noch nie auf eine Probe gestellet worden, welche den Namen einer Probe verdienet hätte. Die Mühe, die ich jetzt anwende dich zu bewegen, wird und soll die letzte seyn. Gib mir doch nur einige Hoffnung, mein liebes Kind: es betrifft meine Ruhe und Zufriedenheit. Jch will mit einer blossen Hoffnung zufrieden seyn; da dein Vater einen blinden Gehorsam, den du mit Freuden leisten sollst, als eine Schuldigkeit fo- dert. Gib mir nur Hoffnung mein Kind!
Jch sagte: wenn ich einer so gütigen und lie- ben Mutter Hoffnung mache, so ist es eben so viel, als wenn ich alles einwilligte. Handle ich aufrichtig, wenn ich ihnen Hoffnung zu etwas mache, das ich nicht halten kan?
Sie ward sehr ungehalten, und nannte mich abermals ein verkehrtes Mädchen. Sie warff mir vor, daß ich blos meinem Triebe folgete, und weder ihre Ruhe noch meine Pflicht vor Augen hätte. Sie sagte: "es sey eine verdrießliche "Sache für Eltern, die an einer Tochter in den "ersten Kinder-Jahren und in der gantzen Erzie- "hung ihr Vergnügen gehabt hätten, weil sie sich "hätten Hoffnung machen können, daß sie der- "einst ein recht danckbares und gehorsames Kind "werden würde, wenn sie endlich zu der Zeit, da sie "ihre Wünsche und Hoffnung erfüllet sehen woll- "ten, gewahr werden müsten, daß sie ihrem eigenen "Glück im Wege stehe, ihren Eltern keine Freu- "de machen wolle, die besten Vorschläge und "Verschreibungen verwerfe, und ihre beküm-
"merten
der Clariſſa.
noch nie auf eine Probe geſtellet worden, welche den Namen einer Probe verdienet haͤtte. Die Muͤhe, die ich jetzt anwende dich zu bewegen, wird und ſoll die letzte ſeyn. Gib mir doch nur einige Hoffnung, mein liebes Kind: es betrifft meine Ruhe und Zufriedenheit. Jch will mit einer bloſſen Hoffnung zufrieden ſeyn; da dein Vater einen blinden Gehorſam, den du mit Freuden leiſten ſollſt, als eine Schuldigkeit fo- dert. Gib mir nur Hoffnung mein Kind!
Jch ſagte: wenn ich einer ſo guͤtigen und lie- ben Mutter Hoffnung mache, ſo iſt es eben ſo viel, als wenn ich alles einwilligte. Handle ich aufrichtig, wenn ich ihnen Hoffnung zu etwas mache, das ich nicht halten kan?
Sie ward ſehr ungehalten, und nannte mich abermals ein verkehrtes Maͤdchen. Sie warff mir vor, daß ich blos meinem Triebe folgete, und weder ihre Ruhe noch meine Pflicht vor Augen haͤtte. Sie ſagte: „es ſey eine verdrießliche „Sache fuͤr Eltern, die an einer Tochter in den „erſten Kinder-Jahren und in der gantzen Erzie- „hung ihr Vergnuͤgen gehabt haͤtten, weil ſie ſich „haͤtten Hoffnung machen koͤnnen, daß ſie der- „einſt ein recht danckbares und gehorſames Kind „werden wuͤrde, wenn ſie endlich zu der Zeit, da ſie „ihre Wuͤnſche und Hoffnung erfuͤllet ſehen woll- „ten, gewahr werden muͤſten, daß ſie ihrem eigenen „Gluͤck im Wege ſtehe, ihren Eltern keine Freu- „de machen wolle, die beſten Vorſchlaͤge und „Verſchreibungen verwerfe, und ihre bekuͤm-
„merten
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der Clariſſa.
noch nie auf eine Probe geſtellet worden, welche
den Namen einer Probe verdienet haͤtte. Die
Muͤhe, die ich jetzt anwende dich zu bewegen,
wird und ſoll die letzte ſeyn. Gib mir doch nur
einige Hoffnung, mein liebes Kind: es betrifft
meine Ruhe und Zufriedenheit. Jch will mit
einer bloſſen Hoffnung zufrieden ſeyn; da dein
Vater einen blinden Gehorſam, den du mit
Freuden leiſten ſollſt, als eine Schuldigkeit fo-
dert. Gib mir nur Hoffnung mein Kind!
Jch ſagte: wenn ich einer ſo guͤtigen und lie-
ben Mutter Hoffnung mache, ſo iſt es eben ſo
viel, als wenn ich alles einwilligte. Handle ich
aufrichtig, wenn ich ihnen Hoffnung zu etwas
mache, das ich nicht halten kan?
Sie ward ſehr ungehalten, und nannte mich
abermals ein verkehrtes Maͤdchen. Sie warff
mir vor, daß ich blos meinem Triebe folgete, und
weder ihre Ruhe noch meine Pflicht vor Augen
haͤtte. Sie ſagte: „es ſey eine verdrießliche
„Sache fuͤr Eltern, die an einer Tochter in den
„erſten Kinder-Jahren und in der gantzen Erzie-
„hung ihr Vergnuͤgen gehabt haͤtten, weil ſie ſich
„haͤtten Hoffnung machen koͤnnen, daß ſie der-
„einſt ein recht danckbares und gehorſames Kind
„werden wuͤrde, wenn ſie endlich zu der Zeit, da ſie
„ihre Wuͤnſche und Hoffnung erfuͤllet ſehen woll-
„ten, gewahr werden muͤſten, daß ſie ihrem eigenen
„Gluͤck im Wege ſtehe, ihren Eltern keine Freu-
„de machen wolle, die beſten Vorſchlaͤge und
„Verſchreibungen verwerfe, und ihre bekuͤm-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/241>, abgerufen am 23.11.2024.
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