Nun will ich Jhnen auch die Abschrifft des Briefes an meine Schwester, nebst ihrer unar- tigen Antwort mittheilen.
Womit habe ich euch beleidiget, liebe Schwe- ster, daß ihr mit einem so harten Hertzen nicht allein meinen Vater sondern auch meine Mutter noch mehr gegen mich aufzubringen sucht, anstatt daß ihr euch bemühen soltet, sie zu besänftigen? Jch würde dieses gewiß thun, wenn ihr euch in meinen unglücklichen Umständen befinden soltet. Stellet euch nur an meine Stelle, liebe Arabella; stellet es euch vor, daß man euch zwingen wolte, Herrn Lovelace zu heyrathen, gegen den ihr einen Widerwillen gefasset habt; würde euch die- ser Befehl nicht ungemein hart scheinen? Und gewiß eur Widerwillen gegen Herrn Lovelace kan ohnmöglich grösser seyn, als meiner gegen Herrn Solmes ist. Liebe und Abneigung ste- hen ja nicht bey uns: wir können sie bey uns nicht erwecken und nicht dämpfen.
Vielleicht hält es mein Bruder für ein Zeichen eines männlichen Gemüths, nichts von den sanf- tern Gemüths-Bewegungen zu wissen. Er hat sich selbst in unserer Gegenwart gerühmet, daß er noch niemals eine besondere Liebe zu einer Per- son empfunden habe: und er wird sie auch wol künftig nicht empfinden, weil ihn andere Nei- gungen stärcker beherrschen, und sein erster Ver- such zu lieben schlecht ablief. Da er noch von Universiäten raucht, und kaum unter dem Hoff-
meister
Die Geſchichte
Nun will ich Jhnen auch die Abſchrifft des Briefes an meine Schweſter, nebſt ihrer unar- tigen Antwort mittheilen.
Womit habe ich euch beleidiget, liebe Schwe- ſter, daß ihr mit einem ſo harten Hertzen nicht allein meinen Vater ſondern auch meine Mutter noch mehr gegen mich aufzubringen ſucht, anſtatt daß ihr euch bemuͤhen ſoltet, ſie zu beſaͤnftigen? Jch wuͤrde dieſes gewiß thun, wenn ihr euch in meinen ungluͤcklichen Umſtaͤnden befinden ſoltet. Stellet euch nur an meine Stelle, liebe Arabella; ſtellet es euch vor, daß man euch zwingen wolte, Herrn Lovelace zu heyrathen, gegen den ihr einen Widerwillen gefaſſet habt; wuͤrde euch die- ſer Befehl nicht ungemein hart ſcheinen? Und gewiß eur Widerwillen gegen Herrn Lovelace kan ohnmoͤglich groͤſſer ſeyn, als meiner gegen Herrn Solmes iſt. Liebe und Abneigung ſte- hen ja nicht bey uns: wir koͤnnen ſie bey uns nicht erwecken und nicht daͤmpfen.
Vielleicht haͤlt es mein Bruder fuͤr ein Zeichen eines maͤnnlichen Gemuͤths, nichts von den ſanf- tern Gemuͤths-Bewegungen zu wiſſen. Er hat ſich ſelbſt in unſerer Gegenwart geruͤhmet, daß er noch niemals eine beſondere Liebe zu einer Per- ſon empfunden habe: und er wird ſie auch wol kuͤnftig nicht empfinden, weil ihn andere Nei- gungen ſtaͤrcker beherrſchen, und ſein erſter Ver- ſuch zu lieben ſchlecht ablief. Da er noch von Univerſiaͤten raucht, und kaum unter dem Hoff-
meiſter
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Die Geſchichte
Nun will ich Jhnen auch die Abſchrifft des
Briefes an meine Schweſter, nebſt ihrer unar-
tigen Antwort mittheilen.
Womit habe ich euch beleidiget, liebe Schwe-
ſter, daß ihr mit einem ſo harten Hertzen nicht
allein meinen Vater ſondern auch meine Mutter
noch mehr gegen mich aufzubringen ſucht, anſtatt
daß ihr euch bemuͤhen ſoltet, ſie zu beſaͤnftigen?
Jch wuͤrde dieſes gewiß thun, wenn ihr euch in
meinen ungluͤcklichen Umſtaͤnden befinden ſoltet.
Stellet euch nur an meine Stelle, liebe Arabella;
ſtellet es euch vor, daß man euch zwingen wolte,
Herrn Lovelace zu heyrathen, gegen den ihr
einen Widerwillen gefaſſet habt; wuͤrde euch die-
ſer Befehl nicht ungemein hart ſcheinen? Und
gewiß eur Widerwillen gegen Herrn Lovelace
kan ohnmoͤglich groͤſſer ſeyn, als meiner gegen
Herrn Solmes iſt. Liebe und Abneigung ſte-
hen ja nicht bey uns: wir koͤnnen ſie bey uns
nicht erwecken und nicht daͤmpfen.
Vielleicht haͤlt es mein Bruder fuͤr ein Zeichen
eines maͤnnlichen Gemuͤths, nichts von den ſanf-
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noch niemals eine beſondere Liebe zu einer Per-
ſon empfunden habe: und er wird ſie auch wol
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/332>, abgerufen am 22.11.2024.
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