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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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I. Geschichte des japanischen Volkes.
hervorragenden Führer und Stützen der siegreichen Bewegung vom
Mikado reich beschenkt, sondern den Samurai von Choshiu, Geishiu,
Satsuma, Hizen und Tosa fiel auch der Löwenantheil an den Stellen
der neuen Regierung und Verwaltung zu *). Freilich waren diese
Posten für die talentvollen und gewissenhaften unter ihnen keine
Sinecuren; denn dem allgemeinen Rausche folgte nur zu bald die
nüchterne Wirklichkeit, welche klar machte, dass Aufbauen schwie-
riger ist und viel mehr Zeit, Umsicht und Ausdauer erfordert als das
Niederreissen. Letzteres hatte man in umfassendem Maassstabe be-
wirkt und setzte es, wenn auch in langsamerem Tempo, weiter fort.
Dabei fielen nicht blos zum Wohle der Gesellschaft verrottete Ein-
richtungen und Vorurteile, sondern auch manche Dinge, welche wohl
des Erhaltens werth gewesen wären, wie die meisten Daimioburgen,
sowie auch einzelne Tempel mit ihren werthvollen Andenken aus
alter Zeit, darunter namentlich Producte des Kunstgewerbes, die un-
ersetzbar sind.

Bei der Mediatisierung der Daimio im Jahre 1869 hatte die
Central-Regierung zu Tokio die Feudalherren gebeten, vorerst als
Gouverneure und mit ihrem bisherigen Beamtenstabe die Verwaltung
ihrer Herrschaften weiter fortzuführen. Für die Dauer war dieses
Verhältniss nicht möglich, und so wurden schon im folgenden Jahre
diese Fürsten mit ihren Familien nach Tokio berufen, die alte Ein-
theilung ganz beseitigt und das Land in Ken oder Regierungsbezirke
zerlegt. In den nördlichen setzte man Leute aus dem Süden in die
höchsten Stellen derselben, während man am Bestande der grossen
südlichen Clane wenig änderte, so namentlich bei Satsuma, das lange
mit Handschuhen angefasst wurde, bis die grosse Revolution von 1877
auch hier andere Zustände herbeiführte.

Man unterscheidet die japanische Bevölkerung von der Beseitigung
des Feudalwesens an, wie folgt:

1. Der Mikado, Tenno oder Tenshi.
2. Die Shin-no, oder kaiserliche Familie.
3. Die Kuwa-zoku (sprich Kadzoku), d. h. Blume der Familien,
der Adel Japans, bestehend aus den früheren Kuge und Daimio.
4. Shi-zoku, d. h. ehrbare Familien, die Samurai.
*) Das neue Cabinet bestand aus drei Kuge (Sanjo, Iwakura und Tokudaiji)
und Nabeshima, dem Ex-Daimio von Hizen, welche Ministerstellen bekleideten,
ferner aus den früheren Samurai, jetzt Sangi (Staatsräthen), Okubo von Satsuma,
Soyeshima und Okuma von Hizen, Hirozawa und Kido von Choshiu, Sasaki von
Tosa, zu denen bald noch Saigo, Itagaki und verschiedene Andere kamen.

I. Geschichte des japanischen Volkes.
hervorragenden Führer und Stützen der siegreichen Bewegung vom
Mikado reich beschenkt, sondern den Samurai von Chôshiu, Geishiu,
Satsuma, Hizen und Tosa fiel auch der Löwenantheil an den Stellen
der neuen Regierung und Verwaltung zu *). Freilich waren diese
Posten für die talentvollen und gewissenhaften unter ihnen keine
Sinecuren; denn dem allgemeinen Rausche folgte nur zu bald die
nüchterne Wirklichkeit, welche klar machte, dass Aufbauen schwie-
riger ist und viel mehr Zeit, Umsicht und Ausdauer erfordert als das
Niederreissen. Letzteres hatte man in umfassendem Maassstabe be-
wirkt und setzte es, wenn auch in langsamerem Tempo, weiter fort.
Dabei fielen nicht blos zum Wohle der Gesellschaft verrottete Ein-
richtungen und Vorurteile, sondern auch manche Dinge, welche wohl
des Erhaltens werth gewesen wären, wie die meisten Daimioburgen,
sowie auch einzelne Tempel mit ihren werthvollen Andenken aus
alter Zeit, darunter namentlich Producte des Kunstgewerbes, die un-
ersetzbar sind.

