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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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5. Kalender und Volksfeste. Sexagesimal-Cyclus etc.
rauheren Jahreszeit wegen in den jetzigen Neujahrstagen ein weniger
erfreuliches Geschäft; ebenso die Mimen, welche in luftigen Buden
religiöse Tänze und Pantomimen aufführen, oder die ebenfalls manzai
genannten wandernden Balletsängerinnen aus Mikawa, die paarweise
in ihrem auffallenden Costüm auftreten und ihr Recitativ und näseln-
des Singen mit den Tönen der samisen begleiten.

Der poetische Hauch, welcher früher über dem ersten und be-
deutendsten Feste des Jahres ruhte, schwindet wohl mehr und mehr.
Nur die in den Vertragshäfen wohnenden Chinesen feiern nach wie
vor Neujahr ganz nach alter Weise, indem sie, von ihrer sonstigen
Sparsamkeit abweichend, an diesem Tage sich namentlich durch das
Abbrennen von Feuerwerk und andere lärmende Vergnügungen etwas
zu Gute thun.

Das Hino-sekku oder Puppenfest ist das sangatsu-no-sekku,
Fest am dritten Tag des dritten Monats, und speciell den Mädchen
gewidmet. An ihm erscheint das ganze weibliche Geschlecht in
Feiertagskleidern. Man hat den Mädchen den ganzen Hausschatz
an Puppen, von denen manche alte Familienerbstücke sind, herbei-
geholt und in einem besonderen Zimmer aufgepflanzt. Die lebenden
Puppen bewirthen die todten mit Speise und Trank, welch letzterer
in Ermangelung der Milch aus shiro-sake (weissem, süssem sake)
besteht. In Kiyo-bashi-dori, zu Tokio, wo sich die grossen statt-
lichen Läden mit zum Theil sehr kostbaren Puppen befinden, ist an
diesem Tage ein reges Leben.

Früher fiel das Puppenfest in der Regel in die Mitte oder gegen
Ende April, zur Zeit, wo die beliebten sakura-Bäume sich mit Blü-
then bedecken, und da diese vielfach an den Pfirsichbaum erinnern,
so haben es Europäer wohl auch das Pfirsichblüthenfest genannt.

Am fünften Tag des fünften Monats feiert man das Nobori-no-
sekku
oder Flaggenfest, das auch Shobu-no-sekku, Cala-
musfest
heisst. Es ist den Knaben gewidmet. Wie zwei Monate
zuvor Puppen, so spielen jetzt Waffen, Rüstungen und Kriegsspiele
eine Rolle. Flaggenfest wird der Tag genannt, weil an ihm bei
jedem Hause, in welchem während des verflossenen Jahres ein Knabe
geboren wurde, eine Flagge an langer Bambusstange weht, bestehend
in einem grossen bemalten Koi (Karpfen) aus Papier, den der Wind
aufbläst und hin und her weht. Er hat ebenfalls, gleich den Bündeln
von Calamus und Beifuss, welche man an diesem Tage an den Vor-
dächern der Häuser befestigt, symbolische Bedeutung.

Das Tanabata-no-sekku oder Sternenfest am siebenten
Tage des siebenten Monats ist der Vega (tanabata) geweiht, dem

5. Kalender und Volksfeste. Sexagesimal-Cyclus etc.
rauheren Jahreszeit wegen in den jetzigen Neujahrstagen ein weniger
erfreuliches Geschäft; ebenso die Mimen, welche in luftigen Buden
religiöse Tänze und Pantomimen aufführen, oder die ebenfalls manzai
genannten wandernden Balletsängerinnen aus Mikawa, die paarweise
in ihrem auffallenden Costüm auftreten und ihr Recitativ und näseln-
des Singen mit den Tönen der samisen begleiten.

Der poetische Hauch, welcher früher über dem ersten und be-
deutendsten Feste des Jahres ruhte, schwindet wohl mehr und mehr.
Nur die in den Vertragshäfen wohnenden Chinesen feiern nach wie
vor Neujahr ganz nach alter Weise, indem sie, von ihrer sonstigen
Sparsamkeit abweichend, an diesem Tage sich namentlich durch das
Abbrennen von Feuerwerk und andere lärmende Vergnügungen etwas
zu Gute thun.

Das Hino-sekku oder Puppenfest ist das sangatsu-no-sekku,
Fest am dritten Tag des dritten Monats, und speciell den Mädchen
gewidmet. An ihm erscheint das ganze weibliche Geschlecht in
Feiertagskleidern. Man hat den Mädchen den ganzen Hausschatz
an Puppen, von denen manche alte Familienerbstücke sind, herbei-
geholt und in einem besonderen Zimmer aufgepflanzt. Die lebenden
Puppen bewirthen die todten mit Speise und Trank, welch letzterer
in Ermangelung der Milch aus shiro-sake (weissem, süssem sake)
besteht. In Kiyo-bashi-dori, zu Tôkio, wo sich die grossen statt-
lichen Läden mit zum Theil sehr kostbaren Puppen befinden, ist an
diesem Tage ein reges Leben.

Früher fiel das Puppenfest in der Regel in die Mitte oder gegen
Ende April, zur Zeit, wo die beliebten sakura-Bäume sich mit Blü-
then bedecken, und da diese vielfach an den Pfirsichbaum erinnern,
so haben es Europäer wohl auch das Pfirsichblüthenfest genannt.

Am fünften Tag des fünften Monats feiert man das Nobori-no-
sekku
oder Flaggenfest, das auch Shobu-no-sekku, Cala-
musfest
heisst. Es ist den Knaben gewidmet. Wie zwei Monate
zuvor Puppen, so spielen jetzt Waffen, Rüstungen und Kriegsspiele
eine Rolle. Flaggenfest wird der Tag genannt, weil an ihm bei
jedem Hause, in welchem während des verflossenen Jahres ein Knabe
geboren wurde, eine Flagge an langer Bambusstange weht, bestehend
in einem grossen bemalten Koi (Karpfen) aus Papier, den der Wind
aufbläst und hin und her weht. Er hat ebenfalls, gleich den Bündeln
von Calamus und Beifuss, welche man an diesem Tage an den Vor-
dächern der Häuser befestigt, symbolische Bedeutung.

Das Tanabata-no-sekku oder Sternenfest am siebenten
Tage des siebenten Monats ist der Vega (tanabata) geweiht, dem

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[509/0543] 5. Kalender und Volksfeste. Sexagesimal-Cyclus etc. rauheren Jahreszeit wegen in den jetzigen Neujahrstagen ein weniger erfreuliches Geschäft; ebenso die Mimen, welche in luftigen Buden religiöse Tänze und Pantomimen aufführen, oder die ebenfalls manzai genannten wandernden Balletsängerinnen aus Mikawa, die paarweise in ihrem auffallenden Costüm auftreten und ihr Recitativ und näseln- des Singen mit den Tönen der samisen begleiten. Der poetische Hauch, welcher früher über dem ersten und be- deutendsten Feste des Jahres ruhte, schwindet wohl mehr und mehr. Nur die in den Vertragshäfen wohnenden Chinesen feiern nach wie vor Neujahr ganz nach alter Weise, indem sie, von ihrer sonstigen Sparsamkeit abweichend, an diesem Tage sich namentlich durch das Abbrennen von Feuerwerk und andere lärmende Vergnügungen etwas zu Gute thun. Das Hino-sekku oder Puppenfest ist das sangatsu-no-sekku, Fest am dritten Tag des dritten Monats, und speciell den Mädchen gewidmet. An ihm erscheint das ganze weibliche Geschlecht in Feiertagskleidern. Man hat den Mädchen den ganzen Hausschatz an Puppen, von denen manche alte Familienerbstücke sind, herbei- geholt und in einem besonderen Zimmer aufgepflanzt. Die lebenden Puppen bewirthen die todten mit Speise und Trank, welch letzterer in Ermangelung der Milch aus shiro-sake (weissem, süssem sake) besteht. In Kiyo-bashi-dori, zu Tôkio, wo sich die grossen statt- lichen Läden mit zum Theil sehr kostbaren Puppen befinden, ist an diesem Tage ein reges Leben. Früher fiel das Puppenfest in der Regel in die Mitte oder gegen Ende April, zur Zeit, wo die beliebten sakura-Bäume sich mit Blü- then bedecken, und da diese vielfach an den Pfirsichbaum erinnern, so haben es Europäer wohl auch das Pfirsichblüthenfest genannt. Am fünften Tag des fünften Monats feiert man das Nobori-no- sekku oder Flaggenfest, das auch Shobu-no-sekku, Cala- musfest heisst. Es ist den Knaben gewidmet. Wie zwei Monate zuvor Puppen, so spielen jetzt Waffen, Rüstungen und Kriegsspiele eine Rolle. Flaggenfest wird der Tag genannt, weil an ihm bei jedem Hause, in welchem während des verflossenen Jahres ein Knabe geboren wurde, eine Flagge an langer Bambusstange weht, bestehend in einem grossen bemalten Koi (Karpfen) aus Papier, den der Wind aufbläst und hin und her weht. Er hat ebenfalls, gleich den Bündeln von Calamus und Beifuss, welche man an diesem Tage an den Vor- dächern der Häuser befestigt, symbolische Bedeutung. Das Tanabata-no-sekku oder Sternenfest am siebenten Tage des siebenten Monats ist der Vega (tanabata) geweiht, dem

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/543>, abgerufen am 22.11.2024.