Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite



Minuten lang ganz allein, worauf alle die übrigen
auf einmal kirrten und zusammen, fest an einander
geschlossen, auf die Grotte zukamen. Aber keiner
dachte drauf Gewalt zu brauchen; sie rührten nichts
an, und bezeigten keine Lust zu Oefnung der Höle
mit Gewalt. Sie guckten blos durch einige Spal-
ten und zeigten an, daß sie die beyden Fremden nicht
sähen.

Victorin und sein Sohn schlossen daraus, daß
diese Menschen sehr sanft, und leicht mit ihnen zu le-
ben wäre, doch hielten sie auch ihre Zähmung für sehr
schwer. Sie husteten hierauf beyde, und zeigten sich
um bemerkt zu werden. Der Haufen gerieth nun in
eine sonderbare Bewegung, erstaunt sahen sie auf,
bereitet zur Flucht; aber der junge Mensch, ihr vo-
riger Gefangener, schien sie zu beruhigen; er gieng
so gar etliche Schritte voran, und lud den ganzen
Haufen ihm zu folgen ein, aber niemand hatte das
Herz. Victorin zeigte ihnen daher von ferne gekoch-
tes Fleisch und Brodfrucht. Sie schienen auch Ver-
langen darnach zu haben, und einer den andern auf-
zumuntern, es zu nehmen, aber keiner wagte den
Anfang. Selbst der Gefangene, der schon ein zwan-
zig Schritte gemacht hatte, ward von den übrigen
zurück gerufen, und kehrte um. Victorin und sein
Sohn schwangen endlich, um sie noch mehr in Stau-
nen zu setzen, ihre Flügel, und erhoben sich in die
Luft. Sogleich stiessen die Nachtmenschen ein schre-
ckenvolles Kirren aus und entflohen sämtlich. Rund
herum, so wie sie weiter kamen, hörte man ein sehr

durch-



Minuten lang ganz allein, worauf alle die uͤbrigen
auf einmal kirrten und zuſammen, feſt an einander
geſchloſſen, auf die Grotte zukamen. Aber keiner
dachte drauf Gewalt zu brauchen; ſie ruͤhrten nichts
an, und bezeigten keine Luſt zu Oefnung der Hoͤle
mit Gewalt. Sie guckten blos durch einige Spal-
ten und zeigten an, daß ſie die beyden Fremden nicht
ſaͤhen.

Victorin und ſein Sohn ſchloſſen daraus, daß
dieſe Menſchen ſehr ſanft, und leicht mit ihnen zu le-
ben waͤre, doch hielten ſie auch ihre Zaͤhmung fuͤr ſehr
ſchwer. Sie huſteten hierauf beyde, und zeigten ſich
um bemerkt zu werden. Der Haufen gerieth nun in
eine ſonderbare Bewegung, erſtaunt ſahen ſie auf,
bereitet zur Flucht; aber der junge Menſch, ihr vo-
riger Gefangener, ſchien ſie zu beruhigen; er gieng
ſo gar etliche Schritte voran, und lud den ganzen
Haufen ihm zu folgen ein, aber niemand hatte das
Herz. Victorin zeigte ihnen daher von ferne gekoch-
tes Fleiſch und Brodfrucht. Sie ſchienen auch Ver-
langen darnach zu haben, und einer den andern auf-
zumuntern, es zu nehmen, aber keiner wagte den
Anfang. Selbſt der Gefangene, der ſchon ein zwan-
zig Schritte gemacht hatte, ward von den uͤbrigen
zuruͤck gerufen, und kehrte um. Victorin und ſein
Sohn ſchwangen endlich, um ſie noch mehr in Stau-
nen zu ſetzen, ihre Fluͤgel, und erhoben ſich in die
Luft. Sogleich ſtieſſen die Nachtmenſchen ein ſchre-
ckenvolles Kirren aus und entflohen ſaͤmtlich. Rund
herum, ſo wie ſie weiter kamen, hoͤrte man ein ſehr

