ihr genugsame Ursache gäbe sich über ihn zu är- gern. Allein wie beschwerlich würde es einer Frau seyn, die nur ein wenig artig ist, wenn sie jemals sollte überzeuget werden, daß sie aus Versehen ihm etwas zu Gefallen gethan hätte!
So viel von seinem äusserlichen. Jn Absicht auf sein Gemüth sagt man von ihm, daß er auf das demüthigste kriechen und schmeicheln könne, wo er etwas zu gewinnen hoffet; sonst aber tro- tzig und unerträglich sey. Sind nicht alle nieder- trächtige Gemüther so beschaffen? Wenn ihn nur eine eintzige Person beleidiget hat, so soll er des- wegen voll Verachtung und Rachgier gegen die gantze Familie seyn: und so soll er fast gegen al- le seine Anverwandten gesinnet seyn. Man hat mir gesagt, daß keiner unter ihnen so schlimm sey als er: und vielleicht ist dieses die Ursache davon, daß er sie enterben will.
Meine Kytti hat von einem seiner Bedienten gehört, daß ihm alle seine Pächter feind sind, und daß er noch niemals einen Bedienten gehabt hätte, der wohl von ihm redete. Er soll recht niederträchtig-argwöhnisch seyn, daß sie ihn be- triegen möchten, und darum schaft er sie bald ab. Es scheint, daß er von andern nach sich selbst urtheilet.
Seine Taschen sollen immer mit Schlüsseln an- gefüllet seyn. Wenn er einen Gast hat (einen Freund hat er in der Welt nicht, aus genommen einen aus Jhrer Familie) so muß er so lange suchen, und fragen, welches der rechte Schlüssel zu jedem
Din-
der Clariſſa.
ihr genugſame Urſache gaͤbe ſich uͤber ihn zu aͤr- gern. Allein wie beſchwerlich wuͤrde es einer Frau ſeyn, die nur ein wenig artig iſt, wenn ſie jemals ſollte uͤberzeuget werden, daß ſie aus Verſehen ihm etwas zu Gefallen gethan haͤtte!
So viel von ſeinem aͤuſſerlichen. Jn Abſicht auf ſein Gemuͤth ſagt man von ihm, daß er auf das demuͤthigſte kriechen und ſchmeicheln koͤnne, wo er etwas zu gewinnen hoffet; ſonſt aber tro- tzig und unertraͤglich ſey. Sind nicht alle nieder- traͤchtige Gemuͤther ſo beſchaffen? Wenn ihn nur eine eintzige Perſon beleidiget hat, ſo ſoll er des- wegen voll Verachtung und Rachgier gegen die gantze Familie ſeyn: und ſo ſoll er faſt gegen al- le ſeine Anverwandten geſinnet ſeyn. Man hat mir geſagt, daß keiner unter ihnen ſo ſchlimm ſey als er: und vielleicht iſt dieſes die Urſache davon, daß er ſie enterben will.
Meine Kytti hat von einem ſeiner Bedienten gehoͤrt, daß ihm alle ſeine Paͤchter feind ſind, und daß er noch niemals einen Bedienten gehabt haͤtte, der wohl von ihm redete. Er ſoll recht niedertraͤchtig-argwoͤhniſch ſeyn, daß ſie ihn be- triegen moͤchten, und darum ſchaft er ſie bald ab. Es ſcheint, daß er von andern nach ſich ſelbſt urtheilet.
Seine Taſchen ſollen immer mit Schluͤſſeln an- gefuͤllet ſeyn. Wenn er einen Gaſt hat (einen Fꝛeund hat er in deꝛ Welt nicht, aus genom̃en einen aus Jhrer Familie) ſo muß er ſo lange ſuchen, und fragen, welches der rechte Schluͤſſel zu jedem
Din-
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der Clariſſa.
ihr genugſame Urſache gaͤbe ſich uͤber ihn zu aͤr-
gern. Allein wie beſchwerlich wuͤrde es einer Frau
ſeyn, die nur ein wenig artig iſt, wenn ſie jemals
ſollte uͤberzeuget werden, daß ſie aus Verſehen
ihm etwas zu Gefallen gethan haͤtte!
So viel von ſeinem aͤuſſerlichen. Jn Abſicht
auf ſein Gemuͤth ſagt man von ihm, daß er auf
das demuͤthigſte kriechen und ſchmeicheln koͤnne,
wo er etwas zu gewinnen hoffet; ſonſt aber tro-
tzig und unertraͤglich ſey. Sind nicht alle nieder-
traͤchtige Gemuͤther ſo beſchaffen? Wenn ihn nur
eine eintzige Perſon beleidiget hat, ſo ſoll er des-
wegen voll Verachtung und Rachgier gegen die
gantze Familie ſeyn: und ſo ſoll er faſt gegen al-
le ſeine Anverwandten geſinnet ſeyn. Man hat
mir geſagt, daß keiner unter ihnen ſo ſchlimm ſey
als er: und vielleicht iſt dieſes die Urſache davon,
daß er ſie enterben will.
Meine Kytti hat von einem ſeiner Bedienten
gehoͤrt, daß ihm alle ſeine Paͤchter feind ſind, und
daß er noch niemals einen Bedienten gehabt
haͤtte, der wohl von ihm redete. Er ſoll recht
niedertraͤchtig-argwoͤhniſch ſeyn, daß ſie ihn be-
triegen moͤchten, und darum ſchaft er ſie bald ab.
Es ſcheint, daß er von andern nach ſich ſelbſt
urtheilet.
Seine Taſchen ſollen immer mit Schluͤſſeln an-
gefuͤllet ſeyn. Wenn er einen Gaſt hat (einen
Fꝛeund hat er in deꝛ Welt nicht, aus genom̃en einen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/305>, abgerufen am 23.11.2024.
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