ich einmal in dem von Tokio aus viel besuchten Meguro einen alten Mann im Winter bei 4°C. ein Douchebad im Wasser einer kalten Quelle nehmen, das ein ausgehauener Tigerkopf in ein Bassin speit. Hierauf ging derselbe, ohne sich vorher abzutrocknen, nackend und nur mit dem üblichen Lendentuche versehen, die Handflächen zum Gebete gegen einander gestemmt, über ein langes kaltes Pflaster und die 48 steinernen Stufen hinauf zum Tempel, rief dann dem Gott mit der Glocke, opferte seine Kupfermünze und warf sich nun nieder, um sein Gebet zu verrichten. Mit einer nochmaligen Abwaschung und dem nun folgenden Ankleiden endete dieser auffallende Vorgang, der vielleicht Genesung von einer Krankheit bezweckte.
Sowohl nach der inneren Einrichtung, als auch nach dem Zwecke, dem sie dienen, sind private und öffentliche Bäder zu unterscheiden. Im ersten Falle ist die Badewanne (furo) eine ziemlich tiefe Holz- bütte mit stumpfeiförmigem Querschnitte, doch weit unter Körperlänge. An ihrem spitzeren Ende führt ein kleiner Schornstein aus Eisenblech empor, der unten mit einer kleinen Kohlenfeuerung in Verbindung steht und das umgebende Wasser zu wärmen hat. Der furo befindet sich je nach Umständen in der Nähe der Küche oder in einem be- sonderen Badezimmer (yu-dono) an der Hof- und Gartenseite. Gegen 5 oder 6 Uhr Nachmittags oder auch einige Stunden später, je nach der Grösse des Bedarfes, wird das Wasser geheizt und dann der Reihe nach vom Hausherrn bis zum niedrigsten Dienstboten benutzt. In den Herbergen hat der vornehmste Gast den Vorrang. Nach den Gästen folgen Herrschaft und Kinder, zuletzt kommt das Gesinde, so dass zuweilen 30 und mehr Personen nach einander sich desselben Wassers bedienen und der Schluss spät in die Nacht fällt. Das Ab- stossende, welches eine solche Badeeinrichtung für uns hat, wird etwas verringert, wenn man bedenkt, dass sich die Sache täglich wiederholt, Seife und andere das Wasser verunreinigende Stoffe nicht gebräuchlich sind und das Ganze mehr in einem raschen Abwaschen des Körpers besteht, während eine Vorrichtung zur Seite der Bade- wanne jedem ihr Entsteigenden Gelegenheit bietet, sich Kopf und Hände mit frischem Brunnenwasser zu waschen, das kein Anderer mitbenutzt. Für den Reisenden ist ein solches Bad eine grosse Er- quickung. Er entkleidet sich in seinem Zimmer, wirft einen bis zu den Knöcheln reichenden leichten baumwollenen Rock (yu-kata) um, der durch einen Lendengürtel zusammengehalten wird, und begi sich so zum yu-dono. In den feineren Häusern steht die Badevor- richtung mit den Besuchzimmern in Verbindung. Ein kleines Vor- zimmer mit Spiegel etc. dient zum Anlegen der yu-kata. Der furo
3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc.
ich einmal in dem von Tôkio aus viel besuchten Meguro einen alten Mann im Winter bei 4°C. ein Douchebad im Wasser einer kalten Quelle nehmen, das ein ausgehauener Tigerkopf in ein Bassin speit. Hierauf ging derselbe, ohne sich vorher abzutrocknen, nackend und nur mit dem üblichen Lendentuche versehen, die Handflächen zum Gebete gegen einander gestemmt, über ein langes kaltes Pflaster und die 48 steinernen Stufen hinauf zum Tempel, rief dann dem Gott mit der Glocke, opferte seine Kupfermünze und warf sich nun nieder, um sein Gebet zu verrichten. Mit einer nochmaligen Abwaschung und dem nun folgenden Ankleiden endete dieser auffallende Vorgang, der vielleicht Genesung von einer Krankheit bezweckte.
