allmählich statt. Auf der Insel Amakusa und im benachbarten Kiushiu waren die meisten blattwechselnden Holzgewächse in der zweiten Hälfte des April wieder neu belaubt; Rhus succedanea L. und Casta- nea vulgaris Lamk. hatten ihre jungen Blätter zum Theil entwickelt, und nur die Albizzia Julibrissin Bow. (Mimosa arborea Thbg.) zeigte noch ihr unverändert winterliches Ansehen, ja noch einen Monat später, Mitte Mai, fanden wir diesen kleinen Baum in den Bergwaldungen der Insel Shikoku in etwa 800 Meter Höhe völlig blattlos, so dass sein japanischer Name "Nemu, Schläfer" nicht blos wegen der Reiz- barkeit seiner Blätter und des Schlafens während der Nachtzeit auf ihn passt.
Aber im südlichen Japan gibt es ausser dem allmählichen Ueber- gang der zwei extremen Jahreszeiten in einander noch einen anderen Grund, wesshalb der Sommeranfang nicht besonders überrascht. Die blattwechselnden Gehölze der Waldungen und Haine sind hier näm- lich mit immergrünen zu sehr vermischt, als dass ihre neue Belau- bung besonders auffallen könnte. Dazu kommt, dass die winter- grünen Bäume und Sträucher, einschliesslich des Bambusrohres, um diese Zeit eine Art Mauser durchmachen. Ihre alten Blätter haben den gewohnten Glanz verloren, sterben ab und weichen jungen, die erst hellgrün, wie beim Kampferbaume, oder weisslich und röthlich, wie bei verschiedenen immergrünen Eichen, nur allmählich in tiefes, glänzendes Dunkelgrün übergehen.
Anfang Mai, wenn die Felder mit Sommerfrüchten bestellt werden und aus dem neubelaubten Gebüsch der flötende Gesang der Unguisu (Ficedula coronata) ertönt, ist der volle Sommer da, und nun beginnt unter einer kräftigen Insolation, gepaart mit reichen, häufigen Regen- güssen, die Vegetation jene Mannigfaltigkeit und Fülle zu entwickeln, die an die Tropen erinnert und im Mittelmeergebiet nirgends zu finden ist. Diesen warmen, befruchtenden Sommerregen verdankt Japan sein reiches Pflanzenkleid und die Möglichkeit, auf demselben Felde zweimal im Jahre ernten zu können.
B. Formationen und Regionen der Vegetation.
Obgleich die vier grossen Inseln Kiushiu, Shikoku, Honshiu und Yezo und dazu noch das südliche Sachalin sich ihrer Lage und ihrem wesentlichen Pflanzencharakter nach innig an einander anschliessen, so bilden sie doch, wie genügend gezeigt wurde, weder klimatisch,
VII. Die Flora der japanischen Inseln.
allmählich statt. Auf der Insel Amakusa und im benachbarten Kiushiu waren die meisten blattwechselnden Holzgewächse in der zweiten Hälfte des April wieder neu belaubt; Rhus succedanea L. und Casta- nea vulgaris Lamk. hatten ihre jungen Blätter zum Theil entwickelt, und nur die Albizzia Julibrissin Bow. (Mimosa arborea Thbg.) zeigte noch ihr unverändert winterliches Ansehen, ja noch einen Monat später, Mitte Mai, fanden wir diesen kleinen Baum in den Bergwaldungen der Insel Shikoku in etwa 800 Meter Höhe völlig blattlos, so dass sein japanischer Name »Nemu, Schläfer« nicht blos wegen der Reiz- barkeit seiner Blätter und des Schlafens während der Nachtzeit auf ihn passt.
Aber im südlichen Japan gibt es ausser dem allmählichen Ueber- gang der zwei extremen Jahreszeiten in einander noch einen anderen Grund, wesshalb der Sommeranfang nicht besonders überrascht. Die blattwechselnden Gehölze der Waldungen und Haine sind hier näm- lich mit immergrünen zu sehr vermischt, als dass ihre neue Belau- bung besonders auffallen könnte. Dazu kommt, dass die winter- grünen Bäume und Sträucher, einschliesslich des Bambusrohres, um diese Zeit eine Art Mauser durchmachen. Ihre alten Blätter haben den gewohnten Glanz verloren, sterben ab und weichen jungen, die erst hellgrün, wie beim Kampferbaume, oder weisslich und röthlich, wie bei verschiedenen immergrünen Eichen, nur allmählich in tiefes, glänzendes Dunkelgrün übergehen.
Anfang Mai, wenn die Felder mit Sommerfrüchten bestellt werden und aus dem neubelaubten Gebüsch der flötende Gesang der Unguisu (Ficedula coronata) ertönt, ist der volle Sommer da, und nun beginnt unter einer kräftigen Insolation, gepaart mit reichen, häufigen Regen- güssen, die Vegetation jene Mannigfaltigkeit und Fülle zu entwickeln, die an die Tropen erinnert und im Mittelmeergebiet nirgends zu finden ist. Diesen warmen, befruchtenden Sommerregen verdankt Japan sein reiches Pflanzenkleid und die Möglichkeit, auf demselben Felde zweimal im Jahre ernten zu können.
B. Formationen und Regionen der Vegetation.
Obgleich die vier grossen Inseln Kiushiu, Shikoku, Honshiu und Yezo und dazu noch das südliche Sachalin sich ihrer Lage und ihrem wesentlichen Pflanzencharakter nach innig an einander anschliessen, so bilden sie doch, wie genügend gezeigt wurde, weder klimatisch,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0180"n="158"/><fwplace="top"type="header">VII. Die Flora der japanischen Inseln.</fw><lb/>
allmählich statt. Auf der Insel Amakusa und im benachbarten Kiushiu<lb/>
waren die meisten blattwechselnden Holzgewächse in der zweiten<lb/>
Hälfte des April wieder neu belaubt; Rhus succedanea L. und Casta-<lb/>
nea vulgaris Lamk. hatten ihre jungen Blätter zum Theil entwickelt,<lb/>
und nur die Albizzia Julibrissin Bow. (Mimosa arborea Thbg.) zeigte<lb/>
noch ihr unverändert winterliches Ansehen, ja noch einen Monat später,<lb/>
Mitte Mai, fanden wir diesen kleinen Baum in den Bergwaldungen<lb/>
der Insel Shikoku in etwa 800 Meter Höhe völlig blattlos, so dass<lb/>
sein japanischer Name »Nemu, Schläfer« nicht blos wegen der Reiz-<lb/>
barkeit seiner Blätter und des Schlafens während der Nachtzeit auf<lb/>
ihn passt.</p><lb/><p>Aber im südlichen Japan gibt es ausser dem allmählichen Ueber-<lb/>
gang der zwei extremen Jahreszeiten in einander noch einen anderen<lb/>
Grund, wesshalb der Sommeranfang nicht besonders überrascht. Die<lb/>
blattwechselnden Gehölze der Waldungen und Haine sind hier näm-<lb/>
lich mit immergrünen zu sehr vermischt, als dass ihre neue Belau-<lb/>
bung besonders auffallen könnte. Dazu kommt, dass die winter-<lb/>
grünen Bäume und Sträucher, einschliesslich des Bambusrohres, um<lb/>
diese Zeit eine Art Mauser durchmachen. Ihre alten Blätter haben<lb/>
den gewohnten Glanz verloren, sterben ab und weichen jungen, die<lb/>
erst hellgrün, wie beim Kampferbaume, oder weisslich und röthlich,<lb/>
wie bei verschiedenen immergrünen Eichen, nur allmählich in tiefes,<lb/>
glänzendes Dunkelgrün übergehen.</p><lb/><p>Anfang Mai, wenn die Felder mit Sommerfrüchten bestellt werden<lb/>
und aus dem neubelaubten Gebüsch der flötende Gesang der Unguisu<lb/>
(Ficedula coronata) ertönt, ist der volle Sommer da, und nun beginnt<lb/>
unter einer kräftigen Insolation, gepaart mit reichen, häufigen Regen-<lb/>
güssen, die Vegetation jene Mannigfaltigkeit und Fülle zu entwickeln,<lb/>
die an die Tropen erinnert und im Mittelmeergebiet nirgends zu finden<lb/>
ist. Diesen warmen, befruchtenden Sommerregen verdankt Japan<lb/>
sein reiches Pflanzenkleid und die Möglichkeit, auf demselben Felde<lb/>
zweimal im Jahre ernten zu können.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><head>B. Formationen und Regionen der Vegetation.</head><lb/><p>Obgleich die vier grossen Inseln Kiushiu, Shikoku, Honshiu und<lb/>
Yezo und dazu noch das südliche Sachalin sich ihrer Lage und ihrem<lb/>
wesentlichen Pflanzencharakter nach innig an einander anschliessen,<lb/>
so bilden sie doch, wie genügend gezeigt wurde, weder klimatisch,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[158/0180]
VII. Die Flora der japanischen Inseln.
allmählich statt. Auf der Insel Amakusa und im benachbarten Kiushiu
waren die meisten blattwechselnden Holzgewächse in der zweiten
Hälfte des April wieder neu belaubt; Rhus succedanea L. und Casta-
nea vulgaris Lamk. hatten ihre jungen Blätter zum Theil entwickelt,
und nur die Albizzia Julibrissin Bow. (Mimosa arborea Thbg.) zeigte
noch ihr unverändert winterliches Ansehen, ja noch einen Monat später,
Mitte Mai, fanden wir diesen kleinen Baum in den Bergwaldungen
der Insel Shikoku in etwa 800 Meter Höhe völlig blattlos, so dass
sein japanischer Name »Nemu, Schläfer« nicht blos wegen der Reiz-
barkeit seiner Blätter und des Schlafens während der Nachtzeit auf
ihn passt.
Aber im südlichen Japan gibt es ausser dem allmählichen Ueber-
gang der zwei extremen Jahreszeiten in einander noch einen anderen
Grund, wesshalb der Sommeranfang nicht besonders überrascht. Die
blattwechselnden Gehölze der Waldungen und Haine sind hier näm-
lich mit immergrünen zu sehr vermischt, als dass ihre neue Belau-
bung besonders auffallen könnte. Dazu kommt, dass die winter-
grünen Bäume und Sträucher, einschliesslich des Bambusrohres, um
diese Zeit eine Art Mauser durchmachen. Ihre alten Blätter haben
den gewohnten Glanz verloren, sterben ab und weichen jungen, die
erst hellgrün, wie beim Kampferbaume, oder weisslich und röthlich,
wie bei verschiedenen immergrünen Eichen, nur allmählich in tiefes,
glänzendes Dunkelgrün übergehen.
Anfang Mai, wenn die Felder mit Sommerfrüchten bestellt werden
und aus dem neubelaubten Gebüsch der flötende Gesang der Unguisu
(Ficedula coronata) ertönt, ist der volle Sommer da, und nun beginnt
unter einer kräftigen Insolation, gepaart mit reichen, häufigen Regen-
güssen, die Vegetation jene Mannigfaltigkeit und Fülle zu entwickeln,
die an die Tropen erinnert und im Mittelmeergebiet nirgends zu finden
ist. Diesen warmen, befruchtenden Sommerregen verdankt Japan
sein reiches Pflanzenkleid und die Möglichkeit, auf demselben Felde
zweimal im Jahre ernten zu können.
B. Formationen und Regionen der Vegetation.
Obgleich die vier grossen Inseln Kiushiu, Shikoku, Honshiu und
Yezo und dazu noch das südliche Sachalin sich ihrer Lage und ihrem
wesentlichen Pflanzencharakter nach innig an einander anschliessen,
so bilden sie doch, wie genügend gezeigt wurde, weder klimatisch,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/180>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.