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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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4. Periode. Das Shogunat der Ashikaga vom Falle der Hojo etc.
nicht sowohl ein Tribut, als vielmehr eine Entschädigung gewesen
sei für die Verluste, welche japanische Seeräuber den chinesischen
Küsten zugefügt hatten.

In Kioto entfaltete Yoshimitsu grossen Glanz. Die beiden Tempel
Kinkakuji und Ginkakuji (Gold- und Silberhaus) in der Nähe der
Stadt, welche ihrer Gartenanlagen wegen zu den grossen Sehens-
würdigkeiten der südlichen Hauptstadt gerechnet werden, verdanken
ihm ihren Ruf.

Bald nach dem Tode des Yoshimitsu gab es neue Zerwürfnisse
mancherlei Art, nicht bloss wegen der Erbfolge in der Kaiserwürde
und dem Shogunat, sondern auch unter den grossen Vasallen des
Landes, durch welche weitere anderthalb hundert Jahre hindurch das
Land verwüstet wurde. Viele Vasallen waren übermächtig geworden
und kümmerten sich wenig um Kaiser und Reich, oder nur dann,
wenn ihre eigenen Interessen mit ins Spiel kamen. Ihre Fehden
unter einander nahmen kein Ende. So führten beispielsweise die
mächtigen Häuser Takeda von Koshiu und Uyesugi von Echizen
viele Jahre hindurch Krieg mit einander. Es war dies ein alljähr-
lich wiederkehrendes Sommervergnügen für Takeda-Shingen, bei dem
es sogar ganz ritterlich und commentmässig herging. Die meisten
bedeutenden Daimio (grosse Namen) der Folgezeit, wie die Shimadzu,
Hosokawa, Otomo, Mori, Tokugawa, Hojo (von Odawara), Takeda,
Maeda, Satake, Ota etc. legten in ihr den Grund zu ihrer Herrschaft,
oder erweiterten und befestigten dieselbe. Ihre Vasallen, die Kerai
oder Samuraiklasse, fühlten sich nur noch in ihren Beziehungen zum
nächsten Lehnsherrn, dem sie blindlings folgten, ob es galt für oder
gegen den Mikado das Schwert zu ziehen*).

Wie gross der materielle Ruin des Landes und wie gesunken das
Ansehen des Mikado in der letzten Hälfte dieser Periode waren, beweist
auch die Thatsache, dass, als im Jahre 1500 Go-Tsuchi-Tenno,
der 102. Mikado, in Kioto starb, sein Leichnam 40 Tage lang an
den Thoren des Schlosses aufbewahrt werden musste, weil es an den
nöthigen Mitteln fehlte, die Kosten der vorschriftsmässigen Beerdigung
zu bestreiten. M. v. Brandt, welcher dieses interessante Factum
erwähnt**), weist sehr passend darauf hin, dass es in die Zeit fällt,

*) Die Analogie mit den mittelalterlichen Zuständen in unserer deutschen
Heimath tritt allenthalben hervor und liesse sich auch auf das religiöse Gebiet
verfolgen.
**) M. von Brandt: The discovery of Japan and the introduction of
Christianity. Mittheilungen der Deutschen Ostasiat. Gesellschaft etc., Heft 5,
pag. 28 etc.

4. Periode. Das Shôgunat der Ashikaga vom Falle der Hôjô etc.
nicht sowohl ein Tribut, als vielmehr eine Entschädigung gewesen
sei für die Verluste, welche japanische Seeräuber den chinesischen
Küsten zugefügt hatten.

In Kiôto entfaltete Yoshimitsu grossen Glanz. Die beiden Tempel
Kinkakuji und Ginkakuji (Gold- und Silberhaus) in der Nähe der
Stadt, welche ihrer Gartenanlagen wegen zu den grossen Sehens-
würdigkeiten der südlichen Hauptstadt gerechnet werden, verdanken
ihm ihren Ruf.

Bald nach dem Tode des Yoshimitsu gab es neue Zerwürfnisse
mancherlei Art, nicht bloss wegen der Erbfolge in der Kaiserwürde
und dem Shôgunat, sondern auch unter den grossen Vasallen des
Landes, durch welche weitere anderthalb hundert Jahre hindurch das
Land verwüstet wurde. Viele Vasallen waren übermächtig geworden
und kümmerten sich wenig um Kaiser und Reich, oder nur dann,
wenn ihre eigenen Interessen mit ins Spiel kamen. Ihre Fehden
unter einander nahmen kein Ende. So führten beispielsweise die
mächtigen Häuser Takeda von Kôshiu und Uyesugi von Echizen
viele Jahre hindurch Krieg mit einander. Es war dies ein alljähr-
lich wiederkehrendes Sommervergnügen für Takeda-Shingen, bei dem
es sogar ganz ritterlich und commentmässig herging. Die meisten
bedeutenden Daimio (grosse Namen) der Folgezeit, wie die Shimadzu,
Hosokawa, Ôtomo, Môri, Tokugawa, Hôjô (von Odawara), Takeda,
Maëda, Satake, Ota etc. legten in ihr den Grund zu ihrer Herrschaft,
oder erweiterten und befestigten dieselbe. Ihre Vasallen, die Kerai
oder Samuraiklasse, fühlten sich nur noch in ihren Beziehungen zum
nächsten Lehnsherrn, dem sie blindlings folgten, ob es galt für oder
gegen den Mikado das Schwert zu ziehen*).

Wie gross der materielle Ruin des Landes und wie gesunken das
Ansehen des Mikado in der letzten Hälfte dieser Periode waren, beweist
auch die Thatsache, dass, als im Jahre 1500 Go-Tsuchi-Tennô,
der 102. Mikado, in Kiôto starb, sein Leichnam 40 Tage lang an
den Thoren des Schlosses aufbewahrt werden musste, weil es an den
nöthigen Mitteln fehlte, die Kosten der vorschriftsmässigen Beerdigung
zu bestreiten. M. v. Brandt, welcher dieses interessante Factum
erwähnt**), weist sehr passend darauf hin, dass es in die Zeit fällt,

*) Die Analogie mit den mittelalterlichen Zuständen in unserer deutschen
Heimath tritt allenthalben hervor und liesse sich auch auf das religiöse Gebiet
verfolgen.
**) M. von Brandt: The discovery of Japan and the introduction of
Christianity. Mittheilungen der Deutschen Ostasiat. Gesellschaft etc., Heft 5,
pag. 28 etc.
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[299/0325] 4. Periode. Das Shôgunat der Ashikaga vom Falle der Hôjô etc. nicht sowohl ein Tribut, als vielmehr eine Entschädigung gewesen sei für die Verluste, welche japanische Seeräuber den chinesischen Küsten zugefügt hatten. In Kiôto entfaltete Yoshimitsu grossen Glanz. Die beiden Tempel Kinkakuji und Ginkakuji (Gold- und Silberhaus) in der Nähe der Stadt, welche ihrer Gartenanlagen wegen zu den grossen Sehens- würdigkeiten der südlichen Hauptstadt gerechnet werden, verdanken ihm ihren Ruf. Bald nach dem Tode des Yoshimitsu gab es neue Zerwürfnisse mancherlei Art, nicht bloss wegen der Erbfolge in der Kaiserwürde und dem Shôgunat, sondern auch unter den grossen Vasallen des Landes, durch welche weitere anderthalb hundert Jahre hindurch das Land verwüstet wurde. Viele Vasallen waren übermächtig geworden und kümmerten sich wenig um Kaiser und Reich, oder nur dann, wenn ihre eigenen Interessen mit ins Spiel kamen. Ihre Fehden unter einander nahmen kein Ende. So führten beispielsweise die mächtigen Häuser Takeda von Kôshiu und Uyesugi von Echizen viele Jahre hindurch Krieg mit einander. Es war dies ein alljähr- lich wiederkehrendes Sommervergnügen für Takeda-Shingen, bei dem es sogar ganz ritterlich und commentmässig herging. Die meisten bedeutenden Daimio (grosse Namen) der Folgezeit, wie die Shimadzu, Hosokawa, Ôtomo, Môri, Tokugawa, Hôjô (von Odawara), Takeda, Maëda, Satake, Ota etc. legten in ihr den Grund zu ihrer Herrschaft, oder erweiterten und befestigten dieselbe. Ihre Vasallen, die Kerai oder Samuraiklasse, fühlten sich nur noch in ihren Beziehungen zum nächsten Lehnsherrn, dem sie blindlings folgten, ob es galt für oder gegen den Mikado das Schwert zu ziehen *). Wie gross der materielle Ruin des Landes und wie gesunken das Ansehen des Mikado in der letzten Hälfte dieser Periode waren, beweist auch die Thatsache, dass, als im Jahre 1500 Go-Tsuchi-Tennô, der 102. Mikado, in Kiôto starb, sein Leichnam 40 Tage lang an den Thoren des Schlosses aufbewahrt werden musste, weil es an den nöthigen Mitteln fehlte, die Kosten der vorschriftsmässigen Beerdigung zu bestreiten. M. v. Brandt, welcher dieses interessante Factum erwähnt **), weist sehr passend darauf hin, dass es in die Zeit fällt, *) Die Analogie mit den mittelalterlichen Zuständen in unserer deutschen Heimath tritt allenthalben hervor und liesse sich auch auf das religiöse Gebiet verfolgen. **) M. von Brandt: The discovery of Japan and the introduction of Christianity. Mittheilungen der Deutschen Ostasiat. Gesellschaft etc., Heft 5, pag. 28 etc.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/325>, abgerufen am 19.06.2024.