ihr Körper durchs Gemeingefühl krank angekün- diget: so ruft sie augenblicklich ihr Verhältniss zu demselben in Selbstbewusstseyn vor. Zwar sind wir uns in dem gewöhnlichen Geschäfftsgang nicht aller Bestimmungen unserer Person klar be- wusst, um die Kraft nicht auf zu viele Punkte zu zerstreuen. Allein wir haben es doch in unse- rer Gewalt, durch Hülfe der Besonnenheit augen- blicklich alle, oder doch solche persönliche Ver- hältnisse zur Klarkeit zu erheben, die mit unse- rem gegenwärtigen Interesse in der nächsten Bezie- hung stehn. Wir denken uns unsere Eigenschaf- ten, Grundsätze, Maximen, die Metamorphosen unseres Körpers und der Seele, die wir während unsers Lebens bis auf den gegenwärtigen Augen- blick durchlaufen sind, und denken wahr, wenn uns in der That alles dies zukömmt, was wir für das Unsrige halten und in der Synthesis des Be- wusstseyns mit unserer Person verbinden. Das Kind schaut auch an, es schaut sich und die Welt an, aber ohne Verknüpfung. Seine Ideen treiben losgebunden vorüber, wie die Bilder in einem Bach. Es spielt mit seinen eignen Gliedern, wie mit einem fremden Tand. Es fühlt etwas, nemlich sich, es fühlt sich mit Lust oder Unlust, die es zum Lachen oder Weinen reitzen. Aber es weiss es nicht, dass es die Person ist, die die Welt vorstellt und durch sein eignes Selbst angenehm oder unan- genehm afficirt wird. Erst spät er wacht es aus die- sem Zustand der Ungebundenheit und lernt das
ihr Körper durchs Gemeingefühl krank angekün- diget: ſo ruft ſie augenblicklich ihr Verhältniſs zu demſelben in Selbſtbewuſstſeyn vor. Zwar ſind wir uns in dem gewöhnlichen Geſchäfftsgang nicht aller Beſtimmungen unſerer Perſon klar be- wuſst, um die Kraft nicht auf zu viele Punkte zu zerſtreuen. Allein wir haben es doch in unſe- rer Gewalt, durch Hülfe der Beſonnenheit augen- blicklich alle, oder doch ſolche perſönliche Ver- hältniſſe zur Klarkeit zu erheben, die mit unſe- rem gegenwärtigen Intereſſe in der nächſten Bezie- hung ſtehn. Wir denken uns unſere Eigenſchaf- ten, Grundſätze, Maximen, die Metamorphoſen unſeres Körpers und der Seele, die wir während unſers Lebens bis auf den gegenwärtigen Augen- blick durchlaufen ſind, und denken wahr, wenn uns in der That alles dies zukömmt, was wir für das Unſrige halten und in der Syntheſis des Be- wuſstſeyns mit unſerer Perſon verbinden. Das Kind ſchaut auch an, es ſchaut ſich und die Welt an, aber ohne Verknüpfung. Seine Ideen treiben losgebunden vorüber, wie die Bilder in einem Bach. Es ſpielt mit ſeinen eignen Gliedern, wie mit einem fremden Tand. Es fühlt etwas, nemlich ſich, es fühlt ſich mit Luſt oder Unluſt, die es zum Lachen oder Weinen reitzen. Aber es weiſs es nicht, daſs es die Perſon iſt, die die Welt vorſtellt und durch ſein eignes Selbſt angenehm oder unan- genehm afficirt wird. Erſt ſpät er wacht es aus die- ſem Zuſtand der Ungebundenheit und lernt das
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0062"n="57"/>
ihr Körper durchs Gemeingefühl krank angekün-<lb/>
diget: ſo ruft ſie augenblicklich ihr Verhältniſs<lb/>
