dürfen keine Sonn- und Festtage feiern, keine geistliche Gesänge und Gebete hören lassen, niemals den Namen Christi nennen; kein Bild des Kreuzes oder irgend ein äusseres Zeichen des Christenthums bei uns führen. Dabei müssen wir noch immer viel andere be- schimpfende Zumuthung ausstehen, die einem edelmüthigen Herzen allemal sehr empfindlich sind. Die einzige Ursache, welche die Hol- länder bewegt, alle diese Leiden so geduldig zu ertragen, ist blos die Liebe des Gewinnes und des kostbaren Marks der japanischen Gebirge".
Neben der japanischen Wache am Eingangsthor nach Deshima war auf einem grossen Anschlagbrette die Verordnung (Kinsatsu) in Betreff der Deshima-machi (Deshima-Strasse) zu lesen. Nach der- selben durften vom weiblichen Geschlechte nur Dirnen dieses Gebiet betreten, ferner von Priestern und Bonzen nur diejenigen des Koya- san, keine Bettler. Niemand sollte sich unter irgend welchem Vor- wande unterstehen, mit einem Boote innerhalb der Pallisaden oder unter die Brücke zu kommen; endlich sollte kein Holländer Deshima ohne triftige Gründe und ausserhalb der bestimmten Zeit verlassen.
Der Resident musste jährlich einmal nach Yedo reisen, um dem Shogun seine Huldigung und Geschenke zu überbringen. Zum Auf- bruch war der 15. oder 16. Tag vom ersten Monat des japanischen Jahres, d. h. der 4. oder 5. März bestimmt. Der Resident reiste dabei wie ein Daimio und gleich dem ihn begleitenden Bugiyo (Gou- verneur) in einer Sänfte (Norimono), die anderen höheren Beamten in Tragkörben (Kago) oder zu Pferde. Denselben begleiteten ge- wöhnlich sein holländischer Secretär und der Arzt der kleinen Colonie. Die Vorbereitungen zur Reise nahmen viel Zeit in Anspruch und er- folgten nach bestimmten Regeln. Der Zug selbst bestand aus 100-- 200 Personen, vornehmlich Trägern, dann auch aus verschiedenen japanischen Beamten, darunter Dolmetsch und Spione (och uppassare Thbg.). Thunberg, der diese Resan til Hofvet im Jahre 1776 als Arzt mitmachte, sowie Kaempfer, welcher zweimal (1691 und 1692) daran theilnahm, haben uns von derselben die ausführlichsten und interessantesten Schilderungen hinterlassen. Der Weg führte von Nagasaki zu Lande bis Kokura, dann über die Enge von Shimonoseki und nun den Sanyodo entlang nach Osaka und Miako (Kioto), end- lich von hier längs des Tokaido nach Yedo. Die Räume der Gast- häuser (Honjin, Yadoya), in welchen man abstieg, wurden verschlossen und bewacht, "um uns, wie sie sagen, vor Belästigung und Dieben zu hüten, eigentlich aber, wie Diebe und Ausreisser zu bewahren" (Kaempfer). Abgesehen jedoch von dieser lästigen Bewachung wurden
I. Geschichte des japanischen Volkes.
dürfen keine Sonn- und Festtage feiern, keine geistliche Gesänge und Gebete hören lassen, niemals den Namen Christi nennen; kein Bild des Kreuzes oder irgend ein äusseres Zeichen des Christenthums bei uns führen. Dabei müssen wir noch immer viel andere be- schimpfende Zumuthung ausstehen, die einem edelmüthigen Herzen allemal sehr empfindlich sind. Die einzige Ursache, welche die Hol- länder bewegt, alle diese Leiden so geduldig zu ertragen, ist blos die Liebe des Gewinnes und des kostbaren Marks der japanischen Gebirge«.
Neben der japanischen Wache am Eingangsthor nach Deshima war auf einem grossen Anschlagbrette die Verordnung (Kinsatsu) in Betreff der Deshima-machi (Deshima-Strasse) zu lesen. Nach der- selben durften vom weiblichen Geschlechte nur Dirnen dieses Gebiet betreten, ferner von Priestern und Bonzen nur diejenigen des Koya- san, keine Bettler. Niemand sollte sich unter irgend welchem Vor- wande unterstehen, mit einem Boote innerhalb der Pallisaden oder unter die Brücke zu kommen; endlich sollte kein Holländer Deshima ohne triftige Gründe und ausserhalb der bestimmten Zeit verlassen.
Der Resident musste jährlich einmal nach Yedo reisen, um dem Shôgun seine Huldigung und Geschenke zu überbringen. Zum Auf- bruch war der 15. oder 16. Tag vom ersten Monat des japanischen Jahres, d. h. der 4. oder 5. März bestimmt. Der Resident reiste dabei wie ein Daimio und gleich dem ihn begleitenden Bugiyô (Gou- verneur) in einer Sänfte (Norimono), die anderen höheren Beamten in Tragkörben (Kago) oder zu Pferde. Denselben begleiteten ge- wöhnlich sein holländischer Secretär und der Arzt der kleinen Colonie. Die Vorbereitungen zur Reise nahmen viel Zeit in Anspruch und er- folgten nach bestimmten Regeln. Der Zug selbst bestand aus 100— 200 Personen, vornehmlich Trägern, dann auch aus verschiedenen japanischen Beamten, darunter Dolmetsch und Spione (och uppassare Thbg.). Thunberg, der diese Resan til Hofvet im Jahre 1776 als Arzt mitmachte, sowie Kaempfer, welcher zweimal (1691 und 1692) daran theilnahm, haben uns von derselben die ausführlichsten und interessantesten Schilderungen hinterlassen. Der Weg führte von Nagasaki zu Lande bis Kokura, dann über die Enge von Shimonoseki und nun den Sanyôdô entlang nach Ôsaka und Miako (Kiôto), end- lich von hier längs des Tôkaidô nach Yedo. Die Räume der Gast- häuser (Honjin, Yadoya), in welchen man abstieg, wurden verschlossen und bewacht, »um uns, wie sie sagen, vor Belästigung und Dieben zu hüten, eigentlich aber, wie Diebe und Ausreisser zu bewahren« (Kaempfer). Abgesehen jedoch von dieser lästigen Bewachung wurden
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I. Geschichte des japanischen Volkes.
dürfen keine Sonn- und Festtage feiern, keine geistliche Gesänge
und Gebete hören lassen, niemals den Namen Christi nennen; kein
Bild des Kreuzes oder irgend ein äusseres Zeichen des Christenthums
bei uns führen. Dabei müssen wir noch immer viel andere be-
schimpfende Zumuthung ausstehen, die einem edelmüthigen Herzen
allemal sehr empfindlich sind. Die einzige Ursache, welche die Hol-
länder bewegt, alle diese Leiden so geduldig zu ertragen, ist blos
die Liebe des Gewinnes und des kostbaren Marks der japanischen
Gebirge«.
Neben der japanischen Wache am Eingangsthor nach Deshima
war auf einem grossen Anschlagbrette die Verordnung (Kinsatsu) in
Betreff der Deshima-machi (Deshima-Strasse) zu lesen. Nach der-
selben durften vom weiblichen Geschlechte nur Dirnen dieses Gebiet
betreten, ferner von Priestern und Bonzen nur diejenigen des Koya-
san, keine Bettler. Niemand sollte sich unter irgend welchem Vor-
wande unterstehen, mit einem Boote innerhalb der Pallisaden oder
unter die Brücke zu kommen; endlich sollte kein Holländer Deshima
ohne triftige Gründe und ausserhalb der bestimmten Zeit verlassen.
Der Resident musste jährlich einmal nach Yedo reisen, um dem
Shôgun seine Huldigung und Geschenke zu überbringen. Zum Auf-
bruch war der 15. oder 16. Tag vom ersten Monat des japanischen
Jahres, d. h. der 4. oder 5. März bestimmt. Der Resident reiste
dabei wie ein Daimio und gleich dem ihn begleitenden Bugiyô (Gou-
verneur) in einer Sänfte (Norimono), die anderen höheren Beamten
in Tragkörben (Kago) oder zu Pferde. Denselben begleiteten ge-
wöhnlich sein holländischer Secretär und der Arzt der kleinen Colonie.
Die Vorbereitungen zur Reise nahmen viel Zeit in Anspruch und er-
folgten nach bestimmten Regeln. Der Zug selbst bestand aus 100—
200 Personen, vornehmlich Trägern, dann auch aus verschiedenen
japanischen Beamten, darunter Dolmetsch und Spione (och uppassare
Thbg.). Thunberg, der diese Resan til Hofvet im Jahre 1776 als
Arzt mitmachte, sowie Kaempfer, welcher zweimal (1691 und 1692)
daran theilnahm, haben uns von derselben die ausführlichsten und
interessantesten Schilderungen hinterlassen. Der Weg führte von
Nagasaki zu Lande bis Kokura, dann über die Enge von Shimonoseki
und nun den Sanyôdô entlang nach Ôsaka und Miako (Kiôto), end-
lich von hier längs des Tôkaidô nach Yedo. Die Räume der Gast-
häuser (Honjin, Yadoya), in welchen man abstieg, wurden verschlossen
und bewacht, »um uns, wie sie sagen, vor Belästigung und Dieben
zu hüten, eigentlich aber, wie Diebe und Ausreisser zu bewahren«
(Kaempfer). Abgesehen jedoch von dieser lästigen Bewachung wurden
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/416>, abgerufen am 22.11.2024.
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