ich gesucht habe, andere zu übertreffen, desto mehr würden von jener und desto weniger von dieser Art seyn.
Dieses sind einige von den Betrachtungen, die ich damals anstellete. Jch würde noch jetzt in eben den Umständen bey reifer Ueberlegung eben so handeln. Wer kan künftige Zufälle vorher sehen? Wir können nichts weiter thun, als die Sache nach den Umständen überlegen, unter denen sie sich uns in der gegenwärtigen Zeit vorstellet, und unser Urtheil darnach einrichten. Habe ich gefehlet, so habe ich durch meinen Fehler bewie- sen, daß ich an der Klugheit dieser Welt einen Mangel habe. Wenn man dadurch in Unglück geräth, daß man seiner Schuldigkeit gemäß und sogar großmüthig gehandelt hat, so dient es ei- nem zur Beruhigung, daß man siehet, der Feh- ler sey nicht bey uns sondern in der Niederträch- tigkeit anderer zu suchen. Jch will lieber Ursache haben, andere für hart zu halten, als daß ich ih- nen sollte Ursache geben, mich für ungehorsam und Pflicht-vergessen zu halten: und ich bin ver- sichert, daß Sie eben so gesinnet sind.
Jch komme nun auf den wichtigsten Theil Jh- res Briefes. Sie meynen, ich würde bey diesen Umständen nothwendig Herrn Solmes zu Theil werden müssen. Jch will nicht hitzig und vorei- lig seyn, das Gegentheil zu behaupten: aber ich glaube, es kan und soll nimmer geschehen. Jch weiß, daß man sich auf meinen nachgebenden und beugsamen Sinn verläßt: ich habe Jhnen
aber
Erster Theil. O
der Clariſſa.
ich geſucht habe, andere zu uͤbertreffen, deſto mehr wuͤrden von jener und deſto weniger von dieſer Art ſeyn.
Dieſes ſind einige von den Betrachtungen, die ich damals anſtellete. Jch wuͤrde noch jetzt in eben den Umſtaͤnden bey reifer Ueberlegung eben ſo handeln. Wer kan kuͤnftige Zufaͤlle vorher ſehen? Wir koͤnnen nichts weiter thun, als die Sache nach den Umſtaͤnden uͤberlegen, unter denen ſie ſich uns in der gegenwaͤrtigen Zeit vorſtellet, und unſer Urtheil darnach einrichten. Habe ich gefehlet, ſo habe ich durch meinen Fehler bewie- ſen, daß ich an der Klugheit dieſer Welt einen Mangel habe. Wenn man dadurch in Ungluͤck geraͤth, daß man ſeiner Schuldigkeit gemaͤß und ſogar großmuͤthig gehandelt hat, ſo dient es ei- nem zur Beruhigung, daß man ſiehet, der Feh- ler ſey nicht bey uns ſondern in der Niedertraͤch- tigkeit anderer zu ſuchen. Jch will lieber Urſache haben, andere fuͤr hart zu halten, als daß ich ih- nen ſollte Urſache geben, mich fuͤr ungehorſam und Pflicht-vergeſſen zu halten: und ich bin ver- ſichert, daß Sie eben ſo geſinnet ſind.
Jch komme nun auf den wichtigſten Theil Jh- res Briefes. Sie meynen, ich wuͤrde bey dieſen Umſtaͤnden nothwendig Herrn Solmes zu Theil werden muͤſſen. Jch will nicht hitzig und vorei- lig ſeyn, das Gegentheil zu behaupten: aber ich glaube, es kan und ſoll nimmer geſchehen. Jch weiß, daß man ſich auf meinen nachgebenden und beugſamen Sinn verlaͤßt: ich habe Jhnen
aber
Erſter Theil. O
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der Clariſſa.
ich geſucht habe, andere zu uͤbertreffen, deſto
mehr wuͤrden von jener und deſto weniger von
dieſer Art ſeyn.
Dieſes ſind einige von den Betrachtungen, die
ich damals anſtellete. Jch wuͤrde noch jetzt in
eben den Umſtaͤnden bey reifer Ueberlegung eben
ſo handeln. Wer kan kuͤnftige Zufaͤlle vorher
ſehen? Wir koͤnnen nichts weiter thun, als die
Sache nach den Umſtaͤnden uͤberlegen, unter denen
ſie ſich uns in der gegenwaͤrtigen Zeit vorſtellet,
und unſer Urtheil darnach einrichten. Habe ich
gefehlet, ſo habe ich durch meinen Fehler bewie-
ſen, daß ich an der Klugheit dieſer Welt einen
Mangel habe. Wenn man dadurch in Ungluͤck
geraͤth, daß man ſeiner Schuldigkeit gemaͤß und
ſogar großmuͤthig gehandelt hat, ſo dient es ei-
nem zur Beruhigung, daß man ſiehet, der Feh-
ler ſey nicht bey uns ſondern in der Niedertraͤch-
tigkeit anderer zu ſuchen. Jch will lieber Urſache
haben, andere fuͤr hart zu halten, als daß ich ih-
nen ſollte Urſache geben, mich fuͤr ungehorſam
und Pflicht-vergeſſen zu halten: und ich bin ver-
ſichert, daß Sie eben ſo geſinnet ſind.
Jch komme nun auf den wichtigſten Theil Jh-
res Briefes. Sie meynen, ich wuͤrde bey dieſen
Umſtaͤnden nothwendig Herrn Solmes zu Theil
werden muͤſſen. Jch will nicht hitzig und vorei-
lig ſeyn, das Gegentheil zu behaupten: aber ich
glaube, es kan und ſoll nimmer geſchehen. Jch
weiß, daß man ſich auf meinen nachgebenden
und beugſamen Sinn verlaͤßt: ich habe Jhnen
aber
Erſter Theil. O
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/229>, abgerufen am 22.11.2024.
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