wenn ihr nur nicht durch eure sonderbare Klug- heit ihn und mich näher verbindet, und uns durch ein gemeinschaftliches Leiden zwinget, es mit einander zu halten. Jch habe schon einen Vor- schlag dieses Jnhals gethan. Jch hoffe nicht, daß ihr mir neue Ursache geben werdet, zu glau- ben, daß ihr die Annehmung meines Vorschlages hintertrieben habt.
Es ist betrübt, daß ich an euch einen Bruder, aber nicht einen Freund habe: ohngeachtet ich mir nicht bewust bin, euch in einigem Stücke be- leidiget zu haben.
Jhr werdet euch vielleicht nicht so weit herab- lassen, daß ihr einer albernen Schwester von eurer bisherigen Aufführung Rede und Antwort gebet. Wenn ich aber um eur selbst und um meines Geschlechts willen keine Höflichkeir von euch erwarten darf: so werde ich doch Gerech- tigkeit und Billigkeit fodern dürfen.
Der vornehmste Zweck, deswegen ein junger Cavallier die Universität beziehet, ist dieser, daß er soll richtig dencken und seine Affecten im Zaum halten lernen. Jch hoffe, mein Bruder, ihr wer- det nicht wollen, daß wer uns beyde kennet, das Urtheil fällen soll, als hätte ich das zweyte Stück, das ich vorhin erwähnte, bey der Neh-Nadel besser gelernt, als ihr auf der Universität. Es thut mir wahrhaftig leid, daß ich oft habe von andern hören müssen, daß eure ungestümen Affe- cten für eure Erziehung und Stand eine schlechte Ehre seyn sollen.
Jch
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der Clariſſa.
wenn ihr nur nicht durch eure ſonderbare Klug- heit ihn und mich naͤher verbindet, und uns durch ein gemeinſchaftliches Leiden zwinget, es mit einander zu halten. Jch habe ſchon einen Vor- ſchlag dieſes Jnhals gethan. Jch hoffe nicht, daß ihr mir neue Urſache geben werdet, zu glau- ben, daß ihr die Annehmung meines Vorſchlages hintertrieben habt.
Es iſt betruͤbt, daß ich an euch einen Bruder, aber nicht einen Freund habe: ohngeachtet ich mir nicht bewuſt bin, euch in einigem Stuͤcke be- leidiget zu haben.
Jhr werdet euch vielleicht nicht ſo weit herab- laſſen, daß ihr einer albernen Schweſter von eurer bisherigen Auffuͤhrung Rede und Antwort gebet. Wenn ich aber um eur ſelbſt und um meines Geſchlechts willen keine Hoͤflichkeir von euch erwarten darf: ſo werde ich doch Gerech- tigkeit und Billigkeit fodern duͤrfen.
Der vornehmſte Zweck, deswegen ein junger Cavallier die Univerſitaͤt beziehet, iſt dieſer, daß er ſoll richtig dencken und ſeine Affecten im Zaum halten lernen. Jch hoffe, mein Bruder, ihr wer- det nicht wollen, daß wer uns beyde kennet, das Urtheil faͤllen ſoll, als haͤtte ich das zweyte Stuͤck, das ich vorhin erwaͤhnte, bey der Neh-Nadel beſſer gelernt, als ihr auf der Univerſitaͤt. Es thut mir wahrhaftig leid, daß ich oft habe von andern hoͤren muͤſſen, daß eure ungeſtuͤmen Affe- cten fuͤr eure Erziehung und Stand eine ſchlechte Ehre ſeyn ſollen.
Jch
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der Clariſſa.
wenn ihr nur nicht durch eure ſonderbare Klug-
heit ihn und mich naͤher verbindet, und uns durch
ein gemeinſchaftliches Leiden zwinget, es mit
einander zu halten. Jch habe ſchon einen Vor-
ſchlag dieſes Jnhals gethan. Jch hoffe nicht,
daß ihr mir neue Urſache geben werdet, zu glau-
ben, daß ihr die Annehmung meines Vorſchlages
hintertrieben habt.
Es iſt betruͤbt, daß ich an euch einen Bruder,
aber nicht einen Freund habe: ohngeachtet ich
mir nicht bewuſt bin, euch in einigem Stuͤcke be-
leidiget zu haben.
Jhr werdet euch vielleicht nicht ſo weit herab-
laſſen, daß ihr einer albernen Schweſter von
eurer bisherigen Auffuͤhrung Rede und Antwort
gebet. Wenn ich aber um eur ſelbſt und um
meines Geſchlechts willen keine Hoͤflichkeir von
euch erwarten darf: ſo werde ich doch Gerech-
tigkeit und Billigkeit fodern duͤrfen.
Der vornehmſte Zweck, deswegen ein junger
Cavallier die Univerſitaͤt beziehet, iſt dieſer, daß
er ſoll richtig dencken und ſeine Affecten im Zaum
halten lernen. Jch hoffe, mein Bruder, ihr wer-
det nicht wollen, daß wer uns beyde kennet, das
Urtheil faͤllen ſoll, als haͤtte ich das zweyte Stuͤck,
das ich vorhin erwaͤhnte, bey der Neh-Nadel
beſſer gelernt, als ihr auf der Univerſitaͤt. Es
thut mir wahrhaftig leid, daß ich oft habe von
andern hoͤren muͤſſen, daß eure ungeſtuͤmen Affe-
cten fuͤr eure Erziehung und Stand eine ſchlechte
Ehre ſeyn ſollen.
Jch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/329>, abgerufen am 22.11.2024.
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