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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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4. Viehzucht und Seidenzucht.
kraut im getrockneten Zustande, wird aus dem Gras der Hara, mit
Vorliebe aber aus zwei daselbst wachsenden schmetterlingsblüthigen
Stauden, der Hagi (Lespedeza cyrtobotrya Miq. und andern Arten)
und der Kudzu (Pueraria Thunbergiana Benth.) bereitet. In Trag-
lasten und auf Pferdesrücken bringt man den mit der Sichel abge-
schnittenen geringen Bedarf nach den Wohnungen und breitet hier
vor denselben das Material zum Trocknen an der Sonne aus. Das
Wenden erfolgt mit Hülfe der Sichel oder einer Stange, nie mit dem
Rechen.

Das Pferd diente bisher vornehmlich als Lastthier und erst in
zweiter Linie zum Reiten. Dagegen kam es als Zugthier, abgesehen
beim Pfluge, gar nicht zur Verwendung; denn die wenigen schwer-
fälligen Kuruma oder Wagen, z. B. in Kioto für den Mikado und
die Kuge oder für den Waarenverkehr zwischen Kioto und Otsu,
welche es gab, wurden von Alters her durch Ochsen gezogen.

Marion fiel es seiner Zeit auf, dass er zu Yedo, Yokohama und
Nagasaki nur Hengste zu sehen bekam. Wäre er tiefer in's Land ge-
drungen, so würde er ebenso Gebiete kennen gelernt haben, in wel-
chen nur Stuten als Lastthiere getroffen werden. Es war dies eine
Folge davon, dass keine Castrierung stattfand, die Hengste aber in
Gegenwart der Stuten bekanntlich leicht unbändig werden; desshalb
bestanden alte Verordnungen, nach welchen die Pack- und Reitpferde
nach den Geschlechtern distriktweise geschieden waren.

Esel und Maulthiere waren dem Lande fremd.

Das Rindvieh, jap. Ushi (O-ushi oder Kotoi, der Stier, Me-ushi,
die Kuh, Ko-ushi, das Kalb), wurde früher nur zum Tragen von
Lasten, Ziehen der Pflüge und wenigen Wagen, nie zur Gewinnung
von Milch und Fleisch gehalten. Es ist eine grosse, schöngebaute
und mästungsfähige Rasse mit hohem Widerist, abfallendem Kreuz und
vorherrschend schwarzer, braunschimmernder Farbe, welche dem unga-
rischen und podolischen Steppenvieh ähnelt. Die Kühe haben wie bei
diesem nur schwach entwickelte Euter und gleichen demselben auch
darin, dass ihre Milch ausschliesslich dem säugenden Kalbe gehört
und versiegt, sobald dasselbe entwöhnt wird.

Ziegen (Hitsuji im chin. Thierkreis) und Schafe (Rashamen und
Menyo) fehlten früher durchaus. Sie sollen wohl zu verschiedenen
Zeiten versuchsweise durch Portugiesen und Holländer in's Land ge-
bracht worden sein, haben sich aber nicht verbreitet. Ob die Ver-
suche der Regierung während der letzten zehn Jahre, die Schafzucht
einzuführen, einen viel besseren Erfolg hatten, ist mir nicht bekannt
geworden. Dagegen will ich nicht unerwähnt lassen, dass Gärtner

4. Viehzucht und Seidenzucht.
kraut im getrockneten Zustande, wird aus dem Gras der Hara, mit
Vorliebe aber aus zwei daselbst wachsenden schmetterlingsblüthigen
Stauden, der Hagi (Lespedeza cyrtobotrya Miq. und andern Arten)
und der Kudzu (Pueraria Thunbergiana Benth.) bereitet. In Trag-
lasten und auf Pferdesrücken bringt man den mit der Sichel abge-
schnittenen geringen Bedarf nach den Wohnungen und breitet hier
vor denselben das Material zum Trocknen an der Sonne aus. Das
Wenden erfolgt mit Hülfe der Sichel oder einer Stange, nie mit dem
Rechen.

Das Pferd diente bisher vornehmlich als Lastthier und erst in
zweiter Linie zum Reiten. Dagegen kam es als Zugthier, abgesehen
beim Pfluge, gar nicht zur Verwendung; denn die wenigen schwer-
fälligen Kuruma oder Wagen, z. B. in Kiôto für den Mikado und
die Kuge oder für den Waarenverkehr zwischen Kiôto und Ôtsu,
welche es gab, wurden von Alters her durch Ochsen gezogen.

Marion fiel es seiner Zeit auf, dass er zu Yedo, Yokohama und
Nagasáki nur Hengste zu sehen bekam. Wäre er tiefer in’s Land ge-
drungen, so würde er ebenso Gebiete kennen gelernt haben, in wel-
chen nur Stuten als Lastthiere getroffen werden. Es war dies eine
Folge davon, dass keine Castrierung stattfand, die Hengste aber in
Gegenwart der Stuten bekanntlich leicht unbändig werden; desshalb
bestanden alte Verordnungen, nach welchen die Pack- und Reitpferde
nach den Geschlechtern distriktweise geschieden waren.

