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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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I. Land- und Forstwirthschaft.
seiner Stammmutter in Ise ob, aber der Ackerbau wurde darum in
seinem Reiche nicht geringer geachtet. Die Erkenntniss, dass derselbe
die erste und beste, weil nothwendigste und einzig sichere Grundlage
des Wohlergehens der Bevölkerung und des Staates ist, drückt der
Japaner durch die Redensart aus "No wa kuni no moto", d. h. "Land-
wirthschaft ist die Quelle (Stütze) des Landes. Nach der neuesten
Volkszählung vom 1. Jan. 1883 beschäftigt sie 18160213 Bewohner,
d. h. etwa die Hälfte von einer Gesammtbevölkerung von 37017302.
Dies sind jedoch blos Hiyakusho oder wirkliche Bauern, wozu noch
aus der Gruppe der ehemaligen Samurai ein nach vielen Tausenden
zu schätzender Theil kommt, der sich in der Neuzeit ebenfalls der
Landwirthschaft zugewendet hat. Der Ackerbau liefert dem Staate
58 % seiner Einnahmen, aber mit Hinzuziehung der landwirthschaft-
lichen Gewerbe, wie Sakebereitung etc., und der darauf ruhenden
Steuer sogar 80 %*).

Unter den drei Klassen des japanischen Volkes (Heimin) stand
der Bauer (Hiyakusho) im Range höher, als der Handwerker (Sho-
kunin) und Kaufmann (Akindo). Während die Beschäftigung der
beiden letzteren bei den Samurai als wenig ehrenvoll verpönt war,
fanden sie es nicht unter ihrer Würde, dem gewöhnlichen Bauer
gleich das Feld zu bestellen, machten jedoch nur in wenigen
Herrschaften, wie Satsuma und Tosa, von dieser gesellschaftlichen
Freiheit Gebrauch, also gerade in den Gebieten, welche berühmt wa-
ren, die tapfersten und selbstbewusstesten Krieger zu liefern. Mit
Recht weist Maron in seinem immer noch lesenswerthen Bericht über
die japanische Landwirthschaft**) darauf hin, dass bei der langen
Abgeschlossenheit des Landes die Regierung und Nation von dem
Bewusstsein geleitet werden musste, dass die leibliche Existenz unter
allen Umständen von den Erträgen des eigenen Bodens abhing und
nichts sonst das etwaige Deficit in der Ernte auszugleichen vermochte.
Das würde also auf eine Hebung des Ackerbaues bei Beginn der
Tokugawa-Herrschaft schliessen lassen, wie solche auch aus der Ge-
schichte des Iyeyasu, namentlich hinsichtlich der Ebene des Kuwanto
wohl bekannt ist. Die Handelsentwickelung nach aussen wurde ja
damals vollständig lahm gelegt und um so mehr die Hauptarbeitskraft
der Nation dem Ackerbau zugewandt und erhalten. Viel eingreifen-

*) Nach dem letzten Finanzjahr, welches am 30. Juni 1884 endete, betrugen
nämlich die Gesammteinnahmen Japans im Ordinarium 73943258 yen. Davon
lieferte die Grundsteuer 43029745 yen und die Steuer auf Sake und verwandte
Genussmittel 16768135 yen (1 yen = 4,3 Mark).
**) Siehe Salviati: Annalen der Landwirthschaft 39 Bd. pag. 35--72.

I. Land- und Forstwirthschaft.
seiner Stammmutter in Ise ob, aber der Ackerbau wurde darum in
seinem Reiche nicht geringer geachtet. Die Erkenntniss, dass derselbe
die erste und beste, weil nothwendigste und einzig sichere Grundlage
des Wohlergehens der Bevölkerung und des Staates ist, drückt der
Japaner durch die Redensart aus »No wa kuni no moto«, d. h. »Land-
wirthschaft ist die Quelle (Stütze) des Landes. Nach der neuesten
Volkszählung vom 1. Jan. 1883 beschäftigt sie 18160213 Bewohner,
d. h. etwa die Hälfte von einer Gesammtbevölkerung von 37017302.
Dies sind jedoch blos Hiyakushô oder wirkliche Bauern, wozu noch
aus der Gruppe der ehemaligen Samurai ein nach vielen Tausenden
zu schätzender Theil kommt, der sich in der Neuzeit ebenfalls der
Landwirthschaft zugewendet hat. Der Ackerbau liefert dem Staate
58 % seiner Einnahmen, aber mit Hinzuziehung der landwirthschaft-
lichen Gewerbe, wie Sakebereitung etc., und der darauf ruhenden
Steuer sogar 80 %*).

