Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

terliches Haus gebracht und der dritte Bruder,
der noch zurück war, verfiel durch die Nach-
richt von dem Tode seines einen und durch den
Anblick der Geisteszerrüttungen des anderen Bru-
ders in den nemlichen Zustand *). Gern ist
der Blödsinn Folge des Wahnsinns und der Tob-
sucht. Fast ein Viertheil der Tollhäusler sind Blöd-
sinnige, die ehemals verrückt waren und jetzt
noch einen Anstrich ihrer ehemaligen Krankheit
an sich tragen. Die überspannten Anstrengungen
zerstören anfänglich die Reizbarkeit und nachher
die beharrliche Organisation. Dazu kömmt noch
die meistens falsche Behandlung des Wahnsinns
durch Aderlässe, Purganzen und Brechmittel, die
die Naturkräfte vollends zerstört, durch welche
eine heilsame Crise hätte zu Stande kommen kön-
nen. Die Fallsucht liegt dieser Ursache nahe, die
meistens, wenn sie heftig und anhaltend ist, die
Seelenkräfte schwächt. Mir sind Fälle bekannt,
dass ein einziger Anfall derselben den Kranken um
seinen Verstand brachte. Alles, was den Körper
sehr schwächt, entnervende Vergnügungen, Aus-
schweifungen in der Liebe, tiefer in sich gekehr-
ter Kummer, narcotische Substanzen, die Toll-
kirsche, das Bilsenkraut und besonders der
Mohnsaft bey den Opiophagen im Orient, gei-
stige Getränke, Ausleerungen des Bluts und der
Lymphe, langer Schlaf können Blödsinn erre-

*) Pinel l. c. 180 S.

terliches Haus gebracht und der dritte Bruder,
der noch zurück war, verfiel durch die Nach-
richt von dem Tode ſeines einen und durch den
Anblick der Geiſteszerrüttungen des anderen Bru-
ders in den nemlichen Zuſtand *). Gern iſt
der Blödſinn Folge des Wahnſinns und der Tob-
ſucht. Faſt ein Viertheil der Tollhäusler ſind Blöd-
ſinnige, die ehemals verrückt waren und jetzt
noch einen Anſtrich ihrer ehemaligen Krankheit
an ſich tragen. Die überſpannten Anſtrengungen
zerſtören anfänglich die Reizbarkeit und nachher
die beharrliche Organiſation. Dazu kömmt noch
die meiſtens falſche Behandlung des Wahnſinns
durch Aderläſſe, Purganzen und Brechmittel, die
die Naturkräfte vollends zerſtört, durch welche
eine heilſame Criſe hätte zu Stande kommen kön-
nen. Die Fallſucht liegt dieſer Urſache nahe, die
meiſtens, wenn ſie heftig und anhaltend iſt, die
Seelenkräfte ſchwächt. Mir ſind Fälle bekannt,
daſs ein einziger Anfall derſelben den Kranken um
ſeinen Verſtand brachte. Alles, was den Körper
ſehr ſchwächt, entnervende Vergnügungen, Aus-
ſchweifungen in der Liebe, tiefer in ſich gekehr-
ter Kummer, narcotiſche Subſtanzen, die Toll-
kirſche, das Bilſenkraut und beſonders der
Mohnſaft bey den Opiophagen im Orient, gei-
ſtige Getränke, Ausleerungen des Bluts und der
Lymphe, langer Schlaf können Blödſinn erre-