Sowohl nach der inneren Einrichtung, als auch nach dem Zwecke, dem sie dienen, sind private und öffentliche Bäder zu unterscheiden. Im ersten Falle ist die Badewanne (furo) eine ziemlich tiefe Holz- bütte mit stumpfeiförmigem Querschnitte, doch weit unter Körperlänge. An ihrem spitzeren Ende führt ein kleiner Schornstein aus Eisenblech empor, der unten mit einer kleinen Kohlenfeuerung in Verbindung steht und das umgebende Wasser zu wärmen hat. Der furo befindet sich je nach Umständen in der Nähe der Küche oder in einem be- sonderen Badezimmer (yu-dono) an der Hof- und Gartenseite. Gegen 5 oder 6 Uhr Nachmittags oder auch einige Stunden später, je nach der Grösse des Bedarfes, wird das Wasser geheizt und dann der Reihe nach vom Hausherrn bis zum niedrigsten Dienstboten benutzt. In den Herbergen hat der vornehmste Gast den Vorrang. Nach den Gästen folgen Herrschaft und Kinder, zuletzt kommt das Gesinde, so dass zuweilen 30 und mehr Personen nach einander sich desselben Wassers bedienen und der Schluss spät in die Nacht fällt. Das Ab- stossende, welches eine solche Badeeinrichtung für uns hat, wird etwas verringert, wenn man bedenkt, dass sich die Sache täglich wiederholt, Seife und andere das Wasser verunreinigende Stoffe nicht gebräuchlich sind und das Ganze mehr in einem raschen Abwaschen des Körpers besteht, während eine Vorrichtung zur Seite der Bade- wanne jedem ihr Entsteigenden Gelegenheit bietet, sich Kopf und Hände mit frischem Brunnenwasser zu waschen, das kein Anderer mitbenutzt. Für den Reisenden ist ein solches Bad eine grosse Er- quickung. Er entkleidet sich in seinem Zimmer, wirft einen bis zu den Knöcheln reichenden leichten baumwollenen Rock (yu-kata) um, der durch einen Lendengürtel zusammengehalten wird, und begi sich so zum yu-dono. In den feineren Häusern steht die Badevor- richtung mit den Besuchzimmern in Verbindung. Ein kleines Vor- zimmer mit Spiegel etc. dient zum Anlegen der yu-kata. Der furo
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[477/0511]
3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc.
ich einmal in dem von Tôkio aus viel besuchten Meguro einen alten
Mann im Winter bei 4°C. ein Douchebad im Wasser einer kalten
Quelle nehmen, das ein ausgehauener Tigerkopf in ein Bassin speit.
Hierauf ging derselbe, ohne sich vorher abzutrocknen, nackend und
nur mit dem üblichen Lendentuche versehen, die Handflächen zum
Gebete gegen einander gestemmt, über ein langes kaltes Pflaster und
die 48 steinernen Stufen hinauf zum Tempel, rief dann dem Gott
mit der Glocke, opferte seine Kupfermünze und warf sich nun nieder,
um sein Gebet zu verrichten. Mit einer nochmaligen Abwaschung
und dem nun folgenden Ankleiden endete dieser auffallende Vorgang,
der vielleicht Genesung von einer Krankheit bezweckte.
Sowohl nach der inneren Einrichtung, als auch nach dem Zwecke,
dem sie dienen, sind private und öffentliche Bäder zu unterscheiden.
Im ersten Falle ist die Badewanne (furo) eine ziemlich tiefe Holz-
bütte mit stumpfeiförmigem Querschnitte, doch weit unter Körperlänge.
An ihrem spitzeren Ende führt ein kleiner Schornstein aus Eisenblech
empor, der unten mit einer kleinen Kohlenfeuerung in Verbindung
steht und das umgebende Wasser zu wärmen hat. Der furo befindet
sich je nach Umständen in der Nähe der Küche oder in einem be-
sonderen Badezimmer (yu-dono) an der Hof- und Gartenseite. Gegen
5 oder 6 Uhr Nachmittags oder auch einige Stunden später, je nach
der Grösse des Bedarfes, wird das Wasser geheizt und dann der
Reihe nach vom Hausherrn bis zum niedrigsten Dienstboten benutzt.
In den Herbergen hat der vornehmste Gast den Vorrang. Nach den
Gästen folgen Herrschaft und Kinder, zuletzt kommt das Gesinde,
so dass zuweilen 30 und mehr Personen nach einander sich desselben
Wassers bedienen und der Schluss spät in die Nacht fällt. Das Ab-
stossende, welches eine solche Badeeinrichtung für uns hat, wird
etwas verringert, wenn man bedenkt, dass sich die Sache täglich
wiederholt, Seife und andere das Wasser verunreinigende Stoffe nicht
gebräuchlich sind und das Ganze mehr in einem raschen Abwaschen
des Körpers besteht, während eine Vorrichtung zur Seite der Bade-
wanne jedem ihr Entsteigenden Gelegenheit bietet, sich Kopf und
Hände mit frischem Brunnenwasser zu waschen, das kein Anderer
mitbenutzt. Für den Reisenden ist ein solches Bad eine grosse Er-
quickung. Er entkleidet sich in seinem Zimmer, wirft einen bis zu
den Knöcheln reichenden leichten baumwollenen Rock (yu-kata) um,
der durch einen Lendengürtel zusammengehalten wird, und begi
sich so zum yu-dono. In den feineren Häusern steht die Badevor-
richtung mit den Besuchzimmern in Verbindung. Ein kleines Vor-
zimmer mit Spiegel etc. dient zum Anlegen der yu-kata. Der furo
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/511>, abgerufen am 22.11.2024.
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