Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.Bäume fangen an grün zu werden, aber es kommt mir so zwecklos -- beinah möchte ich sagen, taktlos -- vor, daß draußen in der Natur sich alles auf ein neues Leben vorbereitet, während wir Menschen, insbesondere wir Wahnmochinger, durch sinnlose Verhängnisse darum gebracht werden. Zwischen Hallwig und dem Professor ist es zum Bruch gekommen, -- zu einem endgültigen und furchtbaren Bruch. Was für eine Welt ist dadurch in Trümmer gegangen, noch ehe sie erstanden war! Und wie widersinnig das klingt; aber nicht widersinniger, als es tatsächlich ist. Wer vermöchte auch jetzt noch in unserem Stadtteil Sinn und Widersinn voneinander zu unterscheiden? Man weiß auch nicht mehr, was Tatsache, was Vermutung ist, denn alles ist Geheimnis, und alle sprechen darüber. Es heißt, Hofmann sei durch jene beiden -- den Rabbi und die Jadwiga -- so verblendet worden, daß er ungemein starke kosmische Substanzen in ihnen zu entdecken glaubte und (wie mir ja damals schon die Kappadozische sagte) im Zionismus die Möglichkeit einer großen Blutleuchte, die ja so sehr herbeigesehnt wurde. Der Rabbi hat nun, nachdem er sich eine Zeitlang in Wahnmoching aufgehalten, gemeint, das sei ebensowohl möglich, als daß Luther ein Jude wäre. War Luther ein Jude, so mußte er eben vorwiegend jahwistisch-molochitische Substanzen in sich beherbergen. Bäume fangen an grün zu werden, aber es kommt mir so zwecklos — beinah möchte ich sagen, taktlos — vor, daß draußen in der Natur sich alles auf ein neues Leben vorbereitet, während wir Menschen, insbesondere wir Wahnmochinger, durch sinnlose Verhängnisse darum gebracht werden. Zwischen Hallwig und dem Professor ist es zum Bruch gekommen, — zu einem endgültigen und furchtbaren Bruch. Was für eine Welt ist dadurch in Trümmer gegangen, noch ehe sie erstanden war! Und wie widersinnig das klingt; aber nicht widersinniger, als es tatsächlich ist. Wer vermöchte auch jetzt noch in unserem Stadtteil Sinn und Widersinn voneinander zu unterscheiden? Man weiß auch nicht mehr, was Tatsache, was Vermutung ist, denn alles ist Geheimnis, und alle sprechen darüber. Es heißt, Hofmann sei durch jene beiden — den Rabbi und die Jadwiga — so verblendet worden, daß er ungemein starke kosmische Substanzen in ihnen zu entdecken glaubte und (wie mir ja damals schon die Kappadozische sagte) im Zionismus die Möglichkeit einer großen Blutleuchte, die ja so sehr herbeigesehnt wurde. Der Rabbi hat nun, nachdem er sich eine Zeitlang in Wahnmoching aufgehalten, gemeint, das sei ebensowohl möglich, als daß Luther ein Jude wäre. War Luther ein Jude, so mußte er eben vorwiegend jahwistisch-molochitische Substanzen in sich beherbergen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0182" n="178"/> Bäume fangen an grün zu werden, aber es kommt mir so zwecklos — beinah möchte ich sagen, taktlos — vor, daß draußen in der Natur sich alles auf ein neues Leben vorbereitet, während wir Menschen, insbesondere wir Wahnmochinger, durch sinnlose Verhängnisse darum gebracht werden.</p> <p>Zwischen Hallwig und dem Professor ist es zum Bruch gekommen, — zu einem endgültigen und furchtbaren Bruch. Was für eine Welt ist dadurch in Trümmer gegangen, noch ehe sie erstanden war! Und wie widersinnig das klingt; aber nicht widersinniger, als es tatsächlich ist. Wer vermöchte auch jetzt noch in unserem Stadtteil Sinn und Widersinn voneinander zu unterscheiden? Man weiß auch nicht mehr, was Tatsache, was Vermutung ist, denn alles ist Geheimnis, und alle sprechen darüber.</p> <p>Es heißt, Hofmann sei durch jene beiden — den Rabbi und die Jadwiga — so verblendet worden, daß er ungemein starke kosmische Substanzen in ihnen zu entdecken glaubte und (wie mir ja damals schon die Kappadozische sagte) im Zionismus die Möglichkeit einer großen Blutleuchte, die ja so sehr herbeigesehnt wurde. Der Rabbi hat nun, nachdem er sich eine Zeitlang in Wahnmoching aufgehalten, gemeint, das sei ebensowohl möglich, als daß Luther ein Jude wäre. War Luther ein Jude, so mußte er eben vorwiegend jahwistisch-molochitische Substanzen in sich beherbergen. </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [178/0182]
Bäume fangen an grün zu werden, aber es kommt mir so zwecklos — beinah möchte ich sagen, taktlos — vor, daß draußen in der Natur sich alles auf ein neues Leben vorbereitet, während wir Menschen, insbesondere wir Wahnmochinger, durch sinnlose Verhängnisse darum gebracht werden.
Zwischen Hallwig und dem Professor ist es zum Bruch gekommen, — zu einem endgültigen und furchtbaren Bruch. Was für eine Welt ist dadurch in Trümmer gegangen, noch ehe sie erstanden war! Und wie widersinnig das klingt; aber nicht widersinniger, als es tatsächlich ist. Wer vermöchte auch jetzt noch in unserem Stadtteil Sinn und Widersinn voneinander zu unterscheiden? Man weiß auch nicht mehr, was Tatsache, was Vermutung ist, denn alles ist Geheimnis, und alle sprechen darüber.
Es heißt, Hofmann sei durch jene beiden — den Rabbi und die Jadwiga — so verblendet worden, daß er ungemein starke kosmische Substanzen in ihnen zu entdecken glaubte und (wie mir ja damals schon die Kappadozische sagte) im Zionismus die Möglichkeit einer großen Blutleuchte, die ja so sehr herbeigesehnt wurde. Der Rabbi hat nun, nachdem er sich eine Zeitlang in Wahnmoching aufgehalten, gemeint, das sei ebensowohl möglich, als daß Luther ein Jude wäre. War Luther ein Jude, so mußte er eben vorwiegend jahwistisch-molochitische Substanzen in sich beherbergen.
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Zitationshilfe: | Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reventlow_dames_1913/182>, abgerufen am 26.06.2024. |