In Italien sank die Coconsernte, welche 1857 im ganzen 40 Mil- lionen kg betrug, im Jahre 1865 auf weniger als die Hälfte. In Frankreich ging im nämlichen Jahre der durchschnittliche Ertrag der Seidenernte von 100 Millionen Franken Werth herunter auf 34 Millionen, und von dieser letzteren Summe sind noch über 10000000 Francs ab- zuziehen, welche vorher für den Ankauf von Graines in's Ausland gingen. Kostete in früherer Zeit die Unze französischen Samens 4--6 Francs, so zahlte man nun für dasselbe Gewicht an importierten 15--20 Francs. Unter solchen Umständen sank der Wohlstand der Seidendistrikte mehr und mehr. Grosse Maulbeerpflanzungen, welche früher Renten, wie gute Weinberge, abgeworfen hatten, fanden gar keine Käufer mehr, wie unter Anderem der verstorbene Chemiker Dumas 1865 im französischen Senat hervorhob. Seitdem haben sich die Verhältnisse allmählich gebessert, doch hat kein europäisches Land die frühere Höhe seiner Seidenproduktion wieder erreicht. Frankreich liefert jetzt etwa die Hälfte seines früheren Ertrags an Rohseide und Italien etwa 2/3 des seinigen.
Das Land, welches aus diesen Verhältnissen vor allem Nutzen zog, war, wie bereits bemerkt wurde, Japan. Zu der Ausfuhr an Rohseide, deren Menge und Preis zusehends stiegen, gesellte sich die der Seidenraupeneier, und wurde ihre Erzeugung für den Export ein wichtiger Factor für die Seidenzucht des Landes. Im Auftrag von Genossenschaften, insbesondere aber von Kaufleuten, erschienen jeden Sommer eine Anzahl Fremde, vornehmlich Italiener, reisten mit Er- laubniss der japanischen Regierung nach den Seidendistrikten des In- nern, kauften hier ihren Bedarf an Graines und kehrten damit nach Europa zurück, wo ihre speculierenden Auftraggeber dieselben meist leicht an den Mann brachten. Diese "Bivoltini", wie man sie scherz- weise wohl nannte, machten daraus ein stehendes Geschäft, zum nicht geringen Verdruss der italienischen Gesandtschaft und japanischen Regierung, welche ihre vielfach lästige Vermittelung für durchaus überflüssig hielten, da der Aufkauf und Export der Eier gerade so gut durch die in Japan ansässigen fremden Kaufleute erfolgen konnte.
Die Ausfuhr von Cartons mit Seidensamen begann im Jahre 1860, musste aber bis 1865 mehr oder minder heimlich betrieben werden, da bis dahin ein altes Verbot dagegen bestand, welches Zuwiderhan- delnde mit Todesstrafe bedrohte. In Italien fielen die Versuche, welche man 1860 und 1861 mit japanischen Weiss- und Grünspinnern machte, sehr günstig aus, ebenso spätere; doch zeigte sich eine bedeutende Schwächung der Rassen nach der zweiten oder dritten Generation. Unterdess stieg der Export der Graines aus Japan rasch. Derselbe
4. Viehzucht und Seidenzucht.
In Italien sank die Coconsernte, welche 1857 im ganzen 40 Mil- lionen kg betrug, im Jahre 1865 auf weniger als die Hälfte. In Frankreich ging im nämlichen Jahre der durchschnittliche Ertrag der Seidenernte von 100 Millionen Franken Werth herunter auf 34 Millionen, und von dieser letzteren Summe sind noch über 10000000 Francs ab- zuziehen, welche vorher für den Ankauf von Graines in’s Ausland gingen. Kostete in früherer Zeit die Unze französischen Samens 4—6 Francs, so zahlte man nun für dasselbe Gewicht an importierten 15—20 Francs. Unter solchen Umständen sank der Wohlstand der Seidendistrikte mehr und mehr. Grosse Maulbeerpflanzungen, welche früher Renten, wie gute Weinberge, abgeworfen hatten, fanden gar keine Käufer mehr, wie unter Anderem der verstorbene Chemiker Dumas 1865 im französischen Senat hervorhob. Seitdem haben sich die Verhältnisse allmählich gebessert, doch hat kein europäisches Land die frühere Höhe seiner Seidenproduktion wieder erreicht. Frankreich liefert jetzt etwa die Hälfte seines früheren Ertrags an Rohseide und Italien etwa ⅔ des seinigen.
