Auf diese Udschifliege und ihre grossen Verheerungen hat schon Greeven vor zehn Jahren aufmerksam gemacht*) und hervorgehoben, dass zuweilen schon 80 % der zur Grainierung reservierten Cocons da- von behaftet gewesen seien. Auch Bavier widmet in seinem Buche über Japans Seidenindustrie dem Gegenstande seine Aufmerksamkeit und bemerkt, dass in Sinshiu (Shinano) im Durchschnitt 40 %, in Musashi und Joshiu (Kotsuke) 50 % der Raupen mit dem Parasiten be- haftet seien.
Einer solchen Plage gegenüber treten allerdings die verschiedenen Krankheiten, welche sich während der Zucht japanischer Raupen bis- her einstellten, in ihren Wirkungen weit zurück und fanden bislang nur geringe Beachtung. So weit man sie in der Neuzeit jedoch kennen und vergleichen gelernt hat, erscheint die Behauptung nicht mehr ge- wagt, dass es kaum in Europa eine Seidenraupenkrankheit gibt, die dem japanischen Züchter nicht ebenfalls bekannt wäre. Sein Hoshii ist die Muscardine, sein Fushi-kaiko scheint die Schlaffsucht zu sein, und endlich finden wir im Koshari, wenn auch gelinder auftre- tend, die in Europa so gefürchtete Pebrine oder Körperchenkrankheit wieder. Da der Verlauf der letzten verhängnissvollen Pebrine-Epide- mie in Europa auf die japanische Seidenzucht eine im hohen Grade einflussreiche Rückwirkung gehabt hat, mögen hier einige nähere An- gaben darüber folgen.
In den Jahren 1845 und 1846 traten bei drei unserer einfluss- reichsten Culturartikel: der Kartoffel, dem Weinstock und der Seiden- raupe, Krankheitserscheinungen auf, die in ihrem Charakter so eigen- artig, in ihrer Ausdehnung und ihren Verheerungen so weitragend waren, dass sie auf unser sociales Leben, und namentlich auf Handel und Gewerbe einen mächtigen und dauernden Einfluss übten. Bald lernte man der Traubenkrankheit mit chemischen Mitteln erfolgreich vorbeugen, die Kartoffelkrankheit, nachdem sie lange geherrscht, ver- lor sich allmählich, wie sie gekommen; aber die Sterblichkeit unter den Seidenraupen erreichte dann erst -- nämlich zwischen den Jahren 1860 und 1870 -- ihren Höhepunkt und wirkte also nachhaltiger und empfindlicher fort. Ihr Charakter wich von allen bis dahin bei der Seidenzucht beobachteten Krankheiten wesentlich ab. Man nannte sie danach Pebrine, Flecken- oder Körperchenkrankheit.
Sie wurde zuerst im französischen Mittelmeergebiet wahrgenommen. Von den Ufern des Herault verbreitete sie sich wie die Traubenkrank- heit zunächst den Gewässern entlang: über die Thäler des Clain, der
*) Mitth. d. Deutschen Gesellsch. Ostasiens. Heft 7. pg. 20 u. 21.
I. Land- und Forstwirthschaft.
Auf diese Udschifliege und ihre grossen Verheerungen hat schon Greeven vor zehn Jahren aufmerksam gemacht*) und hervorgehoben, dass zuweilen schon 80 % der zur Grainierung reservierten Cocons da- von behaftet gewesen seien. Auch Bavier widmet in seinem Buche über Japans Seidenindustrie dem Gegenstande seine Aufmerksamkeit und bemerkt, dass in Sinshiu (Shinano) im Durchschnitt 40 %, in Musashi und Joshiu (Kotsuke) 50 % der Raupen mit dem Parasiten be- haftet seien.
Einer solchen Plage gegenüber treten allerdings die verschiedenen Krankheiten, welche sich während der Zucht japanischer Raupen bis- her einstellten, in ihren Wirkungen weit zurück und fanden bislang nur geringe Beachtung. So weit man sie in der Neuzeit jedoch kennen und vergleichen gelernt hat, erscheint die Behauptung nicht mehr ge- wagt, dass es kaum in Europa eine Seidenraupenkrankheit gibt, die dem japanischen Züchter nicht ebenfalls bekannt wäre. Sein Hoshii ist die Muscardine, sein Fushi-kaiko scheint die Schlaffsucht zu sein, und endlich finden wir im Koshari, wenn auch gelinder auftre- tend, die in Europa so gefürchtete Pébrine oder Körperchenkrankheit wieder. Da der Verlauf der letzten verhängnissvollen Pébrine-Epide- mie in Europa auf die japanische Seidenzucht eine im hohen Grade einflussreiche Rückwirkung gehabt hat, mögen hier einige nähere An- gaben darüber folgen.
