ausserordentliche Neigung zum Zorn über Klei- nigkeiten eigen.
Noch einige Beispiele dieser Krankheit. Ein Wahnsinniger, sagt Pinel*), blieb gegen acht Jahre in der engsten Verwahrung; er warf sich stets herum, schrie, drohete und riss alles in Stücke, wenn seine Arme frey waren, ohne den mindesten Fehler in seinen Einbildungen, Wahr- nehmungen, Urtheilen und Schlüssen zu verra- then. Ein anderer Mensch, der in der Erziehung von seiner Mutter vernachlässiget und gewohnt war, allen seinen Launen ohne Zügel der Ver- nunft zu folgen, griff jeden mit Tollkühnheit an, der sich ihm entgegenstellte. Ein Thier, das ihm Verdruss machte, einen Hund, Schaaf oder Pferd tödtete er augenblicklich. In Versamm- lungen gab und empfing er Schläge, und ging gewöhnlich blutig davon. Zur Zeit der Ruhe war er vernünftig, erfüllte alle gesellschaftlichen Pflichten, und zeichnete sich gar durch Werke der Wohlthätigkeit gegen Unglückliche aus. Doch endlich machte eine unbesonnene Handlung seinen Gewaltthätigkeiten ein Ende. Er warf nemlich eine Frau, mit der er sich erzürnte, in einen Brunnen. Zur Strafe wurde er nach Ur- theil und Recht für seine tollen Streiche zu einer ewigen Einsperrung in Bicetre verurtheilt **). Ich
*) l. c. 259 S.
**)Pinel l. c. 161 S.
auſserordentliche Neigung zum Zorn über Klei- nigkeiten eigen.
Noch einige Beiſpiele dieſer Krankheit. Ein Wahnſinniger, ſagt Pinel*), blieb gegen acht Jahre in der engſten Verwahrung; er warf ſich ſtets herum, ſchrie, drohete und riſs alles in Stücke, wenn ſeine Arme frey waren, ohne den mindeſten Fehler in ſeinen Einbildungen, Wahr- nehmungen, Urtheilen und Schlüſſen zu verra- then. Ein anderer Menſch, der in der Erziehung von ſeiner Mutter vernachläſſiget und gewohnt war, allen ſeinen Launen ohne Zügel der Ver- nunft zu folgen, griff jeden mit Tollkühnheit an, der ſich ihm entgegenſtellte. Ein Thier, das ihm Verdruſs machte, einen Hund, Schaaf oder Pferd tödtete er augenblicklich. In Verſamm- lungen gab und empfing er Schläge, und ging gewöhnlich blutig davon. Zur Zeit der Ruhe war er vernünftig, erfüllte alle geſellſchaftlichen Pflichten, und zeichnete ſich gar durch Werke der Wohlthätigkeit gegen Unglückliche aus. Doch endlich machte eine unbeſonnene Handlung ſeinen Gewaltthätigkeiten ein Ende. Er warf nemlich eine Frau, mit der er ſich erzürnte, in einen Brunnen. Zur Strafe wurde er nach Ur- theil und Recht für ſeine tollen Streiche zu einer ewigen Einſperrung in Bicêtre verurtheilt **). Ich
*) l. c. 259 S.
**)Pinel l. c. 161 S.
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auſserordentliche Neigung zum Zorn über Klei-
nigkeiten eigen.
Noch einige Beiſpiele dieſer Krankheit. Ein
Wahnſinniger, ſagt Pinel *), blieb gegen acht
Jahre in der engſten Verwahrung; er warf ſich
ſtets herum, ſchrie, drohete und riſs alles in
Stücke, wenn ſeine Arme frey waren, ohne den
mindeſten Fehler in ſeinen Einbildungen, Wahr-
nehmungen, Urtheilen und Schlüſſen zu verra-
then. Ein anderer Menſch, der in der Erziehung
von ſeiner Mutter vernachläſſiget und gewohnt
war, allen ſeinen Launen ohne Zügel der Ver-
nunft zu folgen, griff jeden mit Tollkühnheit an,
der ſich ihm entgegenſtellte. Ein Thier, das
ihm Verdruſs machte, einen Hund, Schaaf oder
Pferd tödtete er augenblicklich. In Verſamm-
lungen gab und empfing er Schläge, und ging
gewöhnlich blutig davon. Zur Zeit der Ruhe
war er vernünftig, erfüllte alle geſellſchaftlichen
Pflichten, und zeichnete ſich gar durch Werke
der Wohlthätigkeit gegen Unglückliche aus.
Doch endlich machte eine unbeſonnene Handlung
ſeinen Gewaltthätigkeiten ein Ende. Er warf
nemlich eine Frau, mit der er ſich erzürnte, in
einen Brunnen. Zur Strafe wurde er nach Ur-
theil und Recht für ſeine tollen Streiche zu einer
ewigen Einſperrung in Bicêtre verurtheilt **). Ich
*) l. c. 259 S.
**) Pinel l. c. 161 S.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/395>, abgerufen am 23.11.2024.
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