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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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II. Tokaido. a. Kuwanto
Auf der Halbinsel Sagami (Miura-gori) finden wir, und zwar an der
Südwestspitze, Misaki mit 3400 Einwohnern, auf der Ostseite aber
Uraga, wo Perry's Flotte stationierte, mit 2400 Einwohnern, und
näher nach Yokohama in einer andern tiefen und geschützten kleinen
Bucht Yokosuka (sprich Yokoska) das von Franzosen *) angelegte
und vortrefflich geleitete Arsenal mit einer Werfte.

Kamakura liegt wenige Meilen südwestlich von Yokohama, so
dass man von hier an einem Tage eine Excursion nach seinen Sehens-
würdigkeiten machen und Abends wieder zurück sein kann. Der nähere
Weg führt über Kanazawa in der Nähe der Küste hin, ein anderer
den Tokaido entlang bis Fujisawa, dann südöstlich. Zur Zeit ihrer
Blüthe umfasste die Residenz des Yoritomo über 200000 Einwohner.
Belebte Strassen mit einer glücklichen, thätigen Bevölkerung bedeckten
einst den Boden, auf welchem seit drei Jahrhunderten der Land-
mann wieder säet und erntet. Die Minamoto, Hojo und Ashikaga,
Nichiren und andere buddhistische Eiferer, welche hier lebten und
wirkten, sind längst dahin; dem raschen Emporblühen der Stadt
folgte mancher Meuchelmord und blutige Kampf um ihren Besitz,
der schliesslich den Flammen zufiel. Mächtige alte Tempel in kleinen
Hainen und Salisburien hier und dort, sowie vor allem der berühmte
Kamakura-no-Daibutsu (grosse Buddha von Kamakura) erinnern den
Besucher an die ehemalige Bedeutung und Grösse von Kamakura.
Das heutige ist ein kleines Städtchen mit 6400 Einwohnern. Seine
zwei grössten Sehenswürdigkeiten sind der Daibutsu und der Tempel
Tsurugaoka, auf dessen Stufen einst Sanetomo's Blut floss (pag. 281)
und dessen Priester eine ganze Sammlung berühmter Waffen, Rüstungen
und anderer Andenken aufweisen an die Zeit, wo die grossen Macht-
haber hier Hachiman's Gunst erflehten. Der Daibutsu (siehe Holz-
schnitt pag. 534) besteht, wie der von Nara, aus kupferreicher
Bronze, hat jedoch keinen Heiligenschein. Auf einem mit Steinplatten
bedeckten Platze erhebt sich derselbe etwa 12 Meter hoch, bei 30 Meter
Umfang an der Basis. In seinem hohlen Innern befindet sich ein
kleiner Tempel mit vielen Idolen aus dem buddhistischen Pantheon.
Die kleinen kugelförmigen Erhabenheiten des Kopfes sollen Schnecken
vorstellen, welche der Sage nach einst an Buddha hinaufkrochen,
um seinen kahlen Scheitel vor der brennenden Sonne zu schützen.

*) Der Chef-Ingenieur, welcher schon vom Bakufu engagiert worden war,
hiess Verni. Mein Freund Dr. Louis Savatier, der an meinen pflanzen-
geographischen Studien den innigsten Antheil nahm und mit dem ich manche
wissenschaftliche Frage besprechen konnte, fungierte als Arzt der kleinen
Colonie.
Rein, Japan I. 36

II. Tôkaidô. a. Kuwantô
Auf der Halbinsel Sagami (Miura-gori) finden wir, und zwar an der
Südwestspitze, Misaki mit 3400 Einwohnern, auf der Ostseite aber
Uraga, wo Perry’s Flotte stationierte, mit 2400 Einwohnern, und
näher nach Yokohama in einer andern tiefen und geschützten kleinen
Bucht Yokosuka (sprich Yokoska) das von Franzosen *) angelegte
und vortrefflich geleitete Arsenal mit einer Werfte.