Bei der Mediatisierung der Daimio im Jahre 1869 hatte die
Central-Regierung zu Tôkio die Feudalherren gebeten, vorerst als
Gouverneure und mit ihrem bisherigen Beamtenstabe die Verwaltung
ihrer Herrschaften weiter fortzuführen. Für die Dauer war dieses
Verhältniss nicht möglich, und so wurden schon im folgenden Jahre
diese Fürsten mit ihren Familien nach Tôkio berufen, die alte Ein-
theilung ganz beseitigt und das Land in Ken oder Regierungsbezirke
zerlegt. In den nördlichen setzte man Leute aus dem Süden in die
höchsten Stellen derselben, während man am Bestande der grossen
südlichen Clane wenig änderte, so namentlich bei Satsuma, das lange
mit Handschuhen angefasst wurde, bis die grosse Revolution von 1877
auch hier andere Zustände herbeiführte.

Man unterscheidet die japanische Bevölkerung von der Beseitigung
des Feudalwesens an, wie folgt:

1. Der Mikado, Tennô oder Tenshi.
2. Die Shin-nô, oder kaiserliche Familie.
3. Die Kuwa-zoku (sprich Kadzoku), d. h. Blume der Familien,
der Adel Japans, bestehend aus den früheren Kuge und Daimio.
4. Shi-zoku, d. h. ehrbare Familien, die Samurai.
*) Das neue Cabinet bestand aus drei Kuge (Sanjô, Iwakura und Tokudaiji)
und Nabeshima, dem Ex-Daimio von Hizen, welche Ministerstellen bekleideten,
ferner aus den früheren Samurai, jetzt Sangi (Staatsräthen), Ôkubo von Satsuma,
Soyeshima und Ôkuma von Hizen, Hirozawa und Kido von Chôshiu, Sasaki von
Tosa, zu denen bald noch Saigô, Itagaki und verschiedene Andere kamen.
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[420/0448] I. Geschichte des japanischen Volkes. hervorragenden Führer und Stützen der siegreichen Bewegung vom Mikado reich beschenkt, sondern den Samurai von Chôshiu, Geishiu, Satsuma, Hizen und Tosa fiel auch der Löwenantheil an den Stellen der neuen Regierung und Verwaltung zu *). Freilich waren diese Posten für die talentvollen und gewissenhaften unter ihnen keine Sinecuren; denn dem allgemeinen Rausche folgte nur zu bald die nüchterne Wirklichkeit, welche klar machte, dass Aufbauen schwie- riger ist und viel mehr Zeit, Umsicht und Ausdauer erfordert als das Niederreissen. Letzteres hatte man in umfassendem Maassstabe be- wirkt und setzte es, wenn auch in langsamerem Tempo, weiter fort. Dabei fielen nicht blos zum Wohle der Gesellschaft verrottete Ein- richtungen und Vorurteile, sondern auch manche Dinge, welche wohl des Erhaltens werth gewesen wären, wie die meisten Daimioburgen, sowie auch einzelne Tempel mit ihren werthvollen Andenken aus alter Zeit, darunter namentlich Producte des Kunstgewerbes, die un- ersetzbar sind. Bei der Mediatisierung der Daimio im Jahre 1869 hatte die Central-Regierung zu Tôkio die Feudalherren gebeten, vorerst als Gouverneure und mit ihrem bisherigen Beamtenstabe die Verwaltung ihrer Herrschaften weiter fortzuführen. Für die Dauer war dieses Verhältniss nicht möglich, und so wurden schon im folgenden Jahre diese Fürsten mit ihren Familien nach Tôkio berufen, die alte Ein- theilung ganz beseitigt und das Land in Ken oder Regierungsbezirke zerlegt. In den nördlichen setzte man Leute aus dem Süden in die höchsten Stellen derselben, während man am Bestande der grossen südlichen Clane wenig änderte, so namentlich bei Satsuma, das lange mit Handschuhen angefasst wurde, bis die grosse Revolution von 1877 auch hier andere Zustände herbeiführte. Man unterscheidet die japanische Bevölkerung von der Beseitigung des Feudalwesens an, wie folgt: 1. Der Mikado, Tennô oder Tenshi. 2. Die Shin-nô, oder kaiserliche Familie. 3. Die Kuwa-zoku (sprich Kadzoku), d. h. Blume der Familien, der Adel Japans, bestehend aus den früheren Kuge und Daimio. 4. Shi-zoku, d. h. ehrbare Familien, die Samurai. *) Das neue Cabinet bestand aus drei Kuge (Sanjô, Iwakura und Tokudaiji) und Nabeshima, dem Ex-Daimio von Hizen, welche Ministerstellen bekleideten, ferner aus den früheren Samurai, jetzt Sangi (Staatsräthen), Ôkubo von Satsuma, Soyeshima und Ôkuma von Hizen, Hirozawa und Kido von Chôshiu, Sasaki von Tosa, zu denen bald noch Saigô, Itagaki und verschiedene Andere kamen.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/448>, abgerufen am 22.11.2024.