Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

verschiedene Krankheit. Der Melancholische
handelt absurd im Gefolge kranker Vorstellungen,
der Tobsüchtige im Gefolge eines blinden Im-
pulses. Beide können zerstören, wüthen und
morden, aber aus verschiedenen Bewegursachen,
dieser wie ein Automat, jener nach Zwecken.
Auch ist eine innere Angst nicht Ursache der
Tobsucht. Sie mag dieselbe oft begleiten, aber
nicht immer. Die jovialische Tobsucht ist ohne
Angst. In der Brustwassersucht, Pneumonie und
verschiednen anderen Krankheiten finden wir ei-
nen weit grösseren Grad von Angst, ohne Tob-
sucht. Auch würde das Object der Angst kör-
perlich seyn, und die Verknüpfung ihrer Vor-
stellung in der Seele mit der Tobsucht keinen
verständigen Sinn haben. Herr Hoffbauer *)
scheint zwar entgegengesetzter Meinung zu seyn,
und die Krankheit, von welcher Tobsucht das
Phänomen ist, nicht sowohl im Körper als viel-
mehr in der Seele zu suchen. Er beruft sich auf
das Beispiel eines Zornigen. Allein gerade dies
Beispiel möchte ich ihm entgegenstellen. Denn
dass bey dieser Leidenschaft der Körper eine
sichtbare Veränderung erleide, lehren alle Sym-
ptome des Zorns. Ich habe es oft gesehn, dass
wenn Hunde und Katzen zum Zorn und zur
Wuth gereizt wurden, in einem Augenblick der
schwarze Hintergrund ihrer Augen eine grünlich-

*) l. c. 1 Th. 255-261 S.

verſchiedene Krankheit. Der Melancholiſche
handelt abſurd im Gefolge kranker Vorſtellungen,
der Tobſüchtige im Gefolge eines blinden Im-
pulſes. Beide können zerſtören, wüthen und
morden, aber aus verſchiedenen Bewegurſachen,
dieſer wie ein Automat, jener nach Zwecken.
Auch iſt eine innere Angſt nicht Urſache der
Tobſucht. Sie mag dieſelbe oft begleiten, aber
nicht immer. Die jovialiſche Tobſucht iſt ohne
Angſt. In der Bruſtwaſſerſucht, Pneumonie und
verſchiednen anderen Krankheiten finden wir ei-
nen weit gröſseren Grad von Angſt, ohne Tob-
ſucht. Auch würde das Object der Angſt kör-
perlich ſeyn, und die Verknüpfung ihrer Vor-
ſtellung in der Seele mit der Tobſucht keinen
verſtändigen Sinn haben. Herr Hoffbauer *)
ſcheint zwar entgegengeſetzter Meinung zu ſeyn,
und die Krankheit, von welcher Tobſucht das
Phänomen iſt, nicht ſowohl im Körper als viel-
mehr in der Seele zu ſuchen. Er beruft ſich auf
das Beiſpiel eines Zornigen. Allein gerade dies
Beiſpiel möchte ich ihm entgegenſtellen. Denn
daſs bey dieſer Leidenſchaft der Körper eine
ſichtbare Veränderung erleide, lehren alle Sym-
ptome des Zorns. Ich habe es oft geſehn, daſs
wenn Hunde und Katzen zum Zorn und zur
Wuth gereizt wurden, in einem Augenblick der
ſchwarze Hintergrund ihrer Augen eine grünlich-

