Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite



rungsvollen Zärtlichkeit zuschreiben; ich erwartete
von der Zeit, daß sie ihnen den ganzen Umfang der
ewigen Liebe, die mich an sie fessele, entschleiert hätte.
Und statt, daß das Glück anderer Eheleute immer
abnimmt, vergrössert sich das meinige unabläßig.

Christine umarmte voll Zärtlichkeit ihren Mann
und zeigt' ihm aufs zärtlichste, wie glücklich er sie mache.
-- Ach mein lieber Gemahl, sprach sie, wie thö-
richt ist der vermeinte Unterschied der Stände. Jn
deiner Gesellschaft wartete das Glück auf mich. We-
der ich noch mein Vater, so sehr er dieses Glück mir
wünschte, würden, um es zu finden, diesen Weg ein-
geschlagen haben. Es bedurfte ganz außerordentli-
cher Dinge, um uns dahin, wo wir uns befinden,
zu führen. Jetzt bist du mir so werth, daß, so sehn-
lich ich auch Nachricht von meinem Vater zu haben
wünschte, ich dich um alles in der Welt der Gefahr
nicht aussetzen wollte! Was würde ohne dich, aus
mir werden. Ja lieber Mann! gesegnet sey mein
Schicksal, aber ich wiederhol' es, daß es vieler
Umstände bedurfte, um mir es also zu verschaffen!

"Nichts als Liebe bedurft' es! reizende Gemah-
lin, erwiderte Victorin: meine Gesellschafterin, mei-
ne Freundinn, wie könnt' ich noch ein Geheimniß für
dich haben? Ach schon lange hätt' ichs entdeckt, hätt'
ich nicht gefürchtet, dein Glück zu vermindern! Jch
wartete, bis diese theuren Pfänder unsrer gegenseitigen
Zärtlichkeit im Stande wären für die Sache ihres Va-
ters zu sprechen, eh' ich ihnen alle meine Geheim-
niße entdeckte."

"Was



rungsvollen Zaͤrtlichkeit zuſchreiben; ich erwartete
von der Zeit, daß ſie ihnen den ganzen Umfang der
ewigen Liebe, die mich an ſie feſſele, entſchleiert haͤtte.
Und ſtatt, daß das Gluͤck anderer Eheleute immer
abnimmt, vergroͤſſert ſich das meinige unablaͤßig.

Chriſtine umarmte voll Zaͤrtlichkeit ihren Mann
und zeigt’ ihm aufs zaͤrtlichſte, wie gluͤcklich er ſie mache.
— Ach mein lieber Gemahl, ſprach ſie, wie thoͤ-
richt iſt der vermeinte Unterſchied der Staͤnde. Jn
deiner Geſellſchaft wartete das Gluͤck auf mich. We-
der ich noch mein Vater, ſo ſehr er dieſes Gluͤck mir
wuͤnſchte, wuͤrden, um es zu finden, dieſen Weg ein-
geſchlagen haben. Es bedurfte ganz außerordentli-
cher Dinge, um uns dahin, wo wir uns befinden,
zu fuͤhren. Jetzt biſt du mir ſo werth, daß, ſo ſehn-
lich ich auch Nachricht von meinem Vater zu haben
wuͤnſchte, ich dich um alles in der Welt der Gefahr
nicht ausſetzen wollte! Was wuͤrde ohne dich, aus
mir werden. Ja lieber Mann! geſegnet ſey mein
Schickſal, aber ich wiederhol’ es, daß es vieler
Umſtaͤnde bedurfte, um mir es alſo zu verſchaffen!

„Nichts als Liebe bedurft’ es! reizende Gemah-
lin, erwiderte Victorin: meine Geſellſchafterin, mei-
ne Freundinn, wie koͤnnt’ ich noch ein Geheimniß fuͤr
dich haben? Ach ſchon lange haͤtt’ ichs entdeckt, haͤtt’
ich nicht gefuͤrchtet, dein Gluͤck zu vermindern! Jch
wartete, bis dieſe theuren Pfaͤnder unſrer gegenſeitigen
Zaͤrtlichkeit im Stande waͤren fuͤr die Sache ihres Va-
ters zu ſprechen, eh’ ich ihnen alle meine Geheim-
niße entdeckte.‟