Kamakura liegt wenige Meilen südwestlich von Yokohama, so
dass man von hier an einem Tage eine Excursion nach seinen Sehens-
würdigkeiten machen und Abends wieder zurück sein kann. Der nähere
Weg führt über Kanazawa in der Nähe der Küste hin, ein anderer
den Tôkaidô entlang bis Fujisawa, dann südöstlich. Zur Zeit ihrer
Blüthe umfasste die Residenz des Yoritomo über 200000 Einwohner.
Belebte Strassen mit einer glücklichen, thätigen Bevölkerung bedeckten
einst den Boden, auf welchem seit drei Jahrhunderten der Land-
mann wieder säet und erntet. Die Minamoto, Hôjô und Ashikaga,
Nichiren und andere buddhistische Eiferer, welche hier lebten und
wirkten, sind längst dahin; dem raschen Emporblühen der Stadt
folgte mancher Meuchelmord und blutige Kampf um ihren Besitz,
der schliesslich den Flammen zufiel. Mächtige alte Tempel in kleinen
Hainen und Salisburien hier und dort, sowie vor allem der berühmte
Kamakura-no-Daibutsu (grosse Buddha von Kamakura) erinnern den
Besucher an die ehemalige Bedeutung und Grösse von Kamakura.
Das heutige ist ein kleines Städtchen mit 6400 Einwohnern. Seine
zwei grössten Sehenswürdigkeiten sind der Daibutsu und der Tempel
Tsurugaoka, auf dessen Stufen einst Sanetomo’s Blut floss (pag. 281)
und dessen Priester eine ganze Sammlung berühmter Waffen, Rüstungen
und anderer Andenken aufweisen an die Zeit, wo die grossen Macht-
haber hier Hachiman’s Gunst erflehten. Der Daibutsu (siehe Holz-
schnitt pag. 534) besteht, wie der von Nara, aus kupferreicher
Bronze, hat jedoch keinen Heiligenschein. Auf einem mit Steinplatten
bedeckten Platze erhebt sich derselbe etwa 12 Meter hoch, bei 30 Meter
Umfang an der Basis. In seinem hohlen Innern befindet sich ein
kleiner Tempel mit vielen Idolen aus dem buddhistischen Pantheon.
Die kleinen kugelförmigen Erhabenheiten des Kopfes sollen Schnecken
vorstellen, welche der Sage nach einst an Buddha hinaufkrochen,
um seinen kahlen Scheitel vor der brennenden Sonne zu schützen.

*) Der Chef-Ingenieur, welcher schon vom Bakufu engagiert worden war,
hiess Verni. Mein Freund Dr. Louis Savatier, der an meinen pflanzen-
geographischen Studien den innigsten Antheil nahm und mit dem ich manche
wissenschaftliche Frage besprechen konnte, fungierte als Arzt der kleinen
Colonie.
Rein, Japan I. 36
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[561/0605] II. Tôkaidô. a. Kuwantô Auf der Halbinsel Sagami (Miura-gori) finden wir, und zwar an der Südwestspitze, Misaki mit 3400 Einwohnern, auf der Ostseite aber Uraga, wo Perry’s Flotte stationierte, mit 2400 Einwohnern, und näher nach Yokohama in einer andern tiefen und geschützten kleinen Bucht Yokosuka (sprich Yokoska) das von Franzosen *) angelegte und vortrefflich geleitete Arsenal mit einer Werfte. Kamakura liegt wenige Meilen südwestlich von Yokohama, so dass man von hier an einem Tage eine Excursion nach seinen Sehens- würdigkeiten machen und Abends wieder zurück sein kann. Der nähere Weg führt über Kanazawa in der Nähe der Küste hin, ein anderer den Tôkaidô entlang bis Fujisawa, dann südöstlich. Zur Zeit ihrer Blüthe umfasste die Residenz des Yoritomo über 200000 Einwohner. Belebte Strassen mit einer glücklichen, thätigen Bevölkerung bedeckten einst den Boden, auf welchem seit drei Jahrhunderten der Land- mann wieder säet und erntet. Die Minamoto, Hôjô und Ashikaga, Nichiren und andere buddhistische Eiferer, welche hier lebten und wirkten, sind längst dahin; dem raschen Emporblühen der Stadt folgte mancher Meuchelmord und blutige Kampf um ihren Besitz, der schliesslich den Flammen zufiel. Mächtige alte Tempel in kleinen Hainen und Salisburien hier und dort, sowie vor allem der berühmte Kamakura-no-Daibutsu (grosse Buddha von Kamakura) erinnern den Besucher an die ehemalige Bedeutung und Grösse von Kamakura. Das heutige ist ein kleines Städtchen mit 6400 Einwohnern. Seine zwei grössten Sehenswürdigkeiten sind der Daibutsu und der Tempel Tsurugaoka, auf dessen Stufen einst Sanetomo’s Blut floss (pag. 281) und dessen Priester eine ganze Sammlung berühmter Waffen, Rüstungen und anderer Andenken aufweisen an die Zeit, wo die grossen Macht- haber hier Hachiman’s Gunst erflehten. Der Daibutsu (siehe Holz- schnitt pag. 534) besteht, wie der von Nara, aus kupferreicher Bronze, hat jedoch keinen Heiligenschein. Auf einem mit Steinplatten bedeckten Platze erhebt sich derselbe etwa 12 Meter hoch, bei 30 Meter Umfang an der Basis. In seinem hohlen Innern befindet sich ein kleiner Tempel mit vielen Idolen aus dem buddhistischen Pantheon. Die kleinen kugelförmigen Erhabenheiten des Kopfes sollen Schnecken vorstellen, welche der Sage nach einst an Buddha hinaufkrochen, um seinen kahlen Scheitel vor der brennenden Sonne zu schützen. *) Der Chef-Ingenieur, welcher schon vom Bakufu engagiert worden war, hiess Verni. Mein Freund Dr. Louis Savatier, der an meinen pflanzen- geographischen Studien den innigsten Antheil nahm und mit dem ich manche wissenschaftliche Frage besprechen konnte, fungierte als Arzt der kleinen Colonie. Rein, Japan I. 36

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/605>, abgerufen am 22.11.2024.