meinen Vater zu besänftigen, wenn sie ihm Nach- richt von dem brächte, was vorgegangen sey.
Was für ein Gesicht machte mein Schwester hiebey! recht als wenn ich eine Tod-Sünde be- gangen hätte. Wie erhub sie Augen und Hände! wie runtzelte sie die Stirne!
Meine Mutter war ohnehin schon ungehalten genug auf mich: und fragte mich: warum ich zu ihr herunter käme, wenn ich noch ungehorsam wäre? Sie hatte das Wort kaum ausgeredet, so kam Schorey/ und meldete Herrn Solmes der unterdessen in den grossen Saal getreten war. Was trieb den eckelhafften Menschen bey spätem Abend, da es schon gantz finster war, in unser Haus. Jch glaube, es war so veranstaltet, daß er des Abends hier essen sollte, damit er erführe, was meine Muter bey mir würde ha- ben ausrichten können, und damit uns mein Vater beysaWmen finden möchte, wenn er nach Hause käme.
Jch wollte mich davon machen: allein meine Mutter befahl mir, nicht aus der Stelle zu gehen, weil ich doch einmahl herunter gekommen wäre ihrer zu spotten. Jch sollte mich, setzte sie hinzu, so gegen ihn betragen, daß sie dadurch Muth be- kommen möchte, meinem Vater eine so gute Nachricht von mir zu geben, als ich sie vorhin ersucht hätte.
Meine Schwester frolockete hierüber, und mich verdroß es, daß ich mich selbst so gefangen hatte, und einen so scharfen und empfindlichen
Ver-
Die Geſchichte
meinen Vater zu beſaͤnftigen, wenn ſie ihm Nach- richt von dem braͤchte, was vorgegangen ſey.
Was fuͤr ein Geſicht machte mein Schweſter hiebey! recht als wenn ich eine Tod-Suͤnde be- gangen haͤtte. Wie erhub ſie Augen und Haͤnde! wie runtzelte ſie die Stirne!
Meine Mutter war ohnehin ſchon ungehalten genug auf mich: und fragte mich: warum ich zu ihr herunter kaͤme, wenn ich noch ungehorſam waͤre? Sie hatte das Wort kaum ausgeredet, ſo kam Schorey/ und meldete Herrn Solmes der unterdeſſen in den groſſen Saal getreten war. Was trieb den eckelhafften Menſchen bey ſpaͤtem Abend, da es ſchon gantz finſter war, in unſer Haus. Jch glaube, es war ſo veranſtaltet, daß er des Abends hier eſſen ſollte, damit er erfuͤhre, was meine Muter bey mir wuͤrde ha- ben ausrichten koͤnnen, und damit uns mein Vater beyſaɯmen finden moͤchte, wenn er nach Hauſe kaͤme.
Jch wollte mich davon machen: allein meine Mutter befahl mir, nicht aus der Stelle zu gehen, weil ich doch einmahl herunter gekommen waͤre ihrer zu ſpotten. Jch ſollte mich, ſetzte ſie hinzu, ſo gegen ihn betragen, daß ſie dadurch Muth be- kommen moͤchte, meinem Vater eine ſo gute Nachricht von mir zu geben, als ich ſie vorhin erſucht haͤtte.
Meine Schweſter frolockete hieruͤber, und mich verdroß es, daß ich mich ſelbſt ſo gefangen hatte, und einen ſo ſcharfen und empfindlichen
Ver-
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Die Geſchichte
meinen Vater zu beſaͤnftigen, wenn ſie ihm Nach-
richt von dem braͤchte, was vorgegangen ſey.
Was fuͤr ein Geſicht machte mein Schweſter
hiebey! recht als wenn ich eine Tod-Suͤnde be-
gangen haͤtte. Wie erhub ſie Augen und
Haͤnde! wie runtzelte ſie die Stirne!
Meine Mutter war ohnehin ſchon ungehalten
genug auf mich: und fragte mich: warum ich
zu ihr herunter kaͤme, wenn ich noch ungehorſam
waͤre? Sie hatte das Wort kaum ausgeredet, ſo
kam Schorey/ und meldete Herrn Solmes der
unterdeſſen in den groſſen Saal getreten war.
Was trieb den eckelhafften Menſchen bey ſpaͤtem
Abend, da es ſchon gantz finſter war, in unſer
Haus. Jch glaube, es war ſo veranſtaltet,
daß er des Abends hier eſſen ſollte, damit er
erfuͤhre, was meine Muter bey mir wuͤrde ha-
ben ausrichten koͤnnen, und damit uns mein
Vater beyſaɯmen finden moͤchte, wenn er nach
Hauſe kaͤme.
Jch wollte mich davon machen: allein meine
Mutter befahl mir, nicht aus der Stelle zu gehen,
weil ich doch einmahl herunter gekommen waͤre
ihrer zu ſpotten. Jch ſollte mich, ſetzte ſie hinzu,
ſo gegen ihn betragen, daß ſie dadurch Muth be-
kommen moͤchte, meinem Vater eine ſo gute
Nachricht von mir zu geben, als ich ſie vorhin
erſucht haͤtte.
Meine Schweſter frolockete hieruͤber, und
mich verdroß es, daß ich mich ſelbſt ſo gefangen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/256>, abgerufen am 22.11.2024.
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