mittheilen. Diese Heerde stehn zwar in der Regel, mit dem Gehirn in Gemeinschaft; aber durch Krankheiten können sie von demsel- ben abspringen und als Rebellen-Oberhäupter ihre eigenen Züge, unabhängig von dem Gehirne, leiten. Es giebt Thiere, in deren Nervensystem bloss solche abgesonderte Heerde sind, von wel- chen keiner vor dem andern einen Vorzug hat, und welche nirgends in einem gemeinschaftlichen Brennpunkt gesammlet werden. Diese Thiere kann man gleichsam als Multiplikate mehrerer, aneinandergereihter, und zwar so vieler Thiere betrachten, als Nervenheerde, von gleicher Dig- nität, in ihnen vorhanden sind. An einigen, z. B. den Bandwürmern, ist diese Vervielfältigung der Individualität sogar auf ihrer Oberfläche sichtbar.
So lange der Mensch gesund ist, sammlet das Nervensystem seine durch die ganze Organisa- tion ausgestreckten Glieder in einem Mittelpunkt. Dadurch wird das Mannichfaltige zur Einheit verknüpft. Allein die Angel der Verknüpfung kann abgezogen werden. Das Ganze wird dann in seine Theile aufgelöst, jedes Getriebe wirkt für sich, oder tritt mit einem anderen, ausser- halb des gemeinschaftlichen Brennpunkts, in eine falsche Verbindung. Der Körper gleicht einer Orgel; bald spielen diese bald jene Theile zusam- men, wie die Register gezogen sind. Es werden gleichsam Provinzen abtrünnig, man verzeihe mir diese bildliche Sprache, die man in der Psy-
mittheilen. Dieſe Heerde ſtehn zwar in der Regel, mit dem Gehirn in Gemeinſchaft; aber durch Krankheiten können ſie von demſel- ben abſpringen und als Rebellen-Oberhäupter ihre eigenen Züge, unabhängig von dem Gehirne, leiten. Es giebt Thiere, in deren Nervenſyſtem bloſs ſolche abgeſonderte Heerde ſind, von wel- chen keiner vor dem andern einen Vorzug hat, und welche nirgends in einem gemeinſchaftlichen Brennpunkt geſammlet werden. Dieſe Thiere kann man gleichſam als Multiplikate mehrerer, aneinandergereihter, und zwar ſo vieler Thiere betrachten, als Nervenheerde, von gleicher Dig- nität, in ihnen vorhanden ſind. An einigen, z. B. den Bandwürmern, iſt dieſe Vervielfältigung der Individualität ſogar auf ihrer Oberfläche ſichtbar.
So lange der Menſch geſund iſt, ſammlet das Nervenſyſtem ſeine durch die ganze Organiſa- tion ausgeſtreckten Glieder in einem Mittelpunkt. Dadurch wird das Mannichfaltige zur Einheit verknüpft. Allein die Angel der Verknüpfung kann abgezogen werden. Das Ganze wird dann in ſeine Theile aufgelöſt, jedes Getriebe wirkt für ſich, oder tritt mit einem anderen, auſser- halb des gemeinſchaftlichen Brennpunkts, in eine falſche Verbindung. Der Körper gleicht einer Orgel; bald ſpielen dieſe bald jene Theile zuſam- men, wie die Regiſter gezogen ſind. Es werden gleichſam Provinzen abtrünnig, man verzeihe mir dieſe bildliche Sprache, die man in der Pſy-
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mittheilen. Dieſe Heerde ſtehn zwar in der
Regel, mit dem Gehirn in Gemeinſchaft; aber
durch Krankheiten können ſie von demſel-
ben abſpringen und als Rebellen-Oberhäupter
ihre eigenen Züge, unabhängig von dem Gehirne,
leiten. Es giebt Thiere, in deren Nervenſyſtem
bloſs ſolche abgeſonderte Heerde ſind, von wel-
chen keiner vor dem andern einen Vorzug hat,
und welche nirgends in einem gemeinſchaftlichen
Brennpunkt geſammlet werden. Dieſe Thiere
kann man gleichſam als Multiplikate mehrerer,
aneinandergereihter, und zwar ſo vieler Thiere
betrachten, als Nervenheerde, von gleicher Dig-
nität, in ihnen vorhanden ſind. An einigen, z. B.
den Bandwürmern, iſt dieſe Vervielfältigung der
Individualität ſogar auf ihrer Oberfläche ſichtbar.
So lange der Menſch geſund iſt, ſammlet das
Nervenſyſtem ſeine durch die ganze Organiſa-
tion ausgeſtreckten Glieder in einem Mittelpunkt.
Dadurch wird das Mannichfaltige zur Einheit
verknüpft. Allein die Angel der Verknüpfung
kann abgezogen werden. Das Ganze wird dann
in ſeine Theile aufgelöſt, jedes Getriebe wirkt
für ſich, oder tritt mit einem anderen, auſser-
halb des gemeinſchaftlichen Brennpunkts, in eine
falſche Verbindung. Der Körper gleicht einer
Orgel; bald ſpielen dieſe bald jene Theile zuſam-
men, wie die Regiſter gezogen ſind. Es werden
gleichſam Provinzen abtrünnig, man verzeihe
mir dieſe bildliche Sprache, die man in der Pſy-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/68>, abgerufen am 26.11.2024.
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