Das Land, welches aus diesen Verhältnissen vor allem Nutzen zog, war, wie bereits bemerkt wurde, Japan. Zu der Ausfuhr an Rohseide, deren Menge und Preis zusehends stiegen, gesellte sich die der Seidenraupeneier, und wurde ihre Erzeugung für den Export ein wichtiger Factor für die Seidenzucht des Landes. Im Auftrag von Genossenschaften, insbesondere aber von Kaufleuten, erschienen jeden Sommer eine Anzahl Fremde, vornehmlich Italiener, reisten mit Er- laubniss der japanischen Regierung nach den Seidendistrikten des In- nern, kauften hier ihren Bedarf an Graines und kehrten damit nach Europa zurück, wo ihre speculierenden Auftraggeber dieselben meist leicht an den Mann brachten. Diese »Bivoltini«, wie man sie scherz- weise wohl nannte, machten daraus ein stehendes Geschäft, zum nicht geringen Verdruss der italienischen Gesandtschaft und japanischen Regierung, welche ihre vielfach lästige Vermittelung für durchaus überflüssig hielten, da der Aufkauf und Export der Eier gerade so gut durch die in Japan ansässigen fremden Kaufleute erfolgen konnte.
Die Ausfuhr von Cartons mit Seidensamen begann im Jahre 1860, musste aber bis 1865 mehr oder minder heimlich betrieben werden, da bis dahin ein altes Verbot dagegen bestand, welches Zuwiderhan- delnde mit Todesstrafe bedrohte. In Italien fielen die Versuche, welche man 1860 und 1861 mit japanischen Weiss- und Grünspinnern machte, sehr günstig aus, ebenso spätere; doch zeigte sich eine bedeutende Schwächung der Rassen nach der zweiten oder dritten Generation. Unterdess stieg der Export der Graines aus Japan rasch. Derselbe
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4. Viehzucht und Seidenzucht.
In Italien sank die Coconsernte, welche 1857 im ganzen 40 Mil-
lionen kg betrug, im Jahre 1865 auf weniger als die Hälfte. In
Frankreich ging im nämlichen Jahre der durchschnittliche Ertrag der
Seidenernte von 100 Millionen Franken Werth herunter auf 34 Millionen,
und von dieser letzteren Summe sind noch über 10000000 Francs ab-
zuziehen, welche vorher für den Ankauf von Graines in’s Ausland
gingen. Kostete in früherer Zeit die Unze französischen Samens
4—6 Francs, so zahlte man nun für dasselbe Gewicht an importierten
15—20 Francs. Unter solchen Umständen sank der Wohlstand der
Seidendistrikte mehr und mehr. Grosse Maulbeerpflanzungen, welche
früher Renten, wie gute Weinberge, abgeworfen hatten, fanden gar
keine Käufer mehr, wie unter Anderem der verstorbene Chemiker
Dumas 1865 im französischen Senat hervorhob. Seitdem haben sich
die Verhältnisse allmählich gebessert, doch hat kein europäisches Land
die frühere Höhe seiner Seidenproduktion wieder erreicht. Frankreich
liefert jetzt etwa die Hälfte seines früheren Ertrags an Rohseide und
Italien etwa ⅔ des seinigen.
Das Land, welches aus diesen Verhältnissen vor allem Nutzen
zog, war, wie bereits bemerkt wurde, Japan. Zu der Ausfuhr an
Rohseide, deren Menge und Preis zusehends stiegen, gesellte sich die
der Seidenraupeneier, und wurde ihre Erzeugung für den Export ein
wichtiger Factor für die Seidenzucht des Landes. Im Auftrag von
Genossenschaften, insbesondere aber von Kaufleuten, erschienen jeden
Sommer eine Anzahl Fremde, vornehmlich Italiener, reisten mit Er-
laubniss der japanischen Regierung nach den Seidendistrikten des In-
nern, kauften hier ihren Bedarf an Graines und kehrten damit nach
Europa zurück, wo ihre speculierenden Auftraggeber dieselben meist
leicht an den Mann brachten. Diese »Bivoltini«, wie man sie scherz-
weise wohl nannte, machten daraus ein stehendes Geschäft, zum nicht
geringen Verdruss der italienischen Gesandtschaft und japanischen
Regierung, welche ihre vielfach lästige Vermittelung für durchaus
überflüssig hielten, da der Aufkauf und Export der Eier gerade so
gut durch die in Japan ansässigen fremden Kaufleute erfolgen konnte.
Die Ausfuhr von Cartons mit Seidensamen begann im Jahre 1860,
musste aber bis 1865 mehr oder minder heimlich betrieben werden,
da bis dahin ein altes Verbot dagegen bestand, welches Zuwiderhan-
delnde mit Todesstrafe bedrohte. In Italien fielen die Versuche, welche
man 1860 und 1861 mit japanischen Weiss- und Grünspinnern machte,
sehr günstig aus, ebenso spätere; doch zeigte sich eine bedeutende
Schwächung der Rassen nach der zweiten oder dritten Generation.
Unterdess stieg der Export der Graines aus Japan rasch. Derselbe
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/261>, abgerufen am 23.11.2024.
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