durch-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0130" n="122"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Minuten lang ganz allein, worauf alle die u&#x0364;brigen<lb/>
auf einmal kirrten und zu&#x017F;ammen, fe&#x017F;t an einander<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, auf die Grotte zukamen. Aber keiner<lb/>
dachte drauf Gewalt zu brauchen; &#x017F;ie ru&#x0364;hrten nichts<lb/>
an, und bezeigten keine Lu&#x017F;t zu Oefnung der Ho&#x0364;le<lb/>
mit Gewalt. Sie guckten blos durch einige Spal-<lb/>
ten und zeigten an, daß &#x017F;ie die beyden Fremden nicht<lb/>
&#x017F;a&#x0364;hen.</p><lb/>
          <p>Victorin und &#x017F;ein Sohn &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en daraus, daß<lb/>
die&#x017F;e Men&#x017F;chen &#x017F;ehr &#x017F;anft, und leicht mit ihnen zu le-<lb/>
ben wa&#x0364;re, doch hielten &#x017F;ie auch ihre Za&#x0364;hmung fu&#x0364;r &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;chwer. Sie hu&#x017F;teten hierauf beyde, und zeigten &#x017F;ich<lb/>
um bemerkt zu werden. Der Haufen gerieth nun in<lb/>
eine &#x017F;onderbare Bewegung, er&#x017F;taunt &#x017F;ahen &#x017F;ie auf,<lb/>
bereitet zur Flucht; aber der junge Men&#x017F;ch, ihr vo-<lb/>
riger Gefangener, &#x017F;chien &#x017F;ie zu beruhigen; er gieng<lb/>
&#x017F;o gar etliche Schritte voran, und lud den ganzen<lb/>
Haufen ihm zu folgen ein, aber niemand hatte das<lb/>
Herz. Victorin zeigte ihnen daher von ferne gekoch-<lb/>
tes Flei&#x017F;ch und Brodfrucht. Sie &#x017F;chienen auch Ver-<lb/>
langen darnach zu haben, und einer den andern auf-<lb/>
zumuntern, es zu nehmen, aber keiner wagte den<lb/>
Anfang. Selb&#x017F;t der Gefangene, der &#x017F;chon ein zwan-<lb/>
zig Schritte gemacht hatte, ward von den u&#x0364;brigen<lb/>
zuru&#x0364;ck gerufen, und kehrte um. Victorin und &#x017F;ein<lb/>
Sohn &#x017F;chwangen endlich, um &#x017F;ie noch mehr in Stau-<lb/>
nen zu &#x017F;etzen, ihre Flu&#x0364;gel, und erhoben &#x017F;ich in die<lb/>
Luft. Sogleich &#x017F;tie&#x017F;&#x017F;en die Nachtmen&#x017F;chen ein &#x017F;chre-<lb/>
ckenvolles Kirren aus und entflohen &#x017F;a&#x0364;mtlich. Rund<lb/>
herum, &#x017F;o wie &#x017F;ie weiter kamen, ho&#x0364;rte man ein &#x017F;ehr<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">durch-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0130] Minuten lang ganz allein, worauf alle die uͤbrigen auf einmal kirrten und zuſammen, feſt an einander geſchloſſen, auf die Grotte zukamen. Aber keiner dachte drauf Gewalt zu brauchen; ſie ruͤhrten nichts an, und bezeigten keine Luſt zu Oefnung der Hoͤle mit Gewalt. Sie guckten blos durch einige Spal- ten und zeigten an, daß ſie die beyden Fremden nicht ſaͤhen. Victorin und ſein Sohn ſchloſſen daraus, daß dieſe Menſchen ſehr ſanft, und leicht mit ihnen zu le- ben waͤre, doch hielten ſie auch ihre Zaͤhmung fuͤr ſehr ſchwer. Sie huſteten hierauf beyde, und zeigten ſich um bemerkt zu werden. Der Haufen gerieth nun in eine ſonderbare Bewegung, erſtaunt ſahen ſie auf, bereitet zur Flucht; aber der junge Menſch, ihr vo- riger Gefangener, ſchien ſie zu beruhigen; er gieng ſo gar etliche Schritte voran, und lud den ganzen Haufen ihm zu folgen ein, aber niemand hatte das Herz. Victorin zeigte ihnen daher von ferne gekoch- tes Fleiſch und Brodfrucht. Sie ſchienen auch Ver- langen darnach zu haben, und einer den andern auf- zumuntern, es zu nehmen, aber keiner wagte den Anfang. Selbſt der Gefangene, der ſchon ein zwan- zig Schritte gemacht hatte, ward von den uͤbrigen zuruͤck gerufen, und kehrte um. Victorin und ſein Sohn ſchwangen endlich, um ſie noch mehr in Stau- nen zu ſetzen, ihre Fluͤgel, und erhoben ſich in die Luft. Sogleich ſtieſſen die Nachtmenſchen ein ſchre- ckenvolles Kirren aus und entflohen ſaͤmtlich. Rund herum, ſo wie ſie weiter kamen, hoͤrte man ein ſehr durch-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/130
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/130>, abgerufen am 07.05.2024.