In den Jahren 1845 und 1846 traten bei drei unserer einfluss- reichsten Culturartikel: der Kartoffel, dem Weinstock und der Seiden- raupe, Krankheitserscheinungen auf, die in ihrem Charakter so eigen- artig, in ihrer Ausdehnung und ihren Verheerungen so weitragend waren, dass sie auf unser sociales Leben, und namentlich auf Handel und Gewerbe einen mächtigen und dauernden Einfluss übten. Bald lernte man der Traubenkrankheit mit chemischen Mitteln erfolgreich vorbeugen, die Kartoffelkrankheit, nachdem sie lange geherrscht, ver- lor sich allmählich, wie sie gekommen; aber die Sterblichkeit unter den Seidenraupen erreichte dann erst — nämlich zwischen den Jahren 1860 und 1870 — ihren Höhepunkt und wirkte also nachhaltiger und empfindlicher fort. Ihr Charakter wich von allen bis dahin bei der Seidenzucht beobachteten Krankheiten wesentlich ab. Man nannte sie danach Pébrine, Flecken- oder Körperchenkrankheit.
Sie wurde zuerst im französischen Mittelmeergebiet wahrgenommen. Von den Ufern des Hérault verbreitete sie sich wie die Traubenkrank- heit zunächst den Gewässern entlang: über die Thäler des Clain, der
*) Mitth. d. Deutschen Gesellsch. Ostasiens. Heft 7. pg. 20 u. 21.
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I. Land- und Forstwirthschaft.
Auf diese Udschifliege und ihre grossen Verheerungen hat schon
Greeven vor zehn Jahren aufmerksam gemacht *) und hervorgehoben,
dass zuweilen schon 80 % der zur Grainierung reservierten Cocons da-
von behaftet gewesen seien. Auch Bavier widmet in seinem Buche
über Japans Seidenindustrie dem Gegenstande seine Aufmerksamkeit
und bemerkt, dass in Sinshiu (Shinano) im Durchschnitt 40 %, in
Musashi und Joshiu (Kotsuke) 50 % der Raupen mit dem Parasiten be-
haftet seien.
Einer solchen Plage gegenüber treten allerdings die verschiedenen
Krankheiten, welche sich während der Zucht japanischer Raupen bis-
her einstellten, in ihren Wirkungen weit zurück und fanden bislang
nur geringe Beachtung. So weit man sie in der Neuzeit jedoch kennen
und vergleichen gelernt hat, erscheint die Behauptung nicht mehr ge-
wagt, dass es kaum in Europa eine Seidenraupenkrankheit gibt, die
dem japanischen Züchter nicht ebenfalls bekannt wäre. Sein Hoshii
ist die Muscardine, sein Fushi-kaiko scheint die Schlaffsucht zu
sein, und endlich finden wir im Koshari, wenn auch gelinder auftre-
tend, die in Europa so gefürchtete Pébrine oder Körperchenkrankheit
wieder. Da der Verlauf der letzten verhängnissvollen Pébrine-Epide-
mie in Europa auf die japanische Seidenzucht eine im hohen Grade
einflussreiche Rückwirkung gehabt hat, mögen hier einige nähere An-
gaben darüber folgen.
In den Jahren 1845 und 1846 traten bei drei unserer einfluss-
reichsten Culturartikel: der Kartoffel, dem Weinstock und der Seiden-
raupe, Krankheitserscheinungen auf, die in ihrem Charakter so eigen-
artig, in ihrer Ausdehnung und ihren Verheerungen so weitragend
waren, dass sie auf unser sociales Leben, und namentlich auf Handel
und Gewerbe einen mächtigen und dauernden Einfluss übten. Bald
lernte man der Traubenkrankheit mit chemischen Mitteln erfolgreich
vorbeugen, die Kartoffelkrankheit, nachdem sie lange geherrscht, ver-
lor sich allmählich, wie sie gekommen; aber die Sterblichkeit unter
den Seidenraupen erreichte dann erst — nämlich zwischen den Jahren
1860 und 1870 — ihren Höhepunkt und wirkte also nachhaltiger und
empfindlicher fort. Ihr Charakter wich von allen bis dahin bei der
Seidenzucht beobachteten Krankheiten wesentlich ab. Man nannte sie
danach Pébrine, Flecken- oder Körperchenkrankheit.
Sie wurde zuerst im französischen Mittelmeergebiet wahrgenommen.
Von den Ufern des Hérault verbreitete sie sich wie die Traubenkrank-
heit zunächst den Gewässern entlang: über die Thäler des Clain, der
*) Mitth. d. Deutschen Gesellsch. Ostasiens. Heft 7. pg. 20 u. 21.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/258>, abgerufen am 22.11.2024.
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