtelle, wie die Onckles und der Bruder mit dem Schelm ſo freundſchaftlich umgehen, und ihn in alle ihre Geheimnuͤſſe ſehen laſſen, und er handelt doch in allen Stuͤcken nur nach meiner Vor- ſchrift. Jch habe ihm inzwiſchen bey Verluſt ſeines woͤchentlichen Soldes und aller meiner Gunſt, befohlen, mit aller moͤglichen Sorgfalt zu verhuͤten, daß weder meine Schoͤne noch irgend ein auderer in der Familie einigen Verdacht auf ihn werfen moͤge. Er ſoll zwar auf die Gaͤnge meiner Goͤttin Acht geben, allein blos um andere Bedienten abzuhalten, daß ſie ihr nicht nachſpuͤ- ren: er ſoll ſich aber ſelbſt nicht vor ihr ſehen laſſen.
Er hat dem Bruder erzaͤhlen muͤſſen: das liebe Kind habe ihn beſtechen wollen, (ob es gleich nie daran gedacht hat) einen Brief (den es nie ge- ſchrieben hat) an die Fraͤulein Howe zu bringen. Er vermuthe, es wuͤrde auch einer an mich einge- ſchloſſen geweſen ſeyn. Er haͤtte es ihr aber abge- ſchlagen, und baͤte, ſie moͤchten ſich nichts davon gegen die Fraͤulein mercken laſſen. Dieſe Nach- richt brachte ihm einen gantzen halben Gulden und ſehr viel Lob zu wege. Es erfolgete darauf ein Befehl an alle Bedienten, ſehr wach ſahm zu ſeyn, damit die Fraͤulein nicht auf ein oder andere Wei- ſe den Brief beſtellen moͤchte. Nach Verlauf ei- ner Stunde ward ihm befohlen, ihr in den Weg zu kommen, und es ihr abzubitten, daß er vorhin den Brief nicht haͤtte beſtellen wollen: nebſt dem
Aner-
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Die Geſchichte
Kind als ihre Anverwanten vornehmen. Er iſt
meinem Hertzen eine Labung, wenn ich mir vor-
ſtelle, wie die Onckles und der Bruder mit dem
Schelm ſo freundſchaftlich umgehen, und ihn in
alle ihre Geheimnuͤſſe ſehen laſſen, und er handelt
doch in allen Stuͤcken nur nach meiner Vor-
ſchrift. Jch habe ihm inzwiſchen bey Verluſt
ſeines woͤchentlichen Soldes und aller meiner
Gunſt, befohlen, mit aller moͤglichen Sorgfalt zu
verhuͤten, daß weder meine Schoͤne noch irgend
ein auderer in der Familie einigen Verdacht auf
ihn werfen moͤge. Er ſoll zwar auf die Gaͤnge
meiner Goͤttin Acht geben, allein blos um andere
Bedienten abzuhalten, daß ſie ihr nicht nachſpuͤ-
ren: er ſoll ſich aber ſelbſt nicht vor ihr ſehen laſſen.
Er hat dem Bruder erzaͤhlen muͤſſen: das liebe
Kind habe ihn beſtechen wollen, (ob es gleich nie
daran gedacht hat) einen Brief (den es nie ge-
ſchrieben hat) an die Fraͤulein Howe zu bringen.
Er vermuthe, es wuͤrde auch einer an mich einge-
ſchloſſen geweſen ſeyn. Er haͤtte es ihr aber abge-
ſchlagen, und baͤte, ſie moͤchten ſich nichts davon
gegen die Fraͤulein mercken laſſen. Dieſe Nach-
richt brachte ihm einen gantzen halben Gulden
und ſehr viel Lob zu wege. Es erfolgete darauf ein
Befehl an alle Bedienten, ſehr wach ſahm zu ſeyn,
damit die Fraͤulein nicht auf ein oder andere Wei-
ſe den Brief beſtellen moͤchte. Nach Verlauf ei-
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zu kommen, und es ihr abzubitten, daß er vorhin
den Brief nicht haͤtte beſtellen wollen: nebſt dem
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/412>, abgerufen am 22.07.2024.
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