*) l. c. 1 Th. 255-261 S.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0382" n="377"/>
ver&#x017F;chiedene Krankheit. Der Melancholi&#x017F;che<lb/>
handelt ab&#x017F;urd im Gefolge kranker Vor&#x017F;tellungen,<lb/>
der Tob&#x017F;üchtige im Gefolge eines blinden Im-<lb/>
pul&#x017F;es. Beide können zer&#x017F;tören, wüthen und<lb/>
morden, aber aus ver&#x017F;chiedenen Bewegur&#x017F;achen,<lb/>
die&#x017F;er wie ein Automat, jener nach Zwecken.<lb/>
Auch i&#x017F;t eine innere Ang&#x017F;t nicht Ur&#x017F;ache der<lb/>
Tob&#x017F;ucht. Sie mag die&#x017F;elbe oft begleiten, aber<lb/>
nicht immer. Die joviali&#x017F;che Tob&#x017F;ucht i&#x017F;t ohne<lb/>
Ang&#x017F;t. In der Bru&#x017F;twa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ucht, Pneumonie und<lb/>
ver&#x017F;chiednen anderen Krankheiten finden wir ei-<lb/>
nen weit grö&#x017F;seren Grad von Ang&#x017F;t, ohne Tob-<lb/>
&#x017F;ucht. Auch würde das Object der Ang&#x017F;t kör-<lb/>
perlich &#x017F;eyn, und die Verknüpfung ihrer Vor-<lb/>
&#x017F;tellung in der Seele mit der Tob&#x017F;ucht keinen<lb/>
ver&#x017F;tändigen Sinn haben. Herr <hi rendition="#g">Hoffbauer</hi> <note place="foot" n="*)">l. c. 1 Th. 255-261 S.</note><lb/>
&#x017F;cheint zwar entgegenge&#x017F;etzter Meinung zu &#x017F;eyn,<lb/>
und die Krankheit, von welcher Tob&#x017F;ucht das<lb/>
Phänomen i&#x017F;t, nicht &#x017F;owohl im Körper als viel-<lb/>
mehr in der Seele zu &#x017F;uchen. Er beruft &#x017F;ich auf<lb/>
das Bei&#x017F;piel eines Zornigen. Allein gerade dies<lb/>
Bei&#x017F;piel möchte ich ihm entgegen&#x017F;tellen. Denn<lb/>
da&#x017F;s bey die&#x017F;er Leiden&#x017F;chaft der Körper eine<lb/>
&#x017F;ichtbare Veränderung erleide, lehren alle Sym-<lb/>
ptome des Zorns. Ich habe es oft ge&#x017F;ehn, da&#x017F;s<lb/>
wenn Hunde und Katzen zum Zorn und zur<lb/>
Wuth gereizt wurden, in einem Augenblick der<lb/>
&#x017F;chwarze Hintergrund ihrer Augen eine grünlich-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[377/0382] verſchiedene Krankheit. Der Melancholiſche handelt abſurd im Gefolge kranker Vorſtellungen, der Tobſüchtige im Gefolge eines blinden Im- pulſes. Beide können zerſtören, wüthen und morden, aber aus verſchiedenen Bewegurſachen, dieſer wie ein Automat, jener nach Zwecken. Auch iſt eine innere Angſt nicht Urſache der Tobſucht. Sie mag dieſelbe oft begleiten, aber nicht immer. Die jovialiſche Tobſucht iſt ohne Angſt. In der Bruſtwaſſerſucht, Pneumonie und verſchiednen anderen Krankheiten finden wir ei- nen weit gröſseren Grad von Angſt, ohne Tob- ſucht. Auch würde das Object der Angſt kör- perlich ſeyn, und die Verknüpfung ihrer Vor- ſtellung in der Seele mit der Tobſucht keinen verſtändigen Sinn haben. Herr Hoffbauer *) ſcheint zwar entgegengeſetzter Meinung zu ſeyn, und die Krankheit, von welcher Tobſucht das Phänomen iſt, nicht ſowohl im Körper als viel- mehr in der Seele zu ſuchen. Er beruft ſich auf das Beiſpiel eines Zornigen. Allein gerade dies Beiſpiel möchte ich ihm entgegenſtellen. Denn daſs bey dieſer Leidenſchaft der Körper eine ſichtbare Veränderung erleide, lehren alle Sym- ptome des Zorns. Ich habe es oft geſehn, daſs wenn Hunde und Katzen zum Zorn und zur Wuth gereizt wurden, in einem Augenblick der ſchwarze Hintergrund ihrer Augen eine grünlich- *) l. c. 1 Th. 255-261 S.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/382
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/382>, abgerufen am 19.05.2024.