„Was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0090" n="82"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
rungsvollen Za&#x0364;rtlichkeit zu&#x017F;chreiben; ich erwartete<lb/>
von der Zeit, daß &#x017F;ie ihnen den ganzen Umfang der<lb/>
ewigen Liebe, die mich an &#x017F;ie fe&#x017F;&#x017F;ele, ent&#x017F;chleiert ha&#x0364;tte.<lb/>
Und &#x017F;tatt, daß das Glu&#x0364;ck anderer Eheleute immer<lb/>
abnimmt, vergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ert &#x017F;ich das meinige unabla&#x0364;ßig.</p><lb/>
        <p>Chri&#x017F;tine umarmte voll Za&#x0364;rtlichkeit ihren Mann<lb/>
und zeigt&#x2019; ihm aufs za&#x0364;rtlich&#x017F;te, wie glu&#x0364;cklich er &#x017F;ie mache.<lb/>
&#x2014; Ach mein lieber Gemahl, &#x017F;prach &#x017F;ie, wie tho&#x0364;-<lb/>
richt i&#x017F;t der vermeinte Unter&#x017F;chied der Sta&#x0364;nde. Jn<lb/>
deiner Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft wartete das Glu&#x0364;ck auf mich. We-<lb/>
der ich noch mein Vater, &#x017F;o &#x017F;ehr er die&#x017F;es Glu&#x0364;ck mir<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chte, wu&#x0364;rden, um es zu finden, die&#x017F;en Weg ein-<lb/>
ge&#x017F;chlagen haben. Es bedurfte ganz außerordentli-<lb/>
cher Dinge, um uns dahin, wo wir uns befinden,<lb/>
zu fu&#x0364;hren. Jetzt bi&#x017F;t du mir &#x017F;o werth, daß, &#x017F;o &#x017F;ehn-<lb/>
lich ich auch Nachricht von meinem Vater zu haben<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chte, ich dich um alles in der Welt der Gefahr<lb/>
nicht aus&#x017F;etzen wollte! Was wu&#x0364;rde ohne dich, aus<lb/>
mir werden. Ja lieber Mann! ge&#x017F;egnet &#x017F;ey mein<lb/>
Schick&#x017F;al, aber ich wiederhol&#x2019; es, daß es vieler<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nde bedurfte, um mir es al&#x017F;o zu ver&#x017F;chaffen!</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nichts als Liebe bedurft&#x2019; es! reizende Gemah-<lb/>
lin, erwiderte Victorin: meine Ge&#x017F;ell&#x017F;chafterin, mei-<lb/>
ne Freundinn, wie ko&#x0364;nnt&#x2019; ich noch ein Geheimniß fu&#x0364;r<lb/>
dich haben? Ach &#x017F;chon lange ha&#x0364;tt&#x2019; ichs entdeckt, ha&#x0364;tt&#x2019;<lb/>
ich nicht gefu&#x0364;rchtet, dein Glu&#x0364;ck zu vermindern! Jch<lb/>
wartete, bis die&#x017F;e theuren Pfa&#x0364;nder un&#x017F;rer gegen&#x017F;eitigen<lb/>
Za&#x0364;rtlichkeit im Stande wa&#x0364;ren fu&#x0364;r die Sache ihres Va-<lb/>
ters zu &#x017F;prechen, eh&#x2019; ich ihnen alle meine Geheim-<lb/>
niße entdeckte.&#x201F;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Was</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0090] rungsvollen Zaͤrtlichkeit zuſchreiben; ich erwartete von der Zeit, daß ſie ihnen den ganzen Umfang der ewigen Liebe, die mich an ſie feſſele, entſchleiert haͤtte. Und ſtatt, daß das Gluͤck anderer Eheleute immer abnimmt, vergroͤſſert ſich das meinige unablaͤßig. Chriſtine umarmte voll Zaͤrtlichkeit ihren Mann und zeigt’ ihm aufs zaͤrtlichſte, wie gluͤcklich er ſie mache. — Ach mein lieber Gemahl, ſprach ſie, wie thoͤ- richt iſt der vermeinte Unterſchied der Staͤnde. Jn deiner Geſellſchaft wartete das Gluͤck auf mich. We- der ich noch mein Vater, ſo ſehr er dieſes Gluͤck mir wuͤnſchte, wuͤrden, um es zu finden, dieſen Weg ein- geſchlagen haben. Es bedurfte ganz außerordentli- cher Dinge, um uns dahin, wo wir uns befinden, zu fuͤhren. Jetzt biſt du mir ſo werth, daß, ſo ſehn- lich ich auch Nachricht von meinem Vater zu haben wuͤnſchte, ich dich um alles in der Welt der Gefahr nicht ausſetzen wollte! Was wuͤrde ohne dich, aus mir werden. Ja lieber Mann! geſegnet ſey mein Schickſal, aber ich wiederhol’ es, daß es vieler Umſtaͤnde bedurfte, um mir es alſo zu verſchaffen! „Nichts als Liebe bedurft’ es! reizende Gemah- lin, erwiderte Victorin: meine Geſellſchafterin, mei- ne Freundinn, wie koͤnnt’ ich noch ein Geheimniß fuͤr dich haben? Ach ſchon lange haͤtt’ ichs entdeckt, haͤtt’ ich nicht gefuͤrchtet, dein Gluͤck zu vermindern! Jch wartete, bis dieſe theuren Pfaͤnder unſrer gegenſeitigen Zaͤrtlichkeit im Stande waͤren fuͤr die Sache ihres Va- ters zu ſprechen, eh’ ich ihnen alle meine Geheim- niße entdeckte.‟ „Was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/90
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/90>, abgerufen am 07.05.2024.