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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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II. Ethnographie.
erhaben Amida (Amitabha), "der ungemessen Glänzende", die auf-
richtende, helfende und errettende Gottheit, der in Japan Tausende
von Idolen in allen Grössen gewidmet sind*). Hohen Ruf haben vor
allem die drei Colossalstatuen, die Daibutsu (grossen Buddha) von
Kamakura, Nara und Kioto. Am bekanntesten und besuchtesten ist
der Daibuts(u) von Kamakura im Südwesten von Yokohama. Dieses
hochinteressante Götzenbild, von dem hier eine Abbildung folgt, hat
eine Gesammthöhe von 54 Shaku (Fuss) oder 16,3 Meter und die zu
ihm verwendete kupferreiche Bronze ein Gewicht von 450 Tonnen.

Die Lotosblume (Nelumbium speciosum), japanisch Hasu oder
Renge, wie wir sie hier ebenfalls aus Bronze in zwei Vasen sehen,
war schon dem Civa geweiht, wie denn auch die heiligen Teiche
bei Buddhatempeln und Klöstern mit ihren Lotosblumen, Fischen und
Schildkröten nicht dem Buddhismus ureigen sind, vielmehr vor ihm
in Indien gebräuchlich waren. So wird berichtet, dass Rahula, der
siebenjährige Sohn Sidhdartha's, neben seiner Mutter Yacodhara am
Lotosteiche sass und mit Reis die Fische fütterte, als fremde Kauf-
leute kamen und Nachrichten über seinen Vater brachten**). Auch
Ficus religiosa, ein Baum, der im nordöstlichen Monsungebiete nicht
mehr gedeiht, war in Indien, schon bevor Siddhartha unter ihm er-
leuchtet und zum Buddha wurde, heilig und dem Civa geweiht.
Neben der Lotosblume ist in Japan der Skimmi oder Sternanis (Illi-
cium anisatum L. oder Illicium religiosum S. und Z.) Buddha geweiht.
Wie in den Shintotempeln die Kami mit grünen Zweigen des Sakaki
(Cleyera japonica) erfreut werden, so füllt man in den Buddhatempeln
die Vasen mit den Zweigen des immergrünen Sternanis, eines kleinen
Baumes aus der Familie der Magnoliaceen, welcher desshalb ausser-
ordentlich häufig bei den Tera's gefunden wird, wie Sakaki bei den
Miya's.

Die Verfolgungen der Buddhapriester durch Nobunaga und die
Einführung des Christenthums in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-

*) Amida et Xaca (Shaka = Cakyamuni) sind auch in den epistolae der
Jesuiten die Japoniorum Dii par excellence.
**) Aber im Buddhismus erlangte das edelste und schönste aller Wasser-
gewächse eine höhere symbolische Bedeutung. Wie sich die Knospen des Lotos
aus dem Schlamme des Wasserbeckens erheben und in verschiedener Höhe ihre
reizenden Blätter und Blüthen entfalten, an deren lieblichen, reinen Farben
keine Spur von dem Schmutze wahrzunehmen ist, dem sie entsprossen, so wird
die Seele der Menschen nach Buddha durch eigenes Vermögen und Thun er-
hoben, bis sie als Buddha rein in Nirwana eingeht. Desshalb lässt man auch
alle Idole der Buddhas auf geöffneten Lotosblumen ruhen.

II. Ethnographie.
erhaben Amida (Amitâbha), »der ungemessen Glänzende«, die auf-
richtende, helfende und errettende Gottheit, der in Japan Tausende
von Idolen in allen Grössen gewidmet sind*). Hohen Ruf haben vor
allem die drei Colossalstatuen, die Daibutsu (grossen Buddha) von
Kamakura, Nara und Kiôto. Am bekanntesten und besuchtesten ist
der Daibuts(u) von Kamakura im Südwesten von Yokohama. Dieses
hochinteressante Götzenbild, von dem hier eine Abbildung folgt, hat
eine Gesammthöhe von 54 Shaku (Fuss) oder 16,3 Meter und die zu
ihm verwendete kupferreiche Bronze ein Gewicht von 450 Tonnen.

Die Lotosblume (Nelumbium speciosum), japanisch Hasu oder
Renge, wie wir sie hier ebenfalls aus Bronze in zwei Vasen sehen,
war schon dem Çiva geweiht, wie denn auch die heiligen Teiche
bei Buddhatempeln und Klöstern mit ihren Lotosblumen, Fischen und
Schildkröten nicht dem Buddhismus ureigen sind, vielmehr vor ihm
in Indien gebräuchlich waren. So wird berichtet, dass Râhula, der
siebenjährige Sohn Sidhdârtha’s, neben seiner Mutter Yaçôdharâ am
Lotosteiche sass und mit Reis die Fische fütterte, als fremde Kauf-
leute kamen und Nachrichten über seinen Vater brachten**). Auch
Ficus religiosa, ein Baum, der im nordöstlichen Monsungebiete nicht
mehr gedeiht, war in Indien, schon bevor Siddhârtha unter ihm er-
leuchtet und zum Buddha wurde, heilig und dem Çiva geweiht.
Neben der Lotosblume ist in Japan der Skimmi oder Sternanis (Illi-
cium anisatum L. oder Illicium religiosum S. und Z.) Buddha geweiht.
Wie in den Shintôtempeln die Kami mit grünen Zweigen des Sakaki
(Cleyera japonica) erfreut werden, so füllt man in den Buddhatempeln
die Vasen mit den Zweigen des immergrünen Sternanis, eines kleinen
Baumes aus der Familie der Magnoliaceen, welcher desshalb ausser-
ordentlich häufig bei den Tera’s gefunden wird, wie Sakaki bei den
Miya’s.