*) Pinel l. c. 180 S.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0435" n="430"/>
terliches Haus gebracht und der dritte Bruder,<lb/>
der noch zurück war, verfiel durch die Nach-<lb/>
richt von dem Tode &#x017F;eines einen und durch den<lb/>
Anblick der Gei&#x017F;teszerrüttungen des anderen Bru-<lb/>
ders in den nemlichen Zu&#x017F;tand <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Pinel</hi> l. c. 180 S.</note>. Gern i&#x017F;t<lb/>
der Blöd&#x017F;inn Folge des Wahn&#x017F;inns und der Tob-<lb/>
&#x017F;ucht. Fa&#x017F;t ein Viertheil der Tollhäusler &#x017F;ind Blöd-<lb/>
&#x017F;innige, die ehemals verrückt waren und jetzt<lb/>
noch einen An&#x017F;trich ihrer ehemaligen Krankheit<lb/>
an &#x017F;ich tragen. Die über&#x017F;pannten An&#x017F;trengungen<lb/>
zer&#x017F;tören anfänglich die Reizbarkeit und nachher<lb/>
die beharrliche Organi&#x017F;ation. Dazu kömmt noch<lb/>
die mei&#x017F;tens fal&#x017F;che Behandlung des Wahn&#x017F;inns<lb/>
durch Aderlä&#x017F;&#x017F;e, Purganzen und Brechmittel, die<lb/>
die Naturkräfte vollends zer&#x017F;tört, durch welche<lb/>
eine heil&#x017F;ame Cri&#x017F;e hätte zu Stande kommen kön-<lb/>
nen. Die Fall&#x017F;ucht liegt die&#x017F;er Ur&#x017F;ache nahe, die<lb/>
mei&#x017F;tens, wenn &#x017F;ie heftig und anhaltend i&#x017F;t, die<lb/>
Seelenkräfte &#x017F;chwächt. Mir &#x017F;ind Fälle bekannt,<lb/>
da&#x017F;s ein einziger Anfall der&#x017F;elben den Kranken um<lb/>
&#x017F;einen Ver&#x017F;tand brachte. Alles, was den Körper<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;chwächt, entnervende Vergnügungen, Aus-<lb/>
&#x017F;chweifungen in der Liebe, tiefer in &#x017F;ich gekehr-<lb/>
ter Kummer, narcoti&#x017F;che Sub&#x017F;tanzen, die Toll-<lb/>
kir&#x017F;che, das Bil&#x017F;enkraut und be&#x017F;onders der<lb/>
Mohn&#x017F;aft bey den Opiophagen im Orient, gei-<lb/>
&#x017F;tige Getränke, Ausleerungen des Bluts und der<lb/>
Lymphe, langer Schlaf können Blöd&#x017F;inn erre-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[430/0435] terliches Haus gebracht und der dritte Bruder, der noch zurück war, verfiel durch die Nach- richt von dem Tode ſeines einen und durch den Anblick der Geiſteszerrüttungen des anderen Bru- ders in den nemlichen Zuſtand *). Gern iſt der Blödſinn Folge des Wahnſinns und der Tob- ſucht. Faſt ein Viertheil der Tollhäusler ſind Blöd- ſinnige, die ehemals verrückt waren und jetzt noch einen Anſtrich ihrer ehemaligen Krankheit an ſich tragen. Die überſpannten Anſtrengungen zerſtören anfänglich die Reizbarkeit und nachher die beharrliche Organiſation. Dazu kömmt noch die meiſtens falſche Behandlung des Wahnſinns durch Aderläſſe, Purganzen und Brechmittel, die die Naturkräfte vollends zerſtört, durch welche eine heilſame Criſe hätte zu Stande kommen kön- nen. Die Fallſucht liegt dieſer Urſache nahe, die meiſtens, wenn ſie heftig und anhaltend iſt, die Seelenkräfte ſchwächt. Mir ſind Fälle bekannt, daſs ein einziger Anfall derſelben den Kranken um ſeinen Verſtand brachte. Alles, was den Körper ſehr ſchwächt, entnervende Vergnügungen, Aus- ſchweifungen in der Liebe, tiefer in ſich gekehr- ter Kummer, narcotiſche Subſtanzen, die Toll- kirſche, das Bilſenkraut und beſonders der Mohnſaft bey den Opiophagen im Orient, gei- ſtige Getränke, Ausleerungen des Bluts und der Lymphe, langer Schlaf können Blödſinn erre- *) Pinel l. c. 180 S.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/435
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/435>, abgerufen am 17.05.2024.