angewandt werden, eine Neigung gegen ihn bey mir erwecken könten.
Legt einmal auf eine Stunde alle Vorurtheile bey Seite, und stellet zwischen den beyden Leuten in Absicht auf Geburt, Erziehung, Verstand, Aufführung, Ansehen, und ihr gantzes Betragen eine Vergleichung an; und fället euer Urtheil von beyden. Dem ohngeachtet will ich bey meiner so oft gegebenen Erklärung bleiben, und den un- verheyratheten Stand erwählen, wenn man da- mit zufrieden ist.
Jch kan ohnmöglich in solchem Mißverständ- niß mit den meinigen leben: ich wolte sie mir gern alle zu Freunden machen, wenn ich nur könte. Würde es aber nicht unrecht, würde es nicht schimpflich seyn, einen Mann zu nehmen, der mir unerträglich ist. Da ich sonst nie ge- wohnt gewesen bin, mich dem Willen meines Vaters zu widersetzen, sondern im Gehorsam meine Freude gesucht habe: so könt ihr eben daraus abnehmen, wie starck meine Abneigung gegen diesen Mann seyn muß, die mich zwinget, mich seiner auf eine Art zu erwehren, welche mit so vielen unangenehmen Folgen für mich verknüpft ist.
Habt denn, liebe Arabelle/ meine Schwester, meine Freundin, meine Gesellschafft, meine Rathgeberin in meinen ehemaligen glücklichern Umständen, habt einiges Mitleiden, und macht durch eure Vorbitte wiedrum gemeinschafftliche Sache, mit
Eurer stets ergebenen Clarissa Harlowe.
Die Geſchichte
angewandt werden, eine Neigung gegen ihn bey mir erwecken koͤnten.
Legt einmal auf eine Stunde alle Vorurtheile bey Seite, und ſtellet zwiſchen den beyden Leuten in Abſicht auf Geburt, Erziehung, Verſtand, Auffuͤhrung, Anſehen, und ihr gantzes Betragen eine Vergleichung an; und faͤllet euer Urtheil von beyden. Dem ohngeachtet will ich bey meiner ſo oft gegebenen Erklaͤrung bleiben, und den un- verheyratheten Stand erwaͤhlen, wenn man da- mit zufrieden iſt.
Jch kan ohnmoͤglich in ſolchem Mißverſtaͤnd- niß mit den meinigen leben: ich wolte ſie mir gern alle zu Freunden machen, wenn ich nur koͤnte. Wuͤrde es aber nicht unrecht, wuͤrde es nicht ſchimpflich ſeyn, einen Mann zu nehmen, der mir unertraͤglich iſt. Da ich ſonſt nie ge- wohnt geweſen bin, mich dem Willen meines Vaters zu widerſetzen, ſondern im Gehorſam meine Freude geſucht habe: ſo koͤnt ihr eben daraus abnehmen, wie ſtarck meine Abneigung gegen dieſen Mann ſeyn muß, die mich zwinget, mich ſeiner auf eine Art zu erwehren, welche mit ſo vielen unangenehmen Folgẽ fuͤr mich verknuͤpft iſt.
Habt denn, liebe Arabelle/ meine Schweſter, meine Freundin, meine Geſellſchafft, meine Rathgeberin in meinen ehemaligen gluͤcklichern Umſtaͤnden, habt einiges Mitleiden, und macht durch eure Vorbitte wiedrum gemeinſchafftliche Sache, mit
Eurer ſtets ergebenen Clariſſa Harlowe.
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Die Geſchichte
angewandt werden, eine Neigung gegen ihn bey
mir erwecken koͤnten.
Legt einmal auf eine Stunde alle Vorurtheile
bey Seite, und ſtellet zwiſchen den beyden Leuten
in Abſicht auf Geburt, Erziehung, Verſtand,
Auffuͤhrung, Anſehen, und ihr gantzes Betragen
eine Vergleichung an; und faͤllet euer Urtheil von
beyden. Dem ohngeachtet will ich bey meiner
ſo oft gegebenen Erklaͤrung bleiben, und den un-
verheyratheten Stand erwaͤhlen, wenn man da-
mit zufrieden iſt.
Jch kan ohnmoͤglich in ſolchem Mißverſtaͤnd-
niß mit den meinigen leben: ich wolte ſie mir
gern alle zu Freunden machen, wenn ich nur
koͤnte. Wuͤrde es aber nicht unrecht, wuͤrde es
nicht ſchimpflich ſeyn, einen Mann zu nehmen,
der mir unertraͤglich iſt. Da ich ſonſt nie ge-
wohnt geweſen bin, mich dem Willen meines
Vaters zu widerſetzen, ſondern im Gehorſam
meine Freude geſucht habe: ſo koͤnt ihr eben
daraus abnehmen, wie ſtarck meine Abneigung
gegen dieſen Mann ſeyn muß, die mich zwinget,
mich ſeiner auf eine Art zu erwehren, welche mit ſo
vielen unangenehmen Folgẽ fuͤr mich verknuͤpft iſt.
Habt denn, liebe Arabelle/ meine Schweſter,
meine Freundin, meine Geſellſchafft, meine
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/334>, abgerufen am 22.11.2024.
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