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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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I. Geschichte des japanischen Volkes.
zu Kämpfen zwischen Anhängern der Tokugawa und den Regierungs-
truppen. Dorthin waren nach Einnahme von Aidzu und Nambu die
Unversöhnlichen geflüchtet, darunter Otori Keiske, dorthin begab sich
auch der Admiral Enomoto mit der aus acht Schiffen bestehenden
Flotte des Ex-Shogun, welche am 4. October die Yedobucht verliess.
Man nahm rasch hinter einander Hakodate und Matsumaye ein,
etablierte eine Art Republik, litt viel durch Hunger und Kälte, ver-
lor die besten Schiffe und ergab sich Ende Juni 1869.

Wir müssen hier noch einiger Ereignisse Erwähnung thun, welche
zwischen die Pacification des nördlichen Hondo und die Kämpfe auf
Yezo fallen. Am 6. November 1868 wurde die chronologische Periode
geändert und beschlossen, dass hinfort für die Regierungszeit eines
Mikado nur eine solche Periode (ein Nengo) gerechnet werde. Es
begann das erste Jahr Meiji *) (erleuchtete Regierung). Am 26. No-
vember verlegte der Mikado seine Residenz nach Yedo, das von nun
ab Tokio (nach einer anderen Lesart Tokei), Osthauptstadt, genannt
wurde, zum Unterschied von Saikio (Kioto), der Westhauptstadt.
Bald darauf wurde er von den fremden Mächten anerkannt und em-
pfing deren Vertreter am 5. Januar 1869, reiste hierauf zu Lande
nach Kioto, um die vorgeschriebenen Ahnenopfer zu bringen und sich
zu verheirathen. Auf der Rückreise drängten sich dem Zuge mehrere
Tausend Shimpei (freiwillige Leibgarde) als Begleiter auf, Leute,
welche aus verschiedenen Clanen stammten und nur durch gemein-
samen Fremdenhass sich zusammengefunden hatten. In Tokio steckte
man sie ins Heer. Bald darauf ermordete man in Tokio einen kaiser-
lichen Rath auf seinem Wege zum Schlosse, weil er im Verdacht
stand, "böse Meinungen zu bekennen", d. h. dem Christenthume zu-
zuneigen. Die Ronin, welche diese That ausgeführt hatten, wurden
später ergriffen und exemplarisch bestraft. Insulte gegen Fremde
und deren Vertreter zwangen die Regierung zu einer Bekanntmachung,
wonach die alte Strassenordnung für Daimiozüge aufgehoben und der
Ruf "Shita-ni-iro" nicht mehr erlaubt wurde. Wie sehr man jedoch
im allgemeinen noch in den alten Anschauungen lebte, zeigte sich
auch in einer Versammlung von Edelleuten, welche kurze Zeit darauf
stattfand und bei der die Frage, ob nicht das Schwertertragen zu
beseitigen sei, von Allen verneint wurde und ein Antrag auf Ab-
schaffung des Harakiri nur geringe Unterstützung fand.

*) Mit Meiji beginnt für Japan die neue Zeit. Das 13. Jahr Meiji, in wel-
chem Japan jetzt lebt, ist zugleich das 13. seiner politischen Reconstruction unter
der Alleinherrschaft des Mikado Mutsuhito und des freundlichen Verkehrs mit
den christlichen Mächten.

I. Geschichte des japanischen Volkes.
zu Kämpfen zwischen Anhängern der Tokugawa und den Regierungs-
truppen. Dorthin waren nach Einnahme von Aidzu und Nambu die
Unversöhnlichen geflüchtet, darunter Ôtori Keiske, dorthin begab sich
auch der Admiral Enomoto mit der aus acht Schiffen bestehenden
Flotte des Ex-Shôgun, welche am 4. October die Yedobucht verliess.
Man nahm rasch hinter einander Hakodate und Matsumaye ein,
etablierte eine Art Republik, litt viel durch Hunger und Kälte, ver-
lor die besten Schiffe und ergab sich Ende Juni 1869.