Esel und Maulthiere waren dem Lande fremd.

Das Rindvieh, jap. Ushi (O-ushi oder Kotoi, der Stier, Me-ushi,
die Kuh, Ko-ushi, das Kalb), wurde früher nur zum Tragen von
Lasten, Ziehen der Pflüge und wenigen Wagen, nie zur Gewinnung
von Milch und Fleisch gehalten. Es ist eine grosse, schöngebaute
und mästungsfähige Rasse mit hohem Widerist, abfallendem Kreuz und
vorherrschend schwarzer, braunschimmernder Farbe, welche dem unga-
rischen und podolischen Steppenvieh ähnelt. Die Kühe haben wie bei
diesem nur schwach entwickelte Euter und gleichen demselben auch
darin, dass ihre Milch ausschliesslich dem säugenden Kalbe gehört
und versiegt, sobald dasselbe entwöhnt wird.

Ziegen (Hitsuji im chin. Thierkreis) und Schafe (Rashamen und
Menyô) fehlten früher durchaus. Sie sollen wohl zu verschiedenen
Zeiten versuchsweise durch Portugiesen und Holländer in’s Land ge-
bracht worden sein, haben sich aber nicht verbreitet. Ob die Ver-
suche der Regierung während der letzten zehn Jahre, die Schafzucht
einzuführen, einen viel besseren Erfolg hatten, ist mir nicht bekannt
geworden. Dagegen will ich nicht unerwähnt lassen, dass Gärtner

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[217/0239] 4. Viehzucht und Seidenzucht. kraut im getrockneten Zustande, wird aus dem Gras der Hara, mit Vorliebe aber aus zwei daselbst wachsenden schmetterlingsblüthigen Stauden, der Hagi (Lespedeza cyrtobotrya Miq. und andern Arten) und der Kudzu (Pueraria Thunbergiana Benth.) bereitet. In Trag- lasten und auf Pferdesrücken bringt man den mit der Sichel abge- schnittenen geringen Bedarf nach den Wohnungen und breitet hier vor denselben das Material zum Trocknen an der Sonne aus. Das Wenden erfolgt mit Hülfe der Sichel oder einer Stange, nie mit dem Rechen. Das Pferd diente bisher vornehmlich als Lastthier und erst in zweiter Linie zum Reiten. Dagegen kam es als Zugthier, abgesehen beim Pfluge, gar nicht zur Verwendung; denn die wenigen schwer- fälligen Kuruma oder Wagen, z. B. in Kiôto für den Mikado und die Kuge oder für den Waarenverkehr zwischen Kiôto und Ôtsu, welche es gab, wurden von Alters her durch Ochsen gezogen. Marion fiel es seiner Zeit auf, dass er zu Yedo, Yokohama und Nagasáki nur Hengste zu sehen bekam. Wäre er tiefer in’s Land ge- drungen, so würde er ebenso Gebiete kennen gelernt haben, in wel- chen nur Stuten als Lastthiere getroffen werden. Es war dies eine Folge davon, dass keine Castrierung stattfand, die Hengste aber in Gegenwart der Stuten bekanntlich leicht unbändig werden; desshalb bestanden alte Verordnungen, nach welchen die Pack- und Reitpferde nach den Geschlechtern distriktweise geschieden waren. Esel und Maulthiere waren dem Lande fremd. Das Rindvieh, jap. Ushi (O-ushi oder Kotoi, der Stier, Me-ushi, die Kuh, Ko-ushi, das Kalb), wurde früher nur zum Tragen von Lasten, Ziehen der Pflüge und wenigen Wagen, nie zur Gewinnung von Milch und Fleisch gehalten. Es ist eine grosse, schöngebaute und mästungsfähige Rasse mit hohem Widerist, abfallendem Kreuz und vorherrschend schwarzer, braunschimmernder Farbe, welche dem unga- rischen und podolischen Steppenvieh ähnelt. Die Kühe haben wie bei diesem nur schwach entwickelte Euter und gleichen demselben auch darin, dass ihre Milch ausschliesslich dem säugenden Kalbe gehört und versiegt, sobald dasselbe entwöhnt wird. Ziegen (Hitsuji im chin. Thierkreis) und Schafe (Rashamen und Menyô) fehlten früher durchaus. Sie sollen wohl zu verschiedenen Zeiten versuchsweise durch Portugiesen und Holländer in’s Land ge- bracht worden sein, haben sich aber nicht verbreitet. Ob die Ver- suche der Regierung während der letzten zehn Jahre, die Schafzucht einzuführen, einen viel besseren Erfolg hatten, ist mir nicht bekannt geworden. Dagegen will ich nicht unerwähnt lassen, dass Gärtner

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/239>, abgerufen am 28.03.2024.