Narrheit ist allgemeine Verkehrt- heit und Schwäche der Seelenkräfte, ohne Tobsucht und Blödsinn, doch dem letzten am nächsten verwandt. Durch das erste Merkmahl unterscheidet sie sich von dem fixen Wahnsinn; und von der Tobsucht und dem Blödsinn dadurch, dass ihr die Merk- mahle dieser Krankheiten fehlen. Freilich sind meine Charaktere negativ, und daher ist das Ob- ject nur unter der Voraussetzung bestimmt, dass es ausser den aufgeführten Arten der Geisteszer- rüttungen keine anderen giebt. Auch fühle ich es nur zu gut, dass die Narrheit weniger genau, als die übrigen Arten definirt sey. Vielleicht ist es gar nicht einmal Art, sondern ein Chaos meh- rerer specisisch-verschiedner Zustände, was ich unter diesem Namen zusammengestellt habe. Al- lein mir war vor jetzt nichts mehr möglich. Ich will daher im Allgemeinen schildern, was ich bey diesen Seelenkranken, die weder fixirt, noch tobsüchtig oder blödsinnig sind, gefunden habe.
Die Narren haben keine Hauptidee, sondern wechseln damit, und knüpfen in allen Lagen des Lebens Dummheiten an bizarre Streiche *). Ne-
*) Dem pathologischen Narren ist der moralische nahe verwandt. Dieser handelt nach gehässigen Leidenschaften, und wählt aus Mangel des Ver- standes zur Befriedigung derselben solche Mittel, die ihr schnurstracks entgegen wirken. Der aufgeblasene Narr will geehrt seyn und zieht sich
3. Die Narrheit.
Narrheit iſt allgemeine Verkehrt- heit und Schwäche der Seelenkräfte, ohne Tobſucht und Blödſinn, doch dem letzten am nächſten verwandt. Durch das erſte Merkmahl unterſcheidet ſie ſich von dem fixen Wahnſinn; und von der Tobſucht und dem Blödſinn dadurch, daſs ihr die Merk- mahle dieſer Krankheiten fehlen. Freilich ſind meine Charaktere negativ, und daher iſt das Ob- ject nur unter der Vorausſetzung beſtimmt, daſs es auſser den aufgeführten Arten der Geiſteszer- rüttungen keine anderen giebt. Auch fühle ich es nur zu gut, daſs die Narrheit weniger genau, als die übrigen Arten definirt ſey. Vielleicht iſt es gar nicht einmal Art, ſondern ein Chaos meh- rerer ſpeciſiſch-verſchiedner Zuſtände, was ich unter dieſem Namen zuſammengeſtellt habe. Al- lein mir war vor jetzt nichts mehr möglich. Ich will daher im Allgemeinen ſchildern, was ich bey dieſen Seelenkranken, die weder fixirt, noch tobſüchtig oder blödſinnig ſind, gefunden habe.
Die Narren haben keine Hauptidee, ſondern wechſeln damit, und knüpfen in allen Lagen des Lebens Dummheiten an bizarre Streiche *). Ne-
*) Dem pathologiſchen Narren iſt der moraliſche nahe verwandt. Dieſer handelt nach gehäſſigen Leidenſchaften, und wählt aus Mangel des Ver- ſtandes zur Befriedigung derſelben ſolche Mittel, die ihr ſchnurſtracks entgegen wirken. Der aufgeblaſene Narr will geehrt ſeyn und zieht ſich
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3. Die Narrheit.
Narrheit iſt allgemeine Verkehrt-
heit und Schwäche der Seelenkräfte,
ohne Tobſucht und Blödſinn, doch
dem letzten am nächſten verwandt.
Durch das erſte Merkmahl unterſcheidet ſie ſich
von dem fixen Wahnſinn; und von der Tobſucht
und dem Blödſinn dadurch, daſs ihr die Merk-
mahle dieſer Krankheiten fehlen. Freilich ſind
meine Charaktere negativ, und daher iſt das Ob-
ject nur unter der Vorausſetzung beſtimmt, daſs
es auſser den aufgeführten Arten der Geiſteszer-
rüttungen keine anderen giebt. Auch fühle ich
es nur zu gut, daſs die Narrheit weniger genau,
als die übrigen Arten definirt ſey. Vielleicht iſt
es gar nicht einmal Art, ſondern ein Chaos meh-
rerer ſpeciſiſch-verſchiedner Zuſtände, was ich
unter dieſem Namen zuſammengeſtellt habe. Al-
lein mir war vor jetzt nichts mehr möglich. Ich
will daher im Allgemeinen ſchildern, was ich
bey dieſen Seelenkranken, die weder fixirt, noch
tobſüchtig oder blödſinnig ſind, gefunden habe.
Die Narren haben keine Hauptidee, ſondern
wechſeln damit, und knüpfen in allen Lagen des
Lebens Dummheiten an bizarre Streiche *). Ne-
*) Dem pathologiſchen Narren iſt der moraliſche
nahe verwandt. Dieſer handelt nach gehäſſigen
Leidenſchaften, und wählt aus Mangel des Ver-
ſtandes zur Befriedigung derſelben ſolche Mittel,
die ihr ſchnurſtracks entgegen wirken. Der
aufgeblaſene Narr will geehrt ſeyn und zieht ſich
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/401>, abgerufen am 22.11.2024.
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