Die Verfolgungen der Buddhapriester durch Nobunaga und die
Einführung des Christenthums in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-

*) Amida et Xaca (Shaka = Çâkyamuni) sind auch in den epistolae der
Jesuiten die Japoniorum Dii par excellence.
**) Aber im Buddhismus erlangte das edelste und schönste aller Wasser-
gewächse eine höhere symbolische Bedeutung. Wie sich die Knospen des Lotos
aus dem Schlamme des Wasserbeckens erheben und in verschiedener Höhe ihre
reizenden Blätter und Blüthen entfalten, an deren lieblichen, reinen Farben
keine Spur von dem Schmutze wahrzunehmen ist, dem sie entsprossen, so wird
die Seele der Menschen nach Buddha durch eigenes Vermögen und Thun er-
hoben, bis sie als Buddha rein in Nirwâna eingeht. Desshalb lässt man auch
alle Idole der Buddhas auf geöffneten Lotosblumen ruhen.
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[534/0570] II. Ethnographie. erhaben Amida (Amitâbha), »der ungemessen Glänzende«, die auf- richtende, helfende und errettende Gottheit, der in Japan Tausende von Idolen in allen Grössen gewidmet sind *). Hohen Ruf haben vor allem die drei Colossalstatuen, die Daibutsu (grossen Buddha) von Kamakura, Nara und Kiôto. Am bekanntesten und besuchtesten ist der Daibuts(u) von Kamakura im Südwesten von Yokohama. Dieses hochinteressante Götzenbild, von dem hier eine Abbildung folgt, hat eine Gesammthöhe von 54 Shaku (Fuss) oder 16,3 Meter und die zu ihm verwendete kupferreiche Bronze ein Gewicht von 450 Tonnen. Die Lotosblume (Nelumbium speciosum), japanisch Hasu oder Renge, wie wir sie hier ebenfalls aus Bronze in zwei Vasen sehen, war schon dem Çiva geweiht, wie denn auch die heiligen Teiche bei Buddhatempeln und Klöstern mit ihren Lotosblumen, Fischen und Schildkröten nicht dem Buddhismus ureigen sind, vielmehr vor ihm in Indien gebräuchlich waren. So wird berichtet, dass Râhula, der siebenjährige Sohn Sidhdârtha’s, neben seiner Mutter Yaçôdharâ am Lotosteiche sass und mit Reis die Fische fütterte, als fremde Kauf- leute kamen und Nachrichten über seinen Vater brachten **). Auch Ficus religiosa, ein Baum, der im nordöstlichen Monsungebiete nicht mehr gedeiht, war in Indien, schon bevor Siddhârtha unter ihm er- leuchtet und zum Buddha wurde, heilig und dem Çiva geweiht. Neben der Lotosblume ist in Japan der Skimmi oder Sternanis (Illi- cium anisatum L. oder Illicium religiosum S. und Z.) Buddha geweiht. Wie in den Shintôtempeln die Kami mit grünen Zweigen des Sakaki (Cleyera japonica) erfreut werden, so füllt man in den Buddhatempeln die Vasen mit den Zweigen des immergrünen Sternanis, eines kleinen Baumes aus der Familie der Magnoliaceen, welcher desshalb ausser- ordentlich häufig bei den Tera’s gefunden wird, wie Sakaki bei den Miya’s. Die Verfolgungen der Buddhapriester durch Nobunaga und die Einführung des Christenthums in der zweiten Hälfte des 16. Jahr- *) Amida et Xaca (Shaka = Çâkyamuni) sind auch in den epistolae der Jesuiten die Japoniorum Dii par excellence. **) Aber im Buddhismus erlangte das edelste und schönste aller Wasser- gewächse eine höhere symbolische Bedeutung. Wie sich die Knospen des Lotos aus dem Schlamme des Wasserbeckens erheben und in verschiedener Höhe ihre reizenden Blätter und Blüthen entfalten, an deren lieblichen, reinen Farben keine Spur von dem Schmutze wahrzunehmen ist, dem sie entsprossen, so wird die Seele der Menschen nach Buddha durch eigenes Vermögen und Thun er- hoben, bis sie als Buddha rein in Nirwâna eingeht. Desshalb lässt man auch alle Idole der Buddhas auf geöffneten Lotosblumen ruhen.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/570>, abgerufen am 22.11.2024.