Wir müssen hier noch einiger Ereignisse Erwähnung thun, welche
zwischen die Pacification des nördlichen Hondo und die Kämpfe auf
Yezo fallen. Am 6. November 1868 wurde die chronologische Periode
geändert und beschlossen, dass hinfort für die Regierungszeit eines
Mikado nur eine solche Periode (ein Nengô) gerechnet werde. Es
begann das erste Jahr Meiji *) (erleuchtete Regierung). Am 26. No-
vember verlegte der Mikado seine Residenz nach Yedo, das von nun
ab Tôkio (nach einer anderen Lesart Tôkei), Osthauptstadt, genannt
wurde, zum Unterschied von Saikio (Kiôto), der Westhauptstadt.
Bald darauf wurde er von den fremden Mächten anerkannt und em-
pfing deren Vertreter am 5. Januar 1869, reiste hierauf zu Lande
nach Kiôto, um die vorgeschriebenen Ahnenopfer zu bringen und sich
zu verheirathen. Auf der Rückreise drängten sich dem Zuge mehrere
Tausend Shimpei (freiwillige Leibgarde) als Begleiter auf, Leute,
welche aus verschiedenen Clanen stammten und nur durch gemein-
samen Fremdenhass sich zusammengefunden hatten. In Tôkio steckte
man sie ins Heer. Bald darauf ermordete man in Tôkio einen kaiser-
lichen Rath auf seinem Wege zum Schlosse, weil er im Verdacht
stand, »böse Meinungen zu bekennen«, d. h. dem Christenthume zu-
zuneigen. Die Rônin, welche diese That ausgeführt hatten, wurden
später ergriffen und exemplarisch bestraft. Insulte gegen Fremde
und deren Vertreter zwangen die Regierung zu einer Bekanntmachung,
wonach die alte Strassenordnung für Daimiozüge aufgehoben und der
Ruf »Shita-ni-iro« nicht mehr erlaubt wurde. Wie sehr man jedoch
im allgemeinen noch in den alten Anschauungen lebte, zeigte sich
auch in einer Versammlung von Edelleuten, welche kurze Zeit darauf
stattfand und bei der die Frage, ob nicht das Schwertertragen zu
beseitigen sei, von Allen verneint wurde und ein Antrag auf Ab-
schaffung des Harakiri nur geringe Unterstützung fand.

*) Mit Meiji beginnt für Japan die neue Zeit. Das 13. Jahr Meiji, in wel-
chem Japan jetzt lebt, ist zugleich das 13. seiner politischen Reconstruction unter
der Alleinherrschaft des Mikado Mutsuhito und des freundlichen Verkehrs mit
den christlichen Mächten.
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[418/0446] I. Geschichte des japanischen Volkes. zu Kämpfen zwischen Anhängern der Tokugawa und den Regierungs- truppen. Dorthin waren nach Einnahme von Aidzu und Nambu die Unversöhnlichen geflüchtet, darunter Ôtori Keiske, dorthin begab sich auch der Admiral Enomoto mit der aus acht Schiffen bestehenden Flotte des Ex-Shôgun, welche am 4. October die Yedobucht verliess. Man nahm rasch hinter einander Hakodate und Matsumaye ein, etablierte eine Art Republik, litt viel durch Hunger und Kälte, ver- lor die besten Schiffe und ergab sich Ende Juni 1869. Wir müssen hier noch einiger Ereignisse Erwähnung thun, welche zwischen die Pacification des nördlichen Hondo und die Kämpfe auf Yezo fallen. Am 6. November 1868 wurde die chronologische Periode geändert und beschlossen, dass hinfort für die Regierungszeit eines Mikado nur eine solche Periode (ein Nengô) gerechnet werde. Es begann das erste Jahr Meiji *) (erleuchtete Regierung). Am 26. No- vember verlegte der Mikado seine Residenz nach Yedo, das von nun ab Tôkio (nach einer anderen Lesart Tôkei), Osthauptstadt, genannt wurde, zum Unterschied von Saikio (Kiôto), der Westhauptstadt. Bald darauf wurde er von den fremden Mächten anerkannt und em- pfing deren Vertreter am 5. Januar 1869, reiste hierauf zu Lande nach Kiôto, um die vorgeschriebenen Ahnenopfer zu bringen und sich zu verheirathen. Auf der Rückreise drängten sich dem Zuge mehrere Tausend Shimpei (freiwillige Leibgarde) als Begleiter auf, Leute, welche aus verschiedenen Clanen stammten und nur durch gemein- samen Fremdenhass sich zusammengefunden hatten. In Tôkio steckte man sie ins Heer. Bald darauf ermordete man in Tôkio einen kaiser- lichen Rath auf seinem Wege zum Schlosse, weil er im Verdacht stand, »böse Meinungen zu bekennen«, d. h. dem Christenthume zu- zuneigen. Die Rônin, welche diese That ausgeführt hatten, wurden später ergriffen und exemplarisch bestraft. Insulte gegen Fremde und deren Vertreter zwangen die Regierung zu einer Bekanntmachung, wonach die alte Strassenordnung für Daimiozüge aufgehoben und der Ruf »Shita-ni-iro« nicht mehr erlaubt wurde. Wie sehr man jedoch im allgemeinen noch in den alten Anschauungen lebte, zeigte sich auch in einer Versammlung von Edelleuten, welche kurze Zeit darauf stattfand und bei der die Frage, ob nicht das Schwertertragen zu beseitigen sei, von Allen verneint wurde und ein Antrag auf Ab- schaffung des Harakiri nur geringe Unterstützung fand. *) Mit Meiji beginnt für Japan die neue Zeit. Das 13. Jahr Meiji, in wel- chem Japan jetzt lebt, ist zugleich das 13. seiner politischen Reconstruction unter der Alleinherrschaft des Mikado Mutsuhito und des freundlichen Verkehrs mit den christlichen Mächten.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/446>, abgerufen am 28.05.2024.