Unter den drei Klassen des japanischen Volkes (Heimin) stand
der Bauer (Hiyakushô) im Range höher, als der Handwerker (Sho-
kunin) und Kaufmann (Akindo). Während die Beschäftigung der
beiden letzteren bei den Samurai als wenig ehrenvoll verpönt war,
fanden sie es nicht unter ihrer Würde, dem gewöhnlichen Bauer
gleich das Feld zu bestellen, machten jedoch nur in wenigen
Herrschaften, wie Satsuma und Tosa, von dieser gesellschaftlichen
Freiheit Gebrauch, also gerade in den Gebieten, welche berühmt wa-
ren, die tapfersten und selbstbewusstesten Krieger zu liefern. Mit
Recht weist Maron in seinem immer noch lesenswerthen Bericht über
die japanische Landwirthschaft**) darauf hin, dass bei der langen
Abgeschlossenheit des Landes die Regierung und Nation von dem
Bewusstsein geleitet werden musste, dass die leibliche Existenz unter
allen Umständen von den Erträgen des eigenen Bodens abhing und
nichts sonst das etwaige Deficit in der Ernte auszugleichen vermochte.
Das würde also auf eine Hebung des Ackerbaues bei Beginn der
Tokugawa-Herrschaft schliessen lassen, wie solche auch aus der Ge-
schichte des Iyeyasu, namentlich hinsichtlich der Ebene des Kuwantô
wohl bekannt ist. Die Handelsentwickelung nach aussen wurde ja
damals vollständig lahm gelegt und um so mehr die Hauptarbeitskraft
der Nation dem Ackerbau zugewandt und erhalten. Viel eingreifen-

*) Nach dem letzten Finanzjahr, welches am 30. Juni 1884 endete, betrugen
nämlich die Gesammteinnahmen Japans im Ordinarium 73943258 yen. Davon
lieferte die Grundsteuer 43029745 yen und die Steuer auf Sake und verwandte
Genussmittel 16768135 yen (1 yen = 4,3 Mark).
**) Siehe Salviati: Annalen der Landwirthschaft 39 Bd. pag. 35—72.
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[6/0026] I. Land- und Forstwirthschaft. seiner Stammmutter in Ise ob, aber der Ackerbau wurde darum in seinem Reiche nicht geringer geachtet. Die Erkenntniss, dass derselbe die erste und beste, weil nothwendigste und einzig sichere Grundlage des Wohlergehens der Bevölkerung und des Staates ist, drückt der Japaner durch die Redensart aus »No wa kuni no moto«, d. h. »Land- wirthschaft ist die Quelle (Stütze) des Landes. Nach der neuesten Volkszählung vom 1. Jan. 1883 beschäftigt sie 18160213 Bewohner, d. h. etwa die Hälfte von einer Gesammtbevölkerung von 37017302. Dies sind jedoch blos Hiyakushô oder wirkliche Bauern, wozu noch aus der Gruppe der ehemaligen Samurai ein nach vielen Tausenden zu schätzender Theil kommt, der sich in der Neuzeit ebenfalls der Landwirthschaft zugewendet hat. Der Ackerbau liefert dem Staate 58 % seiner Einnahmen, aber mit Hinzuziehung der landwirthschaft- lichen Gewerbe, wie Sakebereitung etc., und der darauf ruhenden Steuer sogar 80 % *). Unter den drei Klassen des japanischen Volkes (Heimin) stand der Bauer (Hiyakushô) im Range höher, als der Handwerker (Sho- kunin) und Kaufmann (Akindo). Während die Beschäftigung der beiden letzteren bei den Samurai als wenig ehrenvoll verpönt war, fanden sie es nicht unter ihrer Würde, dem gewöhnlichen Bauer gleich das Feld zu bestellen, machten jedoch nur in wenigen Herrschaften, wie Satsuma und Tosa, von dieser gesellschaftlichen Freiheit Gebrauch, also gerade in den Gebieten, welche berühmt wa- ren, die tapfersten und selbstbewusstesten Krieger zu liefern. Mit Recht weist Maron in seinem immer noch lesenswerthen Bericht über die japanische Landwirthschaft **) darauf hin, dass bei der langen Abgeschlossenheit des Landes die Regierung und Nation von dem Bewusstsein geleitet werden musste, dass die leibliche Existenz unter allen Umständen von den Erträgen des eigenen Bodens abhing und nichts sonst das etwaige Deficit in der Ernte auszugleichen vermochte. Das würde also auf eine Hebung des Ackerbaues bei Beginn der Tokugawa-Herrschaft schliessen lassen, wie solche auch aus der Ge- schichte des Iyeyasu, namentlich hinsichtlich der Ebene des Kuwantô wohl bekannt ist. Die Handelsentwickelung nach aussen wurde ja damals vollständig lahm gelegt und um so mehr die Hauptarbeitskraft der Nation dem Ackerbau zugewandt und erhalten. Viel eingreifen- *) Nach dem letzten Finanzjahr, welches am 30. Juni 1884 endete, betrugen nämlich die Gesammteinnahmen Japans im Ordinarium 73943258 yen. Davon lieferte die Grundsteuer 43029745 yen und die Steuer auf Sake und verwandte Genussmittel 16768135 yen (1 yen = 4,3 Mark). **) Siehe Salviati: Annalen der Landwirthschaft 39 Bd. pag. 35—72.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/26>, abgerufen am 16.04.2024.