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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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II. Ethnographie.
wo ein Mädchen mit Zustimmung seiner Eltern und seines Bräutigams
sich auf drei Jahre einem öffentlichen Hause verkaufte, um dem
Bräutigam die Reisemittel zu verschaffen, damit er rechtzeitig zu
seinen Mitverschworenen in Sakai stossen und seine Lehnstreue be-
thätigen könne, zu einer Reise, welche die Rächung seines Herrn,
des Daimio von Ako, zum Ziel und den eigenen Tod zur sicheren
Folge hatte, wie alle wussten. Mit Zustimmung oder auf Veran-
lassung ihrer Eltern gibt sich das japanische Mädchen Männern hin,
nicht ohne solche. Es geschieht jedoch nur von Eltern niedriger
Denkungsart, dass sie ihre Kinder verkaufen, und ist ein von der
guten Gesellschaft Japans eben so verpöntes Verfahren, wie bei uns.

Das japanische Mädchen (musme) erhielt eine gute Erziehung,
wenn es das Hirakana lesen und schreiben, etwas rechnen und die
ihrem Geschlecht zukommenden Aufgaben und Pflichten gründlich
kennen lernte. Es wurde daneben im Spielen des Samisen und
wohl auch des Koto *) unterrichtet, in der Kunst, Blumen geschmack-
voll in Vasen zu stecken, worüber es besondere illustrierte Bücher
gibt, sowie in der Haushaltung. Auf allen Altersstufen und in jedem
Stande hatte es sich grosser Reinlichkeit und eines heiteren freund-
lichen Wesens zu befleissigen, namentlich auch dann, wenn es in
fremde Dienste trat. Lachend, tändelnd und scherzend empfängt die
dienende nesan (das japanische Kellnermädchen) in der Yadoya oder
Chaya die ankommenden Gäste; mit einem freundlichen "tadaima"
(sogleich) eilt sie alsbald, um die ihr ausgesprochenen Wünsche zu
befriedigen, und scheint dabei nie mürrisch, noch müde zu werden.
Ihre Moral, obgleich von keinen Idealen und hohen religiösen Prin-
cipien geleitet, steht viel höher, als man nach dem bösen Rufe, in
welchen sie früher durch ihr auffallend zutrauliches, kindlich naives
Wesen gegen oberflächlich urteilende Fremde bei uns gelangt war,
glauben konnte. Sie wird geleitet durch die empfangenen Lehren
über gute Lebensart, vor allem aber durch blinden Gehorsam gegen
ihre Eltern und eine heilsame Furcht vor deren Missfallen.

Das Verhältniss der Herrschaft (shujin, danna) zu den Dienst-
boten (kodzukai) erinnert an die in dieser Beziehung gute frühere
Zeit bei uns in Deutschland. Der kodzukai wahrt, wenn er vor

*) Das Samisen, eine dreisaitige Guitarre, ist das gewöhnlichste aller
Musikinstrumente, welches fast jedes Mädchen spielen lernt; nur in den besseren
Häusern hat auch die alte dreizehnsaitige Koto, eine Art Zither, welche liegend
gespielt wird, einen Platz. Ihre Töne sind viel harmonischer, wohlklingender,
doch ist ihr Spiel ungleich schwieriger. Die Biwa, eine Mandoline mit vier
Saiten, wird meist von Greisen gespielt.

II. Ethnographie.
wo ein Mädchen mit Zustimmung seiner Eltern und seines Bräutigams
sich auf drei Jahre einem öffentlichen Hause verkaufte, um dem
Bräutigam die Reisemittel zu verschaffen, damit er rechtzeitig zu
seinen Mitverschworenen in Sakai stossen und seine Lehnstreue be-
thätigen könne, zu einer Reise, welche die Rächung seines Herrn,
des Daimio von Ako, zum Ziel und den eigenen Tod zur sicheren
Folge hatte, wie alle wussten. Mit Zustimmung oder auf Veran-
lassung ihrer Eltern gibt sich das japanische Mädchen Männern hin,
nicht ohne solche. Es geschieht jedoch nur von Eltern niedriger
Denkungsart, dass sie ihre Kinder verkaufen, und ist ein von der
guten Gesellschaft Japans eben so verpöntes Verfahren, wie bei uns.

Das japanische Mädchen (musme) erhielt eine gute Erziehung,
wenn es das Hirakana lesen und schreiben, etwas rechnen und die
ihrem Geschlecht zukommenden Aufgaben und Pflichten gründlich
kennen lernte. Es wurde daneben im Spielen des Samisen und
wohl auch des Koto *) unterrichtet, in der Kunst, Blumen geschmack-
voll in Vasen zu stecken, worüber es besondere illustrierte Bücher
gibt, sowie in der Haushaltung. Auf allen Altersstufen und in jedem
Stande hatte es sich grosser Reinlichkeit und eines heiteren freund-
lichen Wesens zu befleissigen, namentlich auch dann, wenn es in
fremde Dienste trat. Lachend, tändelnd und scherzend empfängt die
dienende nesan (das japanische Kellnermädchen) in der Yadoya oder
Chaya die ankommenden Gäste; mit einem freundlichen »tadaima«
(sogleich) eilt sie alsbald, um die ihr ausgesprochenen Wünsche zu
befriedigen, und scheint dabei nie mürrisch, noch müde zu werden.
Ihre Moral, obgleich von keinen Idealen und hohen religiösen Prin-
cipien geleitet, steht viel höher, als man nach dem bösen Rufe, in
welchen sie früher durch ihr auffallend zutrauliches, kindlich naives
Wesen gegen oberflächlich urteilende Fremde bei uns gelangt war,
glauben konnte. Sie wird geleitet durch die empfangenen Lehren
über gute Lebensart, vor allem aber durch blinden Gehorsam gegen
ihre Eltern und eine heilsame Furcht vor deren Missfallen.

Das Verhältniss der Herrschaft (shujin, danna) zu den Dienst-
boten (kodzukai) erinnert an die in dieser Beziehung gute frühere
Zeit bei uns in Deutschland. Der kodzukai wahrt, wenn er vor

*) Das Samisen, eine dreisaitige Guitarre, ist das gewöhnlichste aller
Musikinstrumente, welches fast jedes Mädchen spielen lernt; nur in den besseren
Häusern hat auch die alte dreizehnsaitige Koto, eine Art Zither, welche liegend
gespielt wird, einen Platz. Ihre Töne sind viel harmonischer, wohlklingender,
doch ist ihr Spiel ungleich schwieriger. Die Biwa, eine Mandoline mit vier
Saiten, wird meist von Greisen gespielt.
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[496/0530] II. Ethnographie. wo ein Mädchen mit Zustimmung seiner Eltern und seines Bräutigams sich auf drei Jahre einem öffentlichen Hause verkaufte, um dem Bräutigam die Reisemittel zu verschaffen, damit er rechtzeitig zu seinen Mitverschworenen in Sakai stossen und seine Lehnstreue be- thätigen könne, zu einer Reise, welche die Rächung seines Herrn, des Daimio von Ako, zum Ziel und den eigenen Tod zur sicheren Folge hatte, wie alle wussten. Mit Zustimmung oder auf Veran- lassung ihrer Eltern gibt sich das japanische Mädchen Männern hin, nicht ohne solche. Es geschieht jedoch nur von Eltern niedriger Denkungsart, dass sie ihre Kinder verkaufen, und ist ein von der guten Gesellschaft Japans eben so verpöntes Verfahren, wie bei uns. Das japanische Mädchen (musme) erhielt eine gute Erziehung, wenn es das Hirakana lesen und schreiben, etwas rechnen und die ihrem Geschlecht zukommenden Aufgaben und Pflichten gründlich kennen lernte. Es wurde daneben im Spielen des Samisen und wohl auch des Koto *) unterrichtet, in der Kunst, Blumen geschmack- voll in Vasen zu stecken, worüber es besondere illustrierte Bücher gibt, sowie in der Haushaltung. Auf allen Altersstufen und in jedem Stande hatte es sich grosser Reinlichkeit und eines heiteren freund- lichen Wesens zu befleissigen, namentlich auch dann, wenn es in fremde Dienste trat. Lachend, tändelnd und scherzend empfängt die dienende nesan (das japanische Kellnermädchen) in der Yadoya oder Chaya die ankommenden Gäste; mit einem freundlichen »tadaima« (sogleich) eilt sie alsbald, um die ihr ausgesprochenen Wünsche zu befriedigen, und scheint dabei nie mürrisch, noch müde zu werden. Ihre Moral, obgleich von keinen Idealen und hohen religiösen Prin- cipien geleitet, steht viel höher, als man nach dem bösen Rufe, in welchen sie früher durch ihr auffallend zutrauliches, kindlich naives Wesen gegen oberflächlich urteilende Fremde bei uns gelangt war, glauben konnte. Sie wird geleitet durch die empfangenen Lehren über gute Lebensart, vor allem aber durch blinden Gehorsam gegen ihre Eltern und eine heilsame Furcht vor deren Missfallen. Das Verhältniss der Herrschaft (shujin, danna) zu den Dienst- boten (kodzukai) erinnert an die in dieser Beziehung gute frühere Zeit bei uns in Deutschland. Der kodzukai wahrt, wenn er vor *) Das Samisen, eine dreisaitige Guitarre, ist das gewöhnlichste aller Musikinstrumente, welches fast jedes Mädchen spielen lernt; nur in den besseren Häusern hat auch die alte dreizehnsaitige Koto, eine Art Zither, welche liegend gespielt wird, einen Platz. Ihre Töne sind viel harmonischer, wohlklingender, doch ist ihr Spiel ungleich schwieriger. Die Biwa, eine Mandoline mit vier Saiten, wird meist von Greisen gespielt.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/530>, abgerufen am 26.08.2024.