Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
langen. Sie werden in seinen Briefen die Kunst-
Griffe bald bemercken, dadurch er mich zwingen
will, den Brief-Wechsel fortzusetzen.



Meine Mutter kam nach Vefliessung einer
Stunde wieder zu mir. Sie sagte: "da hast
"du deine Briefe wieder, Clärchen! ich habe
"nichts daran auszusetzen, alle Worte sind mit
"Behutsamkeit gewählt. Du hast so geschrieben,
"daß du dir das nöthige Ansehen und Vorrecht
"nicht vergiebest, und den Wohlstand in nichts
"beleidigest: und hast ihm genugsam zu verste-
"hen gegeben, daß du über seine Drohungen
"und harten Ausdrücke empfindlich bist. Allein
"kanst du dieses für eine anständige Verbin-
"dung halten, da der eine Theil seinen Haß und
"der andere sein Trotzen und Verachtung nicht
"einmal zu verbergen trachtet? Kanst du glau-
"ben, daß es sich schicket, einem Menschen die
"geringste Hoffnung auf dich zu machen, der
"fich mit deinem Bruder geschlagen hat, wenn
"er auch noch so viele Zuneigung gegen dich zu ha-
"ben vorgiebt, und die allerschönsten Mittel hat?

"Nein! sagte ich: das kan ich auch nicht
"glauben: und sie werden gesehen haben, daß
"ich dieses zu verstehen gegeben habe. Allein da
"sie nun alle Briefe gelesen haben, so bitte ich
"mir ihren Befehl aus, nach dem ich mich in ei-
"ner so verworrenen Sache zu richten begierig
"bin.

"Jch

Die Geſchichte
langen. Sie werden in ſeinen Briefen die Kunſt-
Griffe bald bemercken, dadurch er mich zwingen
will, den Brief-Wechſel fortzuſetzen.



Meine Mutter kam nach Veflieſſung einer
Stunde wieder zu mir. Sie ſagte: „da haſt
„du deine Briefe wieder, Claͤrchen! ich habe
„nichts daran auszuſetzen, alle Worte ſind mit
„Behutſamkeit gewaͤhlt. Du haſt ſo geſchrieben,
„daß du dir das noͤthige Anſehen und Vorrecht
„nicht vergiebeſt, und den Wohlſtand in nichts
„beleidigeſt: und haſt ihm genugſam zu verſte-
„hen gegeben, daß du uͤber ſeine Drohungen
„und harten Ausdruͤcke empfindlich biſt. Allein
„kanſt du dieſes fuͤr eine anſtaͤndige Verbin-
„dung halten, da der eine Theil ſeinen Haß und
„der andere ſein Trotzen und Verachtung nicht
„einmal zu verbergen trachtet? Kanſt du glau-
„ben, daß es ſich ſchicket, einem Menſchen die
„geringſte Hoffnung auf dich zu machen, der
„fich mit deinem Bruder geſchlagen hat, wenn
„er auch noch ſo viele Zuneigung gegen dich zu ha-
„ben vorgiebt, und die allerſchoͤnſten Mittel hat?

„Nein! ſagte ich: das kan ich auch nicht
„glauben: und ſie werden geſehen haben, daß
„ich dieſes zu verſtehen gegeben habe. Allein da
„ſie nun alle Briefe geleſen haben, ſo bitte ich
„mir ihren Befehl aus, nach dem ich mich in ei-
„ner ſo verworrenen Sache zu richten begierig
„bin.

„Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0214" n="194"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
langen. Sie werden in &#x017F;einen Briefen die Kun&#x017F;t-<lb/>
Griffe bald bemercken, dadurch er mich zwingen<lb/>
will, den Brief-Wech&#x017F;el fortzu&#x017F;etzen.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Meine Mutter kam nach Veflie&#x017F;&#x017F;ung einer<lb/>
Stunde wieder zu mir. Sie &#x017F;agte: &#x201E;da ha&#x017F;t<lb/>
&#x201E;du deine Briefe wieder, <hi rendition="#fr">Cla&#x0364;rchen!</hi> ich habe<lb/>
&#x201E;nichts daran auszu&#x017F;etzen, alle Worte &#x017F;ind mit<lb/>
&#x201E;Behut&#x017F;amkeit gewa&#x0364;hlt. Du ha&#x017F;t &#x017F;o ge&#x017F;chrieben,<lb/>
&#x201E;daß du dir das no&#x0364;thige An&#x017F;ehen und Vorrecht<lb/>
&#x201E;nicht vergiebe&#x017F;t, und den Wohl&#x017F;tand in nichts<lb/>
&#x201E;beleidige&#x017F;t: und ha&#x017F;t ihm genug&#x017F;am zu ver&#x017F;te-<lb/>
&#x201E;hen gegeben, daß du u&#x0364;ber &#x017F;eine Drohungen<lb/>
&#x201E;und harten Ausdru&#x0364;cke empfindlich bi&#x017F;t. Allein<lb/>
&#x201E;kan&#x017F;t du die&#x017F;es fu&#x0364;r eine an&#x017F;ta&#x0364;ndige Verbin-<lb/>
&#x201E;dung halten, da der eine Theil &#x017F;einen Haß und<lb/>
&#x201E;der andere &#x017F;ein Trotzen und Verachtung nicht<lb/>
&#x201E;einmal zu verbergen trachtet? Kan&#x017F;t du glau-<lb/>
&#x201E;ben, daß es &#x017F;ich &#x017F;chicket, einem Men&#x017F;chen die<lb/>
&#x201E;gering&#x017F;te Hoffnung auf dich zu machen, der<lb/>
&#x201E;fich mit deinem Bruder ge&#x017F;chlagen hat, wenn<lb/>
&#x201E;er auch noch &#x017F;o viele Zuneigung gegen dich zu ha-<lb/>
&#x201E;ben vorgiebt, und die aller&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Mittel hat?</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein! &#x017F;agte ich: das kan ich auch nicht<lb/>
&#x201E;glauben: und &#x017F;ie werden ge&#x017F;ehen haben, daß<lb/>
&#x201E;ich die&#x017F;es zu ver&#x017F;tehen gegeben habe. Allein da<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie nun alle Briefe gele&#x017F;en haben, &#x017F;o bitte ich<lb/>
&#x201E;mir ihren Befehl aus, nach dem ich mich in ei-<lb/>
&#x201E;ner &#x017F;o verworrenen Sache zu richten begierig<lb/>
&#x201E;bin.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Jch</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0214] Die Geſchichte langen. Sie werden in ſeinen Briefen die Kunſt- Griffe bald bemercken, dadurch er mich zwingen will, den Brief-Wechſel fortzuſetzen. Meine Mutter kam nach Veflieſſung einer Stunde wieder zu mir. Sie ſagte: „da haſt „du deine Briefe wieder, Claͤrchen! ich habe „nichts daran auszuſetzen, alle Worte ſind mit „Behutſamkeit gewaͤhlt. Du haſt ſo geſchrieben, „daß du dir das noͤthige Anſehen und Vorrecht „nicht vergiebeſt, und den Wohlſtand in nichts „beleidigeſt: und haſt ihm genugſam zu verſte- „hen gegeben, daß du uͤber ſeine Drohungen „und harten Ausdruͤcke empfindlich biſt. Allein „kanſt du dieſes fuͤr eine anſtaͤndige Verbin- „dung halten, da der eine Theil ſeinen Haß und „der andere ſein Trotzen und Verachtung nicht „einmal zu verbergen trachtet? Kanſt du glau- „ben, daß es ſich ſchicket, einem Menſchen die „geringſte Hoffnung auf dich zu machen, der „fich mit deinem Bruder geſchlagen hat, wenn „er auch noch ſo viele Zuneigung gegen dich zu ha- „ben vorgiebt, und die allerſchoͤnſten Mittel hat? „Nein! ſagte ich: das kan ich auch nicht „glauben: und ſie werden geſehen haben, daß „ich dieſes zu verſtehen gegeben habe. Allein da „ſie nun alle Briefe geleſen haben, ſo bitte ich „mir ihren Befehl aus, nach dem ich mich in ei- „ner ſo verworrenen Sache zu richten begierig „bin. „Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/214
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/214>, abgerufen am 25.11.2024.