zu demſelben in Selbſtbewuſstſeyn vor. Zwar<lb/>ſind wir uns in dem gewöhnlichen Geſchäfftsgang<lb/>
nicht aller Beſtimmungen unſerer Perſon klar be-<lb/>
wuſst, um die Kraft nicht auf zu viele Punkte<lb/>
zu zerſtreuen. Allein wir haben es doch in unſe-<lb/>
rer Gewalt, durch Hülfe der Beſonnenheit augen-<lb/>
blicklich alle, oder doch ſolche perſönliche Ver-<lb/>
hältniſſe zur Klarkeit zu erheben, die mit unſe-<lb/>
rem gegenwärtigen Intereſſe in der nächſten Bezie-<lb/>
hung ſtehn. Wir denken uns unſere Eigenſchaf-<lb/>
ten, Grundſätze, Maximen, die Metamorphoſen<lb/>
unſeres Körpers und der Seele, die wir während<lb/>
unſers Lebens bis auf den gegenwärtigen Augen-<lb/>
blick durchlaufen ſind, und denken wahr, wenn<lb/>
uns in der That alles dies zukömmt, was wir für<lb/>
das Unſrige halten und in der Syntheſis des Be-<lb/>
wuſstſeyns mit unſerer Perſon verbinden. Das<lb/>
Kind ſchaut auch an, es ſchaut ſich und die Welt<lb/>
an, aber ohne Verknüpfung. Seine Ideen treiben<lb/>
losgebunden vorüber, wie die Bilder in einem<lb/>
Bach. Es ſpielt mit ſeinen eignen Gliedern, wie<lb/>
mit einem fremden Tand. Es fühlt etwas, nemlich<lb/>ſich, es fühlt ſich mit Luſt oder Unluſt, die es zum<lb/>
Lachen oder Weinen reitzen. Aber es weiſs es<lb/>
nicht, daſs es die Perſon iſt, die die Welt vorſtellt<lb/>
und durch ſein eignes Selbſt angenehm oder unan-<lb/>
genehm afficirt wird. Erſt ſpät er wacht es aus die-<lb/>ſem Zuſtand der Ungebundenheit und lernt das<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[57/0062]
ihr Körper durchs Gemeingefühl krank angekün-
diget: ſo ruft ſie augenblicklich ihr Verhältniſs
zu demſelben in Selbſtbewuſstſeyn vor. Zwar
ſind wir uns in dem gewöhnlichen Geſchäfftsgang
nicht aller Beſtimmungen unſerer Perſon klar be-
wuſst, um die Kraft nicht auf zu viele Punkte
zu zerſtreuen. Allein wir haben es doch in unſe-
rer Gewalt, durch Hülfe der Beſonnenheit augen-
blicklich alle, oder doch ſolche perſönliche Ver-
hältniſſe zur Klarkeit zu erheben, die mit unſe-
rem gegenwärtigen Intereſſe in der nächſten Bezie-
hung ſtehn. Wir denken uns unſere Eigenſchaf-
ten, Grundſätze, Maximen, die Metamorphoſen
unſeres Körpers und der Seele, die wir während
unſers Lebens bis auf den gegenwärtigen Augen-
blick durchlaufen ſind, und denken wahr, wenn
uns in der That alles dies zukömmt, was wir für
das Unſrige halten und in der Syntheſis des Be-
wuſstſeyns mit unſerer Perſon verbinden. Das
Kind ſchaut auch an, es ſchaut ſich und die Welt
an, aber ohne Verknüpfung. Seine Ideen treiben
losgebunden vorüber, wie die Bilder in einem
Bach. Es ſpielt mit ſeinen eignen Gliedern, wie
mit einem fremden Tand. Es fühlt etwas, nemlich
ſich, es fühlt ſich mit Luſt oder Unluſt, die es zum
Lachen oder Weinen reitzen. Aber es weiſs es
nicht, daſs es die Perſon iſt, die die Welt vorſtellt
und durch ſein eignes Selbſt angenehm oder unan-
genehm afficirt wird. Erſt ſpät er wacht es aus die-
ſem Zuſtand der Ungebundenheit und lernt das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/62>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.