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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

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hörte, als weiße Nachtkleider, Strümpfe etc. die
man nach der Wäsche -- die nur einmal im Jahre
geschah -- trocknete; flog er in der Nacht hin,
machte sie in etliche Packte zusammen, und trug auf
dreymal fast alles was der Tochter des gnädigen
Herrn gehörte, auf den unbesteiglichen Berg.

Den andern Morgen entstand ein nicht geringer
Lermen im Schlosse: man hielt Nachsuchung, und
beschuldigte verschiedene Personen: da es aber un-
möglich war, nur einen Beweis gegen sie aufzubrin-
gen, weil die Wäsche weder bey den Kaufleuten der
nahgelegenen Oerter, noch auf den Messen anzutref-
fen waren, so konnte man mit Schärfe wider nie-
manden verfahren.

Nach diesem wichtigen Unternehmen, gefiel es
ihm noch einen Tag auf seinem Berge zuzubringen,
den er für sein kleines Reich würde haben halten
können, hätt' er nur nicht selbst eine Beherrscherinn
gehabt, die ihm nicht einmal Herr über sich
seyn ließ.

Er übte sich von neuem im Fliegen und Tragen
schwerer Lasten, baute bequeme Ställe für seine Hüh-
ner und Schafe, die ihm wenig Mühe kosteten, weil
er unter den Felsen schon viel Anlage dazu traf.
Am Ende fieng er auch an ein klein Stück Feld zu
bebauen, und es zur Pflanzung von Weinstöcken
vorzubereiten, die er aus dem väterlichen Garten
nehmen wollte. Schon in nächster Nacht führt ers
aus: und da die Gruben schon gemacht waren, durft'
er sie nur in einem Handkorb fortschaffen, worein

er



hoͤrte, als weiße Nachtkleider, Struͤmpfe ꝛc. die
man nach der Waͤſche — die nur einmal im Jahre
geſchah — trocknete; flog er in der Nacht hin,
machte ſie in etliche Packte zuſammen, und trug auf
dreymal faſt alles was der Tochter des gnaͤdigen
Herrn gehoͤrte, auf den unbeſteiglichen Berg.

Den andern Morgen entſtand ein nicht geringer
Lermen im Schloſſe: man hielt Nachſuchung, und
beſchuldigte verſchiedene Perſonen: da es aber un-
moͤglich war, nur einen Beweis gegen ſie aufzubrin-
gen, weil die Waͤſche weder bey den Kaufleuten der
nahgelegenen Oerter, noch auf den Meſſen anzutref-
fen waren, ſo konnte man mit Schaͤrfe wider nie-
manden verfahren.

Nach dieſem wichtigen Unternehmen, gefiel es
ihm noch einen Tag auf ſeinem Berge zuzubringen,
den er fuͤr ſein kleines Reich wuͤrde haben halten
koͤnnen, haͤtt’ er nur nicht ſelbſt eine Beherrſcherinn
gehabt, die ihm nicht einmal Herr uͤber ſich
ſeyn ließ.

Er uͤbte ſich von neuem im Fliegen und Tragen
ſchwerer Laſten, baute bequeme Staͤlle fuͤr ſeine Huͤh-
ner und Schafe, die ihm wenig Muͤhe koſteten, weil
er unter den Felſen ſchon viel Anlage dazu traf.
Am Ende fieng er auch an ein klein Stuͤck Feld zu
bebauen, und es zur Pflanzung von Weinſtoͤcken
vorzubereiten, die er aus dem vaͤterlichen Garten
nehmen wollte. Schon in naͤchſter Nacht fuͤhrt ers
aus: und da die Gruben ſchon gemacht waren, durft’
er ſie nur in einem Handkorb fortſchaffen, worein

er
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[34/0042] hoͤrte, als weiße Nachtkleider, Struͤmpfe ꝛc. die man nach der Waͤſche — die nur einmal im Jahre geſchah — trocknete; flog er in der Nacht hin, machte ſie in etliche Packte zuſammen, und trug auf dreymal faſt alles was der Tochter des gnaͤdigen Herrn gehoͤrte, auf den unbeſteiglichen Berg. Den andern Morgen entſtand ein nicht geringer Lermen im Schloſſe: man hielt Nachſuchung, und beſchuldigte verſchiedene Perſonen: da es aber un- moͤglich war, nur einen Beweis gegen ſie aufzubrin- gen, weil die Waͤſche weder bey den Kaufleuten der nahgelegenen Oerter, noch auf den Meſſen anzutref- fen waren, ſo konnte man mit Schaͤrfe wider nie- manden verfahren. Nach dieſem wichtigen Unternehmen, gefiel es ihm noch einen Tag auf ſeinem Berge zuzubringen, den er fuͤr ſein kleines Reich wuͤrde haben halten koͤnnen, haͤtt’ er nur nicht ſelbſt eine Beherrſcherinn gehabt, die ihm nicht einmal Herr uͤber ſich ſeyn ließ. Er uͤbte ſich von neuem im Fliegen und Tragen ſchwerer Laſten, baute bequeme Staͤlle fuͤr ſeine Huͤh- ner und Schafe, die ihm wenig Muͤhe koſteten, weil er unter den Felſen ſchon viel Anlage dazu traf. Am Ende fieng er auch an ein klein Stuͤck Feld zu bebauen, und es zur Pflanzung von Weinſtoͤcken vorzubereiten, die er aus dem vaͤterlichen Garten nehmen wollte. Schon in naͤchſter Nacht fuͤhrt ers aus: und da die Gruben ſchon gemacht waren, durft’ er ſie nur in einem Handkorb fortſchaffen, worein er

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Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/42>, abgerufen am 29.03.2024.