den lassen. Ein Jesuit predigte im Schlaf mit grosser Lebhaftigkeit, trug die geistreichsten Sa- chen vor, und klärte dunkele Gegenstände mit so vielem Scharfsinn auf, dass des Nachts sich viele Personen um sein Bette versammleten, um von seiner Gelehrsamkeit Nutzen zu schöpfen *).
Das Selbstbewusstseyn kann in Ansehung der Subjektivität und der eignen Per- sönlichkeit erkranken. Schlafen wir in ei- nem Zimmer, in welchem eine Wanduhr hängt, ohne daran gewöhnt zu seyn, so hören wir beim Erwachen ihre Schläge, zählen sie wol gar, ohne zu wissen, dass wir es sind, die zählen, und dass es eine Wanduhr ist, die diesen abgemessenen Ton verursacht. Wir haben zwey klare Ideen, die eines tönenden Körpers, die andere eines Wesens, das zählt, ohne im Stande zu seyn, die äusseren Eindrücke in ein richtiges Verhältniss mit unserer Person zu stellen. In Anwandelun- gen der Schwäche weiss der Mensch, dass ge- handelt wird, aber es dringt sich ihm nicht un- gesucht auf, dass er es sey, der handle, sehe, höre, rede. Er muss durch Versuche und Schlüsse gleichsam erst seine Existenz und die Art derselben ausmitteln. Wenn jemanden im Vor- trage der Schlaf überfällt, so hört er sich gleich- sam als einer dritten Person zu, und beurtheilt
*)Meiers Versuch einer Erklärung des Nacht- wandlens, Halle 1758, S. 9. 10.
den laſſen. Ein Jeſuit predigte im Schlaf mit groſser Lebhaftigkeit, trug die geiſtreichſten Sa- chen vor, und klärte dunkele Gegenſtände mit ſo vielem Scharfſinn auf, daſs des Nachts ſich viele Perſonen um ſein Bette verſammleten, um von ſeiner Gelehrſamkeit Nutzen zu ſchöpfen *).
Das Selbſtbewuſstſeyn kann in Anſehung der Subjektivität und der eignen Per- ſönlichkeit erkranken. Schlafen wir in ei- nem Zimmer, in welchem eine Wanduhr hängt, ohne daran gewöhnt zu ſeyn, ſo hören wir beim Erwachen ihre Schläge, zählen ſie wol gar, ohne zu wiſſen, daſs wir es ſind, die zählen, und daſs es eine Wanduhr iſt, die dieſen abgemeſſenen Ton verurſacht. Wir haben zwey klare Ideen, die eines tönenden Körpers, die andere eines Weſens, das zählt, ohne im Stande zu ſeyn, die äuſseren Eindrücke in ein richtiges Verhältniſs mit unſerer Perſon zu ſtellen. In Anwandelun- gen der Schwäche weiſs der Menſch, daſs ge- handelt wird, aber es dringt ſich ihm nicht un- geſucht auf, daſs er es ſey, der handle, ſehe, höre, rede. Er muſs durch Verſuche und Schlüſſe gleichſam erſt ſeine Exiſtenz und die Art derſelben ausmitteln. Wenn jemanden im Vor- trage der Schlaf überfällt, ſo hört er ſich gleich- ſam als einer dritten Perſon zu, und beurtheilt
*)Meiers Verſuch einer Erklärung des Nacht- wandlens, Halle 1758, S. 9. 10.
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den laſſen. Ein Jeſuit predigte im Schlaf mit
groſser Lebhaftigkeit, trug die geiſtreichſten Sa-
chen vor, und klärte dunkele Gegenſtände mit
ſo vielem Scharfſinn auf, daſs des Nachts ſich
viele Perſonen um ſein Bette verſammleten, um
von ſeiner Gelehrſamkeit Nutzen zu ſchöpfen *).
Das Selbſtbewuſstſeyn kann in Anſehung
der Subjektivität und der eignen Per-
ſönlichkeit erkranken. Schlafen wir in ei-
nem Zimmer, in welchem eine Wanduhr hängt,
ohne daran gewöhnt zu ſeyn, ſo hören wir beim
Erwachen ihre Schläge, zählen ſie wol gar, ohne
zu wiſſen, daſs wir es ſind, die zählen, und daſs
es eine Wanduhr iſt, die dieſen abgemeſſenen
Ton verurſacht. Wir haben zwey klare Ideen,
die eines tönenden Körpers, die andere eines
Weſens, das zählt, ohne im Stande zu ſeyn, die
äuſseren Eindrücke in ein richtiges Verhältniſs
mit unſerer Perſon zu ſtellen. In Anwandelun-
gen der Schwäche weiſs der Menſch, daſs ge-
handelt wird, aber es dringt ſich ihm nicht un-
geſucht auf, daſs er es ſey, der handle, ſehe,
höre, rede. Er muſs durch Verſuche und
Schlüſſe gleichſam erſt ſeine Exiſtenz und die Art
derſelben ausmitteln. Wenn jemanden im Vor-
trage der Schlaf überfällt, ſo hört er ſich gleich-
ſam als einer dritten Perſon zu, und beurtheilt
*) Meiers Verſuch einer Erklärung des Nacht-
wandlens, Halle 1758, S. 9. 10.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/73>, abgerufen am 